Die eigentlichen Feierlichkeiten begannen, wie von dem Konsistorium vorgeschlagen, in der Stadt Celle am 30. Oktober. Das Hauptereignis am Vorabend des Reformationstages war die Aufführung des Oratoriums „Gustav Adolf“ von Max Bruch. Das 1898 erstmals aufgeführte Oratorium „Gustav Adolf“ handelt von der Befreiung Deutschlands vom römisch-katholischen Joch durch den protestantischen Schwedenkönig Gustav Adolf und seinem Pagen August von Leubelfing, die beide im Dreißigjährigen Krieg 1632 ihr Leben ließen. Max Bruch deutet den Dreißigjährigen Krieg in seinem Oratorium nicht als eine Kette von Gräueltaten, sondern als Feld der Ehre für den Heldenkönig und seinen deutschen Pagen, „in dem alle guten Geister des deutschen Volkstums lebendig werden, der in deutscher Treue dem geliebten Herrn lebend und sterbend sich gesellt.“ Der Celler Oratoriumsverein hatte seit Monaten unter Mitwirkung angereister Solosänger das Stück einstudiert. Die Celler Premiere am 30. Oktober in der Stadtkirche war so gut besucht, dass es zu einer zweiten Aufführung am 1. November kam, zu der dann die gedruckten Programmzettel verfügbar waren.
Der Hauptgottesdienst am 31. Oktober in der Celler Stadtkirche war „ziemlich gut besucht“, wie die CZ berichtete, denn die städtischen Amtsstuben blieben am Vormittag geschlossen. Der Oberbürgermeister Denicke äußert sich in seinem Kriegstagebuch anerkennend über die Predigt des Superintendent Röbbelen, der allem die Berechtigung absprach, was gegenwärtig „der getreuen Orthodoxie entgegentritt“. Es blieb nicht das einzige Mal, dass innerkirchliche Differenzen bei Veranstaltungen durchscheinen. Seit längerem hatten im Deutschen Reich liberale evangelische Theologen wie Ernst Troeltsch begonnen, sich von den zuvor gefeierten deutschen „Ideen von 1914“ und der einseitigen nationalen Vereinnahmung des Reformators zu distanzieren. Diese Theologierichtung fand bei den Celler Reformationsfeiern keinen Fürsprecher.
Während anderenorts vormittags „wie alljährlich, aber dem Ernste der Zeit angemessen“ dem Reformationsfest gedacht wurde, war in Celle für den Nachmittag die zentrale Feier aller Schulen der Stadt und Gemeinde Celle angekündigt. Nach den Aufzeichnungen der Deutschen Seewarte war es ein typisch norddeutscher, grauer und nasskalter Nachmittag, als sich gegen 14.30 Uhr die oberen Klassen der Celler Schulen im Französischen Garten versammelten, bevor um 15 Uhr die Schüler in einem gemeinsamen Zug zum Festgottesdienst in die Stadtkirche geleitet wurden. In seinem Tagebuch notierte der Oberbürgermeister 4000 Schülerinnen und Schüler seien in dem Zug mitgegangen. Diese Teilnehmerzahl ist wohl eher eine „gefühlte“ Größe. Das Evangelisch-lutherische Gemeindeblatt berichtet von „Tausenden von Schulkindern“ aber auch hier dürfte der Plural hoch gegriffen sein, wenn man bedenkt, dass die Stadtkirche heute für etwas mehr als 1000 Besucher Platz bietet. Auf jeden Fall dürfte es ein beeindruckender Nachmittag gewesen sein, über den die Schulchronik der Neustädter Schule geradezu überschwänglich berichtet: „Von den einzelnen Schulen wurden die Kinder geschlossen nach dem Französischen Garten geführt, wo die Aufstellung des Festzuges erfolgte. Dieser bewegte sich sodann unter Glockengeläut über die Magnus- und Westcellertorstraße am Schloss vorbei nach der Stadtkirche. Im Mittelpunkte der Feier, die von den kräftigen Reformationsgesängen und Chorliedern der einzelnen Schulen umrahmt wurde, stand die Festrede des Pastors Wittrock, die den Kindern das wertvolle Gut der Reformation sich offenbarend in dem glühendstarken Ringen und Durchhalten des deutschen Volkes im großen Weltkriege, vor die Seele stellte. Unvergessen wird die schlichte und doch wirkungsvolle Feier einem jeden Teilnehmer bleiben.“ Für die anwesende Schuljugend reklamierte der Pastor eine Art „special relationship“ zwischen den damals lebenden Deutschen und Luther. So wurde das Jubiläum für die Stärkung des nationalen Zusammenhalts der Kriegsgesellschaft vereinnahmt.
Abgeschlossen wurde der Tag um 20 Uhr mit der zentralen Jubiläumsfeier der vier lutherischen Gemeinden wiederum in der Stadtkirche mit Ansprachen von vier Pastoren. Die Wortbeiträge wechselten ab mit musikalischen Darbietungen verschiedener Kirchenchöre und Gemeindegesang. Über den Abend hinaus fand vor allem die Ansprache des damals 55jährigen Pastor Hermann Crome aus der Gemeinde Celle-Neuenhäusen zum Thema „Ein feste Burg ist unser Gott“ Beachtung und wurde mehrfach abgedruckt. Während heute das Lied mit Blick auf Luthers persönliche Notsituation Ende der 1520er Jahre interpretiert wird, diente es im Jahr 1917 als nationaler Weckruf der Kriegsgesellschaft. Der Pastor sah in dem „schauerlichen Gottesgericht des Weltkrieges, das über uns dahinbraust, in den furchtbaren inneren Kämpfen, welche zugleich unsere Kirche bedrohen, in dem Ersterben des geistlichen Lebens, in einem Abfall der Massen wie nie zuvor“ den Satan wirken. Wenig Rücksicht nahm er auf das katholische Drittel der Bevölkerung Preußens und wetterte: „Ein Drittel unserer deutschen Brüder ist mit uns in der berannten Burg und – verachtet und verwirft doch unsere Festfreude als verderblichen Irrwahn und lauert mit Eifersucht nur darauf, ob wir auch den Burgfrieden stören, ob nicht die Gelegenheit günstig sei, jetzt noch nach 400 Jahren unser mächtig zu werden im geistlichen Krieg.“ In einer Stadt, in der 93,53 Prozent der Einwohner dem evangelischen Glauben angehörten und die Katholiken mit 5,8 Prozent in der absoluten Minderheit waren, dürften solche Ausfälle kaum Widerspruch hervorgerufen haben. Auch an dem Zustand der eigenen Kirche lässt Pastor Crome kein gutes Haar, denn „auch in unseren eigenen Reihen innerhalb der evangelischen Kirche zeigt sich Uneinigkeit und Zerklüftung: Je größer die äußere Not, umso mehr schwankt bei vielen der Glaube und die Liebe erkaltet.“ Nur aus Martin Luther, „dem deutschen Recken, der mit einem Heldenmut ohne gleichen nur immer neue Kraft anzog durch den Glauben, je mehr die ganze Welt gegen ihn wütete und tobte“ schöpfte der Prediger Hoffnung auf Besserung. Nach dieser Eröffnungsrede und nach weiteren drei Ansprachen von Pastoren beendete Luthers Trutzlied „Ein feste Burg ist unser Gott“, diese, wie die CZ schrieb, „hehre, erhabene Feier“.
Anders als die Stadt Celle verzichteten viele der Landgemeinden aus ganz praktischen Erwägungen auf eine Vorabendvesper wie Pastor Stoffregen aus Groß-Hehlen in einem Brief an den Superintendenten Röbbelen bereits am 19. September 1917 ankündigte. Die gewünschte liturgische Feier am Vorabend könne die Gemeinde wegen mangelnder Beleuchtung der Kirche nicht durchführen, aber die Gläubigen sollten aufgefordert werden, an der Feier in der nahen Stadtkirche zu Celle teilzunehmen. Auch die Protokolle des Kirchenvorstandes zu Wathlingen belegen, dass nur ein Festgottesdienst und eine Familienfeier für den 31. Oktober geplant waren. In Beedenbostel schreibt die Schulchronik über den Vormittag, dass die Schüler im Rahmen der Reformationsfeier in der Kirche das Lutherbüchlein „Das Wort sie sollen lassen stahn“ zum Andenken an den Tag erhielten. Hier zeigte sich die Schulgemeinde großzügig und schenkte der Schule das Lutherbild: „Luther vor dem Reichstag zu Worms“ , ganz so, wie es der kultusministerielle Erlass vom August angeregt hatte.
In Winsen und im benachbarten Wietze waren am Vormittag Gottesdienste abgehalten worden. Im Winsener Heimat-Boten ist nachzulesen, dass zum Gottesdienst auch die oberen Jahrgänge aller Schulen geladen waren und nach der Predigt zu einer „Unterredung“ im Chorraum versammelt wurden. Dies war wohl eher ein mündliches Examen und keine wirkliche Gesprächsrunde, denn der Heimat-Bote führt aus: „Die Kinder waren frisch bei der Sache und zeigten in guten Antworten, daß sie aus Luthers Leben etwas Rechtes gelernt und wohlverstanden hatten.“
Die evangelischen Altenceller versammelten sich an der Luthereiche, die anlässlich des 400. Geburtstags des Reformators 1883 auf dem Lutherplatz gepflanzt worden war, bevor sie zur Gottesdienstfeier in die nahe St. Gertrudenkirchen gingen. Am Abend wohnten die Gläubigen einem „musikalischen Festspiel von Pfannschmidt“ mit Würdigungen mit Orgelbegleitung bei. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist der 1863 geborene Chorleiter und Herausgeber geistlicher Liedersammlungen Heinrich Pfannschmidt gemeint, der sich für die Wiederbelebung des Kirchenliedes einsetzte. Dies würde es nahelegen, dass in der Altenceller Kirche an diesem Abend theologische Lieder zur Aufführung kamen.
Die im Juli von der Amtskirche angeregten Gemeindefeiern fanden in den meisten Dörfern am darauffolgenden Sonntag statt, was dem Arbeitsrhythmus der Landbevölkerung eher entsprach. Diese Familienfeiern ähneln sich in den Programmpunkten und bestehen aus Vorträgen der Pastoren, die zum Teil aus anderen Gemeinden anreisten, aus Musikdarbietungen der Gemeindechöre, die Anwesenden sangen Lutherlieder, wobei auch hier „Ein feste Burg ist unser Gott“ eine herausgehobene Stellung einnahm. Darüber hinaus berichten die Kirchengemeinden in Wathlingen, Nienhagen und Groß Hehlen an das Königliche Konsistorium in Hannover, dass im Rahmen ihrer Familienfeiern obendrein die Broschüre des Erlanger Kirchengeschichtsprofessors Hans Preuß „Unser Luther“ zum Preis zwischen 50 und 80 Pfennig verkauft wurde.
Aus Anlass des Jubiläums waren zahllose Publikationen erschienen, in denen Martin Luther als „Mann von Erz“ das nationale Selbstbewusstsein der Deutschen kräftigen und den Bürgern im Land Zuversicht und Stärke in den Kriegszeiten erhalten sollte. Neben den erwachsenen Gläubigen war die Schuljugend der Adressat für diese Broschüren, die entweder durch die evangelischen Kirchengemeinden oder durch den Schulträger angeschafft worden waren. Wurden diese Druckerzeugnisse nicht am Rande der Festgottesdienste oder der Familienfeiern verteilt, so erhielten die Schüler sie in gesonderten Veranstaltungen meist am Tage nach der Reformationsfeier. Die Chronik des Kaiserin Auguste-Viktoria Gymnasiums notiert akribisch, dass der Schule 10 Exemplare der dreibändigen Monographie „Martin Luther“ von J. v. Donet[h] und 102 Broschüren „Unser Reformator Dr. Martin Luther“ von Paul Kaiser übergeben wurden. Ob die KAV-Schülerinnen mehr als pflichtschuldigen Dank äußerten, ist nicht überliefert. Dies waren nicht die einzigen Festschriften, mit denen die Schule bedacht wurde, denn auf einem leider recht unvollständigen Handzettel, der sich im Archiv der Stadtkirche fand, heißt es, dass dem KAV 273 Exemplare einer „Festschrift“ übereignet wurden. Leider ist dem Notizzettel nicht zu entnehmen, mit welchem Titel im Oktober 4629mal die Celler und Winsener Schulen versorgt wurden.
Der Reformationstag verlief in Celle und den umliegenden Dörfern im Wesentlichen nach dem vom preußischen Unterrichtsministerium in Berlin und dem in Hannover ansässigen Königlichen Landeskonsistorium vorgegebenen Programmrahmen. Allerdings verschoben die Gemeindepastoren das ein oder andere Element je nach den in der Gemeinde vorgefundenen Bedingungen. Vor allem auf den Dörfern wurde die „Familien-„ oder „Gemeindefeier“ oft auf den darauffolgenden Sonntag gelegt, um die Gläubigen nicht nach einem langen Arbeitstag noch einmal zu versammeln. Sofern es vor Ort genügend evangelische Schuljugend gab, wurde ein eigener Schulgottesdienst wie in Celle gefeiert, oder innerhalb des Gottesdienstes wurde ein Teil für die Jugend eingeplant, wie in Winsen. Broschüren wurden in Celle in Mengen verteilt, von denen ein großer Teil auf Celler Dachböden schlummern dürfte, denn in den Archiven finden sich keine Belegexemplare mehr.