Von den weitreichenden Folgen der Inflation im Jahre 1923 blieb auch die Celler Bevölkerung nicht verschont. Die Menschen waren gezwungen, ihren Lebensalltag ganz und gar auf die sich ständig verändernden Bedingungen einzustellen. Bereits in den vorangegangenen Jahren waren bei der Versorgung teilweise erhebliche Mängel aufgetreten. Dies galt insbesondere für die Verfügbarkeit von Kohle, die der Brennstoff-Zwangsbewirtschaftung unterlag, und den deutlichen Preisanstieg für Kartoffeln. An dieser prekären Situation hatten auch die gegenüber der Vorkriegszeit deutlich angestiegenen Einkommen der Arbeiter, Angestellten und Beamten nichts Entscheidendes ändern können, da sich gleichzeitig die Preise für existenziell notwendige Güter im Vergleich zu den Verdiensten der Beschäftigten um das Mehrfache erhöhten. 1
Rasende Inflation sorgt für hohe Arbeitslosigkeit
Noch schwieriger wurden die Lebensbedingungen für Teile der Bevölkerung der Stadt durch die Hyperinflation im weiteren Verlauf des Ruhrkampfes. Hatte bisher trotz aller Versorgungsmängel im heimischen Bereich noch weitgehend Vollbeschäftigung geherrscht, so wurde jetzt infolge der Wirtschaftskrise und der rasenden Inflation die Arbeitslosigkeit zu einem großen Problem. In der Zeit von August 1923 bis zum Ende des Jahres stieg die Zahl der Arbeitslosen von 154 auf 1766. 2
Menschenreihen vor den Kaufläden
Für diese Personen stand nur eine geringe Unterstützung aus Mitteln des Reiches, des Staates Preußen und der Stadt Celle zur Verfügung. Jeder Tag bedeutete eine neue Herausforderung, der man sich stellen musste. „Ein rasender Taumel hatte alle ergriffen, endlose Menschenreihen standen vor den Kaufläden. Jeder wollte gewinnen, jeder rannte hinter Lebensmitteln her, und keiner wusste, was der neue Tag bringen würde. Alle waren auf alles gefaßt. Die Bevölkerung war mit Explosivstoff bis zum Rande geladen.“3
Die mit dieser Inflation einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme stellten auch für die städtischen Kollegien und Behörden in Celle eine bisher nicht gekannte Herausforderung dar.
Frauen in Not werden beim Celler Senator Ernst Schädlich vorstellig
Einen anschaulichen Eindruck von dieser schwierigen Situation vermittelt der Bericht des damaligen Senators der Stadt Celle, Ernst Schädlich, der zu dieser Zeit in besonderer Weise mit „Wohlfahrtsangelegenheiten“ befasst war: „Am 23. Juli 1923 drangen etwa dreihundert Frauen ins Rathaus, die Spitze in mein Dienstzimmer. Ich stand eingekeilt zwischen ihnen, und aus dem Schwall von Worten, der auf mich herniederprasselte, entnahm ich, daß sie keine Kartoffeln mehr hatten, sie hungerten. Was sollte ich tun? Und seltsam – ich habe es oft erlebt –, wenn die Not am größten, wenn der Fall am dringendsten, man findet immer wieder einen Ausweg. Am selben Nachmittag wurden 270 Zentner Kartoffeln verteilt. Ist es da ein Wunder, daß ich beim größten Teil der Einwohnerschaft unbegrenztes Vertrauen genoß?“4
Celler Behörden reagieren auf Hyperinflation
Angesichts der zunehmenden Verschärfung der Gesamtlage wurden die städtischen Behörden in Celle zu umfangreichen Maßnahmen und Eingriffen in den Lebensalltag der Bürger gezwungen. Besonders in der Endphase dieser Entwicklung im Herbst 1923 mussten fast täglich neue Anpassungen an die mit rasender Geschwindigkeit verlaufende Geldentwertung vorgenommen werden.
Gebühren und Preise in Celle explodieren
So wurde in der „Celleschen Zeitung“ vom 12. Oktober 1923 der Beschluss der Städtischen Kollegien zur Erhöhung der Kanalgebühren „auf vier Millionen Monatsprozent für Oktober“ im Vergleich zum Vormonat mitgeteilt. Und den „Amtlichen Bekanntmachungen“ des Magistrats und verschiedener städtischer Behörden war an diesem Tage zu entnehmen, dass die Verwaltungsgebühren sich mit sofortiger Wirkung „auf den 250.000fachen Betrag“ des in der Gebührenordnung vom 8. Februar 1923 festgelegten Satzes erhöhen sollten.