Das ist nun wirklich eine harte Nuss: Wer die neueste Produktion des Staatsschauspiels besuchen will, braucht starke Nerven. „Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs“ von Milo Rau im Ballhof Zwei ist in mehrfacher Hinsicht ein irritierender Abend. Die Übernahme vom Volkstheater Wien, die im hannoverschen Repertoire verbleibt, bestreitet das neue Ensemblemitglied Anja Herden allein, jedoch in zwei verschiedenen Rollen. Zu Beginn sehen wir sie per Videoeinspielung auf der Leinwand als Consolate Sipérius, die aus Burundi stammt, die Ermordung ihrer Eltern mitansehen musste und später von einem deutschen Paar adoptiert wurde. Dann erscheint Herden leibhaftig und berichtet als ehemalige Entwicklungshelferin im Kongo von ihren Erfahrungen. Für diesen Part muss die Darstellerin, Tochter einer Deutschen und eines Nigerianers, hellhäutig geschminkt werden.
Grenze zur Unerträglichkeit
In charmantem Plauderton reflektiert sie zunächst die Situation des theaterspezifischen Hier und Jetzt, driftet nach und nach in die Erinnerungen an den Bürgerkrieg zwischen Hutu und Tutsi, bis ihre Schilderungen die Grenze zur Unerträglichkeit streifen. Das anfänglich immer wieder aufblitzende Übersprungs-Lächeln ist nun verschwunden. Herden spricht, als würden ihr die Sätze gerade erst einfallen, verhaspelt sich gekonnt und bezieht völlig hemmungslos die Souffleuse ins Spiel ein. Wie spricht sich dieser schwierige Name noch mal aus? Ist das jetzt die richtige Dia-Projektion? Ach ja, und den nächsten Textblock würde die Darstellerin lieber auslassen.
Text wütet gegen alles
Die Arbeit für eine so genannte NGO, also eine Nichtregierungsorganisation, ist ja prinzipiell eine ehrenhafte Sache, gleichwohl wirkt die Figur nicht sympathisch. Sie ist mal naiv, mal überheblich angelegt; im unpassendsten Moment sinniert sie über Beethoven-Musik oder sehnt sich nach ihrer Yoga-Matte. Das ist das große Problem des Abends, das auch Regisseur Alexandru Weinberger-Bara nicht in den Griff gekriegt hat, vielleicht gar nicht kriegen konnte: Der Text wütet gegen alles, erfasst nicht nur die verübten Gräueltaten, sondern auch das Gutmenschentum und das Theater, das sich ja häufig aus der Beschäftigung mit dem Elend speist. Natürlich ist nichts von alledem unberechtigt, wenn aber unter dem Strich ein großer Kahlschlag aus der Aufführung wird, darf man die Sinnfrage stellen.
Von Jörg Worat