Depot der Straßenbahn : Als die Elektrische noch durch Celle fuhr

Am 2. November 1907 schilderte Major z. D. Hermann Pfingsten in der Celleschen Zeitung von einer denkwürdigen Begebenheit: „Präzise eineinhalb Uhr fuhren die drei Wagen der elektrischen Straßenbahn von der Haltestelle vor dem Berggarten ab zur freien Fahrt für die Teilnehmer bis zum Neustädter Holz und zurück zur Stadt, wo die Wagen um zwei beziehungsweise zweieinviertel Uhr den fahrplanmäßigen Betrieb aufnahmen.“ Harry Trüller treibende Kraft für Einführung der Straßenbahn: Vorher habe auf dem Berggarten ein Frühstück stattgefunden, bei dem „preisend mit viel schönen Reden“ 70 Herren versammelt waren. „Man brachte Hochs aus auf die Staatsbehörden, auf die Stadt Celle und auf den Oberbürgermeister Denicke, nicht auf Harry Trüller, trotzdem man nicht umhin konnte, zu erwähnen, daß er bei den Plänen und dem Bau die treibende Kraft war“, erinnerte die CZ am 2. November 1957 zum 50. Geburtstag der Celler Straßenbahn. Die Elektrische fuhr an diesem Tag aber schon nicht mehr durch Celle. Letzte Fahrt mit der Celler Straßenbahn: „Ich habe die letzte Fahrt mitgemacht“, erzählt Klaus Effinghausen (Jahrgang 1947). Vom „Abschied von der lieben Celler Straßenbahn“ berichtete die CZ am 4. Juni 1956: „Irgendwie waren die Menschen ergriffen. Jeder war sich über die Notwendigkeit der Einstellung unserer ehrwürdigen Bahn im klaren, aber jetzt, wo es Abschiednehmen galt, waren die Anwesenden doch sehr bewegt. Man stieg einfach nicht aus dem letzten Straßenbahnwagen, sondern begleitete ihn bis zum Depot, und auch dort verließ man ihn erst ganz langsam.“ Straßenbahn-Depot an Lüneburger Straße: Dass das Depot an der Lüneburger Straße beheimatet war, wussten viele Celler. „Meine Schwester und ich waren öfter da“, erzählt Rosemarie Heuduk (Jahrgang 1939). „Unser Vater hat dort die Busse repariert.“ Das Depot für die Busse sei unten gewesen, der Schuppen für die Straßenbahnwagen weiter oben. „Auf dem heutigen Parkplatz sieht man noch ein bisschen was“, sagt Klaus Steiner (Jahrgang 1963), der sich auf seiner Internetseite mit der Geschichte der Celler Straßenbahn beschäftigt. „Die heute mit Efeu bewachsene linke Wand des Parkplatzes ist eine Wand des unteren Depots.“ Am Böttcherheim existiert noch Halterung für Stromleitungen der Straßenbahn: Während seiner Recherche zur Straßenbahn hat er Hans-Karsten Wenzel (Jahrgang 1940) kennengelernt, der der CZ einige Bilder, Zeichnungen und Dokumente zur Verfügung gestellt hat. „Am Böttcherheim findet man an der Holzvertäfelung des ersten Stocks zur Straße hin zwei Fahnenhalter und noch eine Halterung für die Stromleitungen der Straßenbahn“, erzählt der pensionierte Lehrer. Rosemarie Heuduk kennt noch eine Anekdote, die ihre Mutter immer erzählt hat. „Am Markt gab es damals ein Schuhgeschäft, die Inhaberin wohnte oben drüber“, berichtet die Zeitzeugin. „Sie guckte aus dem Fenster und wenn sie die Straßenbahn sah, rief sie ,Hallo Schaffner, warten‘. Dann ging sie runter und stieg an der Haltestelle Rathaus ein.“ Drehbühne vor dem Wagenschuppen: Winfried Jakob (Jahrgang 1938) hat mal an der Lüneburger Straße 18 gewohnt, das Haus musste schließlich der Einfahrt zum AKH weichen, wie er erzählt: „Am Siemensplatz war die letzte Haltestelle vor dem Depot, wir waren sieben bis acht Jungs und sind oft bis zum Depot mitgefahren. Dann sind wir wieder runtergelaufen, um die nächste Bahn zum Depot zu erreichen.“ Das Depot sei hinter der Gärtnerei Opphoff gewesen. Besonders interessant war für die Jungs die Drehbühne vor dem Wagenschuppen. Sechs Fahrer und ein Kontrolleur bei Celler Straßenbahn: Seinen gleichnamigen Vater hat Walter Rohkamm (Jahrgang 1941) auf dem alten Foto erkannt, das in der CZ am vergangenen Samstag veröffentlicht worden ist. Er hat noch ein Bild, das die sechs Fahrer und den Kontrolleur zeigt. Die Familie habe damals in einem Haus an der Straße Im Kreise gelebt. „Mein Vater ist dort immer in die Straßenbahn gesprungen, wenn er zur Arbeit wollte“, sagt der Mann, dessen Vater vermutlich damals Hänschen Röling (Jahrgang 1940) mitgenommen hat. Der Celler erzählt, dass ihn ein netter Straßenbahnfahrer, der zwei Häuser neben seinen Großeltern wohnte, von der Blumlage mit ins Depot an der Lüneburger Straße genommen habe. „Ich durfte dann so lange ich wollte mit der Straßenbahn fahren“, sagt Hänschen Röling. Walter Rohkamm berichtet, dass sein Vater nach der Einstellung der Straßenbahn 1954 jahrelang noch mitabgebaut habe, 1958 oder 1959 wechselte er dann als Straßenbahnfahrer nach Hannover. Depot abgerissen: Hans-Karsten Wenzel hat noch einen Artikel aus der Hannoverschen Presse vom Abriss des Depots. „Jetzt fiel an der Lüneburger Straße ein Haus, das um die Jahrhundertwende einmal der Stolz der Stadt war: das alte Straßenbahndepot“, heißt es darin. Gleichzeitig sei auch die benachbarte Gärtnerei „abgeräumt“ worden. „Mit dem Abbruch des Straßenbahndepots verschwindet auch der Schauplatz des heitersten Intermezzos, das es um die Celler Straßenbahn gegeben hatte. Vom Sekretariat war kurz nach dem letzten Krieg bei scheußlichem Regenwetter ein Brief zur Innenstadt zu bringen. ,Kann ich mir 'ne Straßenbahn nehmen?‘ fragte der fahrausgebildete Bote. Die Sekretärin nahm es scherzhaft und sagte ja. Kurz darauf klingelte die Bahn zum Depot hinaus. Der Bote fuhr bis zur Westcellertorstraße, besorgte dort den Brief (Anmerkung: gemeint ist wohl „gab den Brief dort ab“) und fuhr mit der Straßenbahn munter zurück. Immerhin, er war nicht nass geworden“, schrieb die Zeitung. Allerbrücke wurde im Krieg gesprengt: Hermann Timme (Jahrgang 1928) weiß, dass einer der drei Auszubildenden immer beim Depot war, die anderen beiden bei der Bahn. „Ich bin da öfter rangefahren, die Tore standen offen und man konnte reingucken“, erzählt der ehemalige Lokführer. Da er an der Lüneburger Straße wohnte, sei er oft mit der letzten Straßenbahn bis ins Depot gefahren. „Das ging so lange gut, bis die Allerbrücke im Krieg gesprengt wurde“, sagt der Zeitzeuge. Stadtplan zeigt Depot der Straßenbahn: Einen alten Stadtplan aus dem Jahr 1925, auf dem das Depot eingezeichