Gestern Mittag gegen 12.30 Uhr fällte die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Lüneburg im Saal des Amtsgerichtes Celle ihr Urteil über den 23jährigen kurdischen Arbeiter Ismet H.: drei Jahre Freiheitsentzug wegen Vergewaltigung und lebenslänglich für Mord, Übernahme der Kosten des Verfahrens und der Kosten der Nebenkläger, Einzug seines Pkw. Damit folgte das Gericht weitgehend den Anträgen des Staatsanwaltes und des Nebenklägervertreters. Lediglich bei der Strafzumessung für die Vergewaltigung blieb es mit drei Jahren unter dem Antrag des Staatsanwalts, der fünf Jahre gefordert hatte.
Prozess gegen Ismet H. droht kurz vor Urteil zu platzen
Um 11 Uhr sah es noch so aus, als würde der Prozess platzen, nachdem Nebenkläger-Vertreter Dr. Kerstan dem Gericht ein anonymes Schreiben übergab, das er am Morgen in seinem Briefkasten fand. Dort stand lapidar der Satz: „Der Täter ist...“, und dann folgten Name und Adresse eines Mannes, eines deutschen Einwohners in Celle. Pflichtgemäß ging der Vorsitzende Richter der neuen „Spur“ nach, hatte sehr schnell herausgefunden, um wen es sich bei der anonymen Schreiberin handelte und ließ sie von der Polizei als Zeugin herbeiholen.
Anonymes Schreiben bringt keine neue Spur im Mordfall
In der Zwischenzeit erfuhr er von Oberstaatsanwalt Waechter und Kriminalhauptmeister Häder, dass die Schreiberin einschlägig bekannt dafür ist, ihren vor sechs Jahren von ihr geschiedenen Ehemann ständig der schlimmsten Delikte zu beschuldigen, unter Verfolgungswahn zu leiden und sich dementsprechend in ärztlicher Behandlung befand. Die 59jährige Rentnerin kam, gab zu, diesen Brief nachts um 0 Uhr in den Kasten geworfen zu haben und begründete ihre Anschuldigung mit einem Traum, den sie mal vor langer Zeit hatte und der ihr am Dienstagnachmittag wieder eingefallen war. Der Vorsitzende Richter Diederichs machte sich trotz der Absurdität der Anklage die Mühe, die Frau näher zu befragen, auch Verteidiger Deckmann hakte noch ein bisschen nach — schließlich verzichtete man auf eine Vereidigung und konnte sich nach eineinhalb Stunden endlich wieder den ernsthaften Fakten dieses Prozesses widmen.
Ismet H. beteuerte seine Unschuld am Amtsgericht Celle
Zur Folge hatte dieser Zwischenfall, dass dem Angeklagten zwei weitere Male das „letzte Wort“ eingeräumt werden musste. Ebenso wie beim „letzten Wort“ am Tag zuvor beteuerte Ismet H. auch jetzt seine Unschuld: „Ja, ich möchte sagen, ich habe so etwas nie in meinem Leben gemacht. Bitte, nehmen Sie noch einen neuen Sachverständigen, der die Fasern überprüft. Herr Richter, wenn Sie mich bestrafen — was soll ich da machen?“ Diesen neuen Antrag lehnten Staatsanwalt und Gericht mit der Begründung ab, es gebe ausreichend Stellungnahmen der Sachverständigen.
Der Verteidiger hielt den Beweisantrag dagegen für berechtigt, wieder hatte der Angeklagte ein „letztes Wort“ und wieder sagte er: „Ich habe mit dieser Sache nichts zu tun, auch wenn Sie mich bestrafen.“