Das Jahr 1923 stellte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Regierung der Weimarer Republik vor schwere Belastungsproben. Am 9. Januar 1923 ließ der französische Ministerpräsident Poincaré das Ruhrgebiet besetzen, nachdem kurz zuvor, Ende 1922, die Reparationskommission einen Rückstand Deutschlands bei der Erfüllung der von den Siegermächten auferlegten Reparationen festgestellt hatte. Die Reichsregierung protestierte dagegen, stoppte sogleich alle Reparationsleistungen an Frankreich und Belgien und rief die Bevölkerung des besetzten Gebietes zum „passiven Widerstand“ auf. Die Weigerung der Arbeiter, Angestellten und Beamten, die Anordnungen der Besatzungsmacht zu befolgen, führte zur Abriegelung dieses Gebietes vom übrigen Reich.
Erhebliche Geldzahlungen fürs Ruhrgebiet
Diese einschneidenden Maßnahmen veranlassten die Reichsregierung, die Streikenden und die mehr als 140.000 von den Franzosen Ausgewiesenen mit erheblichen Geldzahlungen zu unterstützen. Auch zahlreiche andere Institutionen und Organisationen auf allen Ebenen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens konnten durch Spendenaufrufe umfangreiche Mittel für die Bewohner der besetzten Gebiete zur Verfügung stellen. Dies galt ebenso für die Menschen hierzulande.
Widerstand auch von Celle aus mit Geld und Gütern unterstützt
In der „Celleschen Zeitung“ wurde in den ersten Monaten des Jahres 1923 in vielfältiger Weise an die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung appelliert. Aufrufe der Städtischen Kollegien und des Landkreises (repräsentiert durch Landrat Wilhelm Heinichen), des „Hannoverschen Landbundes“, des „Kreislandbundes“ und anderer Vereinigungen und Gruppen aus Stadt und Landkreis Celle trugen dazu bei, dass innerhalb weniger Wochen der passive Widerstand gegen die französische Besetzung des Ruhrgebietes auch von Celle aus mit erheblichen Geldmitteln und zahlreichen anderen Gütern unterstützt werden konnte.
Es zeigte sich jedoch rasch, dass die Regierung in Berlin mit diesen Leistungen überfordert war. Für die Finanzierung des Ruhrkampfes wurden ständig neue Banknoten gedruckt, ohne dass dafür ein ausreichendes Warenangebot vorhanden war beziehungsweise der Gegenwert in Form von Gütern und Dienstleistungen erwirtschaftet werden konnte. Dies führte zu einer immer schnelleren Geldentwertung.
399 Milliarden Mark für ein Brot
Nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern im gesamten Reich war diese Entwicklung mit schwerwiegenden Folgen für die Lebensgestaltung der Menschen verbunden. Der Preis für ein Kilogramm Roggenbrot (in Berlin) stieg von 0,54 Mark im Januar 1919 über 163,15 Mark im Dezember 1922 auf unvorstellbare 201.000.000.000 Mark (= 201 Milliarden Mark) im November 1923 und 399.000.000.000 Mark (= 399 Milliarden Mark) im Dezember 1923. 1
In einer besonders schwierigen Situation befanden sich dabei die Bäcker, denen es nicht möglich war, den von der Regierung vorgeschriebenen Höchstpreis von 65 Goldpfennigen für ein Brot einzuhalten, weil für den amtlich festgelegten Preis für Roggenmehl (der börsennotierte Preis für 100 Kilogramm schwankte am 10. November zwischen 28,50 und 31,50 Goldmark) kein Mehl zu bekommen war. Die Bäcker waren deshalb in diesen Novembertagen (am 10. und 12. November 1923) gezwungen, 9,5 Millionen Mark für 100 Kilogramm Roggenmehl zu bezahlen, was dem Wert von 63,33 Goldmark entsprach. 2
Für ein Pfund Kartoffeln wurden im November 1923 50.000.000.000 Mark verlangt, und ein Ei kostete 80.000.000.000 Mark.
