Gedenken an ICE-Unglück

"Die Zeit heilt nicht alle Wunden"

Es ist das schwerste Zugunglück in der bundesdeutschen Geschichte und am Samstag, 3. Juni, jährt sich der Unglückstag zum 25. Mal. Zeit zum Gedenken und für Erinnerungen.

  • Von Cellesche Zeitung
  • 26. Mai 2023 | 12:50 Uhr
  • 02. Juni 2023
Am Mahnmal für das schwerste Zugunglück in der bundesdeutschen Geschichte, der ICE-Katastrophe von Eschede, stehen die Kirschbäume in vollem Laub. Jeder Baum symbolisiert eines der 101 Todesopfer. Am 3. Juni jährt sich der Tag des Unfalls zum 25. Mal. 
  • Von Cellesche Zeitung
  • 26. Mai 2023 | 12:50 Uhr
  • 02. Juni 2023
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Eschede.

Mit 200 Stundenkilometern prallt der Intercity-Express 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" am Vormittag des 3. Juni 1998 gegen eine Betonbrücke. Ursache des Unglücks in Eschede ist ein gebrochener Radreifen, der sich an einer Weiche vor der Brücke verhakt hat. Bei dem bislang schwersten Bahnunglück in der bundesdeutschen Geschichte kommen 101 Menschen ums Leben, 105 Reisende werden verletzt. Die Namen der Opfer sind an der Gedenkstätte Eschede auf Betonstelen nachzulesen. Das Unglück jährt sich nun zum 25. Mal.

Ein Luftbild zeigt das Ausmaß der Verwüstung durch das ICE-Zugunglück in Eschede bei Celle. Der Intercity-Express 884 war dort mit Tempo 200 gegen eine Betonbrücke geprallt und entgleist. 101 Menschen kamen bei der Katastrophe ums Leben. 

Heinrich Löwen schreibt Buch über Zugunglück von Eschede

25 Jahre danach ist der verheerende Unfall für Hinterbliebene und Helfer immer noch sehr präsent. Der Zug war auf dem Weg von München nach Hamburg. Heinrich Löwen, Sprecher der Hinterbliebenen, hat zum Jahrestag ein Buch mit dem Titel "ICE 884 – nach der ICE-Katastrophe von Eschede, Erinnerungen, Erfahrungen und Erkenntnisse" geschrieben. Er betont, das gemeinsame Erinnern und Trauern sei wichtig.

Viele Angehörige sind älter und einsamer geworden

"Es ist keine Geschichte, die man so abhakt, das rührt einen schon an", sagt der 78-jährige Bayer, der damals seine Ehefrau und Tochter verloren hat. "Es ist nicht unbedingt leichter als früher, viele von uns sind auch älter geworden." Und damit manchmal auch einsamer. So ein Tag rufe einiges hervor.

Heinrich Löwen, Sprecher der „Selbsthilfe Eschede“, wird auch am 25. Jahrestag zum Gedenken sprechen.

In seinem Buch beschreibt er den langen Kampf um Entschädigung (30.000 Mark pro Todesopfer) und die Enttäuschung über die juristische Aufarbeitung. Ein Strafverfahren gegen die Bahn und den Radreifenhersteller wurde 2003 eingestellt. "Ich kann jetzt über das Verhältnis zur Bahn nicht klagen, aber der Unfall war absolut vermeidbar", sagt Löwen. Die Kontrolle der Räder sei vernachlässigt worden, es habe kein Bewusstsein gegeben, dass ein Rad brechen kann.

"Es ist so lange Zeit vergangen, viele sagen, es muss jetzt gut sein. Aber für die Betroffenen ist es eine sehr schwere Erinnerung", sagt Psychologe Georg Pieper über die Folgen einer Katastrophe wie Eschede. "Es geht vielen vor dem Jahrestag schlecht, es herrscht eine große Anspannung." Pieper hat Opfer und Angehörige der ICE-Katastrophe betreut. Er gilt als einer der erfahrensten Trauma-Experten und war auch nach dem Amoklauf von Erfurt 2002 und dem Grubenunglück von Borken 1988 im Einsatz.

Eine Betonstele steht an der Gedenkstätte für die Opfer des ICE-Unglücks von Eschede im Landkreis Celle.

"Ich finde solche Gedenkfeiern sehr wichtig, um die Toten zu ehren und dem Leid der Betroffenen gerecht zu werden. Es wird nichts geheilt, aber schweigen ist noch schlimmer", sagt Pieper. "Es ist schon so, dass vieles verblasst. Aber für viele Angehörige ist es so, als wäre es gerade passiert. Da spielt Zeit keine Rolle", erklärt er.

Nach so vielen Jahren würden viele versöhnlicher auf das Geschehene blicken, das sei hilfreich. "Die Zeit heilt nicht alle Wunden, macht aber ruhiger, besonnener." Das passiere bei Menschen, die viel darüber geredet und auch geweint hätten, erklärt der Krisenpsychologe. Menschen, die sich zurückziehen, verbitterten dagegen oft.

Auch dieses Jahr gibt es wieder eine. Mit einem ökumenischen Gottesdienst wird am kommenden Freitag um 19 Uhr in der in der Johanniskirche Eschede mit Regionalbischof Stephan Schaede und Superintendentin Andrea Brugk-Lempart der Opfer gedacht. Ebenfalls am Freitag wird zu einer Blutspende in Erinnerung an die vielen Verletzten aufgerufen - von 16 bis 19 Uhr in der Escheder Glockenkolkhalle. Am Samstag, 3. Juni, werden sich – wie in jedem Jahr – um 10.59 Uhr, also dem Zeitpunkt des Unglücks, Hinterbliebene, Opfer und weitere Besucher zu einem ruhigen Innehalten und stillen Gedenken am Mahnmal in Eschede versammeln. An der Wand mit den Namen der Opfer werden Blumengebinde niedergelegt. Heinrich Löwen, der Sprecher der Selbsthilfe Eschede, wird einige Worte sagen, ebenso die Zugbegleiterin Angelique Koch. Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover, wird ein Gebet sprechen.

Schematische Darstellung des Unfallhergangs

Schematische Darstellung des Unfallhergangs

Daran anschließen wird sich eine Gedenkfeier mit Ansprachen auf der Fläche oberhalb des Mahnmals. Zuerst wird Richard Lutz, Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Bahn AG, zu Wort kommen, als Redner schließt sich ihm dann Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Digitales und Verkehr, an, gefolgt vom niedersächsischen Verkehrsminister Olaf Lies (SPD). Im Anschluss haben Ilse Aigner, Präsidentin des Bayerischen Landtags, Eschedes Bürgermeister Heinrich Lange sowie der damalige Einsatzleiter und Ehrenkreisbrandmeister des Landkreises Celle, Gerd Bakeberg, und Heinrich Löwen als Sprecher von Selbsthilfe Eschede das Wort.

Verbindende Worte wird Udo Steiner, Ombudsmann der Deutschen Bahn AG, sprechen. Die Deutsche Bahn hat angekündigt, dass – wie stets am Jahrestag des Unglücks – zwischen 10.30 und 12.30 Uhr alle Züge die Unglücksstelle mit maximal 60 Stundenkilometer passieren werden.

Von Britta Körber und Maren Schulze