Bei der Neuorganisation der politischen Ordnung in Hannover nach den napoleonischen Kriegen hatte Graf Ernst Friedrich von Münster (1766–1839) als Leiter der Deutschen Kanzlei und hannoverscher Minister des Königlichen Hauses eine wichtige Rolle gespielt. Er hatte sich dabei zunächst durchaus aufgeschlossen für Reformen gezeigt.
In Bezug auf die weitere Regelung der politischen Angelegenheiten in Hannover geriet er dann aber immer mehr unter den Einfluss erzkonservativer Kreise, sodass das Königreich Hannover zeitweise als ein Staat galt, in dem die Kräfte der Reaktion besonders stark vertreten waren.
Im Zuge dieser Entwicklung wurde 1819 in Hannover in Verbindung mit einer oktroyierten Verfassung das Zweikammersystem eingeführt. Es trat an die Stelle der bisherigen Allgemeinen Ständeversammlung, die im Dezember 1814 eröffnet worden war und, je länger sie existierte, durch selbstbewusstes Auftreten als eine den Gesamtstaat repräsentierende Körperschaft den heftigen Widerstand konservativer Kräfte hervorgerufen hatte. Dieses zentrale Vertretungsorgan hatte in zunehmendem Maße aus eigenem Antrieb Fragen von öffentlichem Interesse beraten und dabei verschiedene Anträge zur Modernisierung von Verwaltung und Justiz erarbeitet. Ebenso waren Einsparungen am Militäretat verlangt worden; sogar in die inneren Verhältnisse der Armee hatte man sich einzumischen versucht. Auch traditionelle Standesprivilegien wie die Befreiung der Rittergutsbesitzer von der Grundsteuer sollten nicht unangetastet bleiben.1
Neue Verfassung fürs Königreich Hannover
Im Rahmen der Neuregelung von 1819 wurde die Erste Kammer vom grundbesitzenden Adel dominiert, der hier über eine Stimmenmehrheit verfügte und damit bei allen Abstimmungen zu seinen Gunsten entscheiden konnte. Die Zweite Kammer wurde von den Vertretern der Städte beherrscht. Der Bauernstand blieb im Rahmen dieser Verfassung unberücksichtigt und hatte kein eigenes Vertretungsrecht. Da beide Kammern gleichberechtigt waren, konnten sie sich gegenseitig blockieren. Diese Ständeversammlung verfügte nur über begrenzte Kompetenzen. Wichtige Zuständigkeiten wie das Recht der Ministeranklage und der Gesetzesinitiative sowie das politische Kontrollrecht über Verwaltung und Heer werden in diesem Dokument nicht erwähnt. „Monarch und Verwaltung sind die eigentlich Handelnden, während die landständische Versammlung nur modifizierenden, kontrollierenden und hemmenden Einfluß auf die politischen Verhältnisse nehmen konnte.“2
Ringen um neue Regelung in Celle
In Celle war man nach dem Ende der napoleonischen Kriege zunächst wieder zu den früheren Verhältnissen zurückgekehrt. Stadt und Burgvogtei Celle existierten nun wieder nebeneinander als getrennte Bereiche mit jeweils eigener Verfassung.
Vor dem Hintergrund der seit der Französischen Revolution eingetretenen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen und angesichts der seit den Befreiungskriegen von den Mitgliedern des Bürgertums erhobenen Forderungen nach erweiterten Freiheitsrechten und wirksamen politischen Mitentscheidungsmöglichkeiten waren jedoch die nach der langen Besatzungszeit in Celle wieder in Kraft gesetzten verfassungsrechtlichen Grundlagen und kommunalen Einrichtungen als Rückschritt zu betrachten. Neue Herausforderungen durch die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch in Bezug auf Verwaltung und Rechtspflege mussten bedacht werden.
Freier Verfassung das Wort geredet
Die der Bürgerschaft dann in der nachfolgenden Zeit in Aussicht gestellte Einsetzung einer neuen, den veränderten Verhältnissen angepassten und die berechtigten Forderungen der Bürger in stärkerem Maße berücksichtigenden Verfassung ließ sich zunächst nicht verwirklichen. Entsprechende Initiativen kamen in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts über Vorarbeiten nicht hinaus. Erst die im Jahr 1830 erneut in Paris ausbrechenden revolutionären Unruhen und deren Auswirkungen lenkten hierzulande die Aufmerksamkeit der kommunalen Organe wieder auf die ungelösten verfassungsrechtlichen Fragen und Probleme. Dabei erschwerten kontroverse Standpunkte und gegensätzliche Positionen unter den führenden Repräsentanten der Stadt eine schnelle Regelung.
„Neben starren Anhängern des Alten und Bestehenden waren damals im Magistratskolleg auch Männer vorhanden, die einer freien Verfassung das Wort redeten. Die genannte Revolution [von 1830] wirkte friedensstörend auf das Kolleg, das sich in zwei politische Heerlager spaltete.“3 Hinzu kamen verschiedene andere Unzulänglichkeiten, die die Handlungsfähigkeit des Magistrats insgesamt lähmten und einen Fortschritt in Bezug auf die Erarbeitung einer neuen Verfassung verhinderten.
Auch der von der Landdrostei dem Magistrat Anfang März 1832 mitgeteilte Beschluss, der Stadt eine neue Ordnung analog zu anderen Städten des Königreichs zu geben und den bei der hiesigen Burgvogtei tätigen Amtmann Schaer mit der Ausarbeitung eines Entwurfs zu beauftragen, führte in den nachfolgenden Jahren zunächst noch nicht zu dem gewünschten Ziel, obwohl die entsprechenden Vorarbeiten inzwischen abgeschlossen waren.
„Vorläufige“ Genehmigung
Erst im Jahre 1844 genehmigte die hannoversche Landesregierung diesen Entwurf „vorläufig“ und überwies ihn zur weiteren Begutachtung an den Magistrat der Stadt Celle. In Verbindung damit kam es zu heftigen Reaktionen in Celle seitens „der Geschworenen der Ämter, Gilden und der Gemeine“, die in einer Eingabe an das Staatsministerium vom 21. August 1844 „angeblich namens der Bürgerschaft“ beantragten, „daß zwölf oder sechs aus ihrer Mitte zu der Beratung des Verfassungsentwurfs hinzugezogen werden möchten“.4 Mit dieser Forderung hatten sie jedoch keinen Erfolg.
Diese und andere Vorkommnisse brachten weitere Verzögerungen mit sich, sodass die Beratungen des Entwurfs erst am 4. Juni 1845 abgeschlossen werden konnten. In einer etwas veränderten Form erhielt der Verfassungsentwurf schließlich am 16. November 1846 die „Königliche Bestätigung“ und trat als neue Stadtordnung („Verfassungsurkunde für die Stadt Celle“) am 2. Januar 1847 in Kraft.5
Merkmale der neuen Stadtordnung
Wichtig für die weitere Gestaltung der städtischen Angelegenheiten war die Zusammensetzung des Magistrats, dem nach der neuen Ordnung der Bürgermeister als Vorsitzender der Verwaltungs- und Justizabteilung, der Stadtsyndikus, der zugleich das Amt des Stadtrichters ausübte, ein Stadtgerichtsschreiber (Stadtgerichtsassessor) sowie zwei Senatoren (Ratsherren) angehörten. Diesen Mitgliedern beigegeben waren: ein Stadtsekretär, zugleich Stadtgerichtssekretär, der auch „mit höherer Genehmigung“ eine beschließende Stimme erhalten kann, ein Stadtrechnungsführer („Cämmerer“), ein Stadtphysikus sowie die erforderlichen Schreiber und sonstigen Dienstuntergebenen (damals zwei Gerichtsdiener, ein Marktvogt, ein Polizeiwachtmeister und zwei Polizeidiener).