Wäschekörbe voll Papiergeld für Löhne erforderlich
Für die arbeitende Bevölkerung wurde diese Entwicklung zu einem entnervenden Lotteriespiel. Auf dem Höhepunkt der Inflation im Jahre 1923 waren für die nun täglich ausgezahlten Löhne Wäschekörbe voll Papiergeld erforderlich. Da das Bargeld täglicher und später sogar stündlicher Entwertung unterlag, musste diese Geldmenge umgehend für Waren und Güter ausgegeben werden, um angesichts des rasanten Wertschwunds der Mark noch weitere Verluste zu vermeiden.
Die Bauern weigerten sich aufgrund dieser unsicheren Lage in zunehmendem Maße, ihre Erträge gegen Papiergeld zu verkaufen.
Vor allem die Kinder hatten unter diesen Auswirkungen zu leiden. Über deren Lebenssituation in jener Zeit gibt ein Bericht des Berliner Oberbürgermeisters Auskunft: „Zahlreiche Kinder, auch im zartesten Alter, erhalten nie einen Tropfen Milch, kommen ohne warmes Frühstück zur Schule. Als Schulfrühstück erhalten sie trockenes Brot oder als Aufstrich gequetschte Kartoffeln. Die Kinder gehen vielfach ohne Hemd und warme Kleidungsstücke zur Schule oder werden aus Mangel an Leib- und Unterwäsche ganz vom Schulbesuch zurückgehalten. Die Not erstickt allmählich jedes Gefühl für Ordnung, Sauberkeit und Sitte und läßt nur noch dem Gedanken an Kampf gegen Hunger und Kälte Raum.“ 3
Währungsfrage eines der schwerwiegendsten Probleme der Weimarer Republik
Diese Beispiele und Erscheinungen spiegeln zugleich die Komplexität der mit dem Ersten Weltkrieg verbundenen Folgen für Deutschland wider und verweisen auf zentrale Herausforderungen, mit denen die Regierung nach dem Zusammenbruch der Monarchie konfrontiert wurde, auf die sie nicht vorbereitet war. Die Währungsfrage erwies sich als eines der schwerwiegendsten innenpolitischen Probleme seit der Gründung der Weimarer Republik. Sie belastete im Jahre 1923 in Deutschland nicht nur die Wirtschaft, sondern stellte mit ihren weitreichenden, verhängnisvollen Auswirkungen alle Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft vor bisher nicht gekannte Schwierigkeiten.
Belastungen aus Versailler Vertrag beschleunigen Inflation
Der rapide Verfall der Währung war jedoch nicht ursächlich auf den im Jahre 1923 die Politik und die Öffentlichkeit beherrschenden Ruhrkampf zurückzuführen, sondern vor allem als Erblast des Kaiserreiches – infolge der durch ungedeckte Kredite finanzierten Kriegsausgaben – zu betrachten. Geringes Steueraufkommen der Wirtschaft nach dem Krieg und zugleich hohe Staatsausgaben für Kriegsfolgekosten (Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft, Rückführung und Wiedereingliederung der Soldaten, Hilfsleistungen für Arbeitslose, Flüchtlinge und Verwundete) sowie die Belastungen durch Demontagen und Reparationen in Verbindung mit dem Versailler Vertrag beschleunigten den Wertverfall des Geldes. Am Ende des Krieges im November 1918 hatte die Mark gegenüber dem Dollar erst etwa 50 Prozent ihres Wertes eingebüßt. In der Folgezeit, insbesondere ab 1921, beschleunigte sich die Inflation zusehends.
Warenknappheit, Preistreibereien und Kapitalflucht ins Ausland
Während die Gold- und Devisenbestände des Reiches nun dahinschwanden und sich die Regierung aufgrund geringer Staatseinnahmen außerstande zeigte, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, führte der Versuch der Reichsbank, durch eine expansive Kreditpolitik zur Belebung der Wirtschaft beizutragen, zu einem nicht mehr zu überschauenden Geldüberhang und einer zunehmenden Geldentwertung. Weitere Folgen waren Warenknappheit, Preistreibereien, Spekulationen und Kapitalflucht ins Ausland. Die Ausgaben für den Ruhrkampf verstärkten diese inflationäre Entwicklung noch. 4