Kartoffel-Projekt: Celler ackern für die Vielfalt

Sie ist eine Südamerikanerin, deren Siegeszug sie um den ganzen Globus geführt und sie zur Weltbürgerin gemacht hat: Die Kartoffel, von der es über 2000 Sorten gibt, steht wie kaum eine andere Pflanze für Biodiversität. Der Erhalt der Artenvielfalt ist Hauptanliegen der CZ-Aktion „Celle blüht auf“. Zeit also, dass die „tolle Knolle“ einmal zeigen kann, was sie alles drauf hat. Damit das funktioniert, haben sich mindestens ebenso tolle Aktions-Partner gefunden, die mit Sachverstand und Liebe einen einzigartig vielartigen Kartoffel-Acker anlegen, auf dem es in diesem Sommer so richtig bunt zugehen soll. Und na klar: Am Ende wird zünftig gefeiert. Schüler kümmern sich um die tolle Knolle: Ackern für die Vielfalt – das steht auf dem Lehrplan der Klasse BFR AGR 21 der Albrecht-Thaer-Schule in Altenhagen. Direkt neben ihren Klassenraum haben die Berufsschüler die 2500 Quadratmeter große Fläche von Landwirt Christian Knoop aus Altenhagen so vorbereitet, dass jetzt 18 ganz unterschiedliche Kartoffelsorten gesteckt werden können – von Hand natürlich, denn für ein paar Reihen einer Sorte wäre modernes Großgerät Fehl am Platz. Obwohl: So ganz ohne Technik gehen die angehenden Landwirte, die hier ihr Handwerk von der Pike auf lernen, nicht ans Werk. Sie vertrauen auf Opas Kartoffelsetzmaschine. „Das Gerät aus der Nachkriegszeit haben wir in letzter Sekunde noch auf dem Speicher meines Schwiegervaters gefunden“, sagt Lehrerin Inga Rabe: „Zum Glück hebt der so was auf.“ Millimeterarbeit mit Opas altem Gerät: Lehrer Dennis Gramm hat die mindestens ein halbes Jahrhundert alte Maschine so modifiziert, dass sie an einen modernen Traktor montiert werden kann. Leni Pennert und Maleen Polz schwingen sich auf die Blechsitze, von denen aus sie das Gerät per Hand mit Saatkartoffeln füttern, und los geht‘s. Aber nicht einfach so: Die ganze Klasse hilft dabei, den Trecker exakt so auszurichten, dass er eine gerade Furche zieht und die Kartoffeln in einem Abstand von 30 Zentimetern ausgelegt werden. Hier wird nichts „irgendwie“ gemacht. Auch auf diese Akkuratesse komme es an, sagt Schulleiterin Sibylle Bolurtschi: „Das Tolle an diesem Projekt ist unter anderem, dass es so handlungsorientiert ist. Hier wird Theorie in die Praxis umgesetzt.“ Vielfalt steht im Mittelpunkt: „Kartoffelprojekt“ – diesen schlichten Titel hat das Vorhaben, das die CZ, das Landvolk und die Albrecht-Thaer-Schule gemeinsam entwickelt haben. Wir wollen zeigen, welche Vielfalt unsere Äcker hervorbringen können, wenn sich Profis darum kümmern – denn „von allein“ wächst heute längst nichts mehr. Celles Landvolk-Geschäftsführer Martin Albers und seine Kollegin Anna-Maria von Harling schoben die Koordination des Projekts an, bei dem immer mehr Menschen mitmachen. Auch die jungen Leute mussten nicht erst lange überredet werden: Sie haben Lust darauf, die vielfältige Kartoffel-Welt als ihr Ding bis zur Reife und Ernte zu bringen. „Diese Diversität prägt auch unsere Schule“, sagt Bolurtschi: „Bei uns haben wir ganz viele verschiedene Charaktere und Mentalitäten – alle zusammen sind ein faszinierendes Ganzes.“ Auch „Kartoffel-Rebell“ ist mit im Boot: Die Idee vom kunterbunten Kartoffelacker fand in der Fachwelt sogleich Anklang: Ein großer Teil des Saatguts wurde von der Firma Europlant gespendet, und die richtigen Exoten stammen aus der Zucht der Familie Ellenberg aus Barum. „Kartoffel-Rebell“ Karsten Ellenberg ist der Mitbegründer des Freundeskreises Linda und einer der prominentesten bäuerlichen Erhalter alter und traditioneller Kartoffelsorten. Auf seinem Bauernhof erhält er über 180 wertvolle, zum Teil extrem seltene Kartoffelsorten in Bioqualität. Ihm ist es insbesondere zu verdanken, dass die Linda-Kartoffel heute noch und wieder angebaut werden kann. Speisekartoffeln wie das Bamberger Hörnchen (Bamberger Krumbeere), die Rote Emmalie, die Blaue St. Galler oder die finnische Mandelkartoffel Puikula vom Ellenberg-Hof – sie sind nicht nur einfach interessant oder putzig. Sie stehen für die Artenvielfalt, für einen riesigen Genpool, den es zu erhalten gilt, wenn man auch in Zeiten des Klimawandels immer noch ein passendes Kartoffel-Ass im Ärmel haben will. Ein paar Tonnen werden wir ernten: In Altenhagen sind mittlerweile alle Kartoffeln in der Erde. „Wir sind auf 58 Reihen gekommen, die restliche Fläche wartet auf die Süßkartoffeln, die erst nach den Eisheiligen gepflanzt werden“, sagt Inga Rabe. „Wenn alles gut geht, werden wir ein paar Tonnen echt besonderer Kartoffel ernten“, schätzt Dennis Gramm. Und dann? Am Schluss gibt's ein großes Fest: Dann wird gefeiert. Wir wollen zusammen mit dem Cellern die Kartoffel zelebrieren, wollen sie hochleben lassen – und natürlich aufessen. Das Kartoffelfest am 25. September soll eine urige Party auf dem Acker werden, mit einem bunten Programm, bodenständig und abwechslungsreich. So abwechslungsreich wie die Kartoffel, die man an diesem Tag natürlich auch selber stoppeln kann. Bis dahin sind es noch ein paar Monate, in denen wir uns um die kartoffelige Vielfalt kümmern wollen. Zitrone des Nordens: Apropos Vielfalt. Schon gewusst? Das deutsche Wort Kartoffel leitet sich vom italienischen Begriff Tartufolo (Trüffel) her. In vielen Dialekten haben die Knollen aber ganz andere Namen: Arber, Ärpel, Bramburi, Bulwe, Eachtling, Erdapfel, Erdtoffel, Erdbirn, Erpfel, Flezbirn, Gromper, Grübling, Grumbeere, Grumbiere, Grundbirn, Kästen, Knulle, Krumbiir, Krumbeer, Nudel, Potacke, Schucke, Töfte, Toffel oder Töffelen. Und wir Celler Heidjer vom drögen Hochdeutsch-Nabel-der-Welt – wie nennen wir die Kartoffel? Erraten: Kartoffel. Oder aber – etwas poetischer: Zitrone des Nordens. Denn wussten Sie, dass die Kartoffel zu den wichtigsten Vitamin-C-Lieferanten zählt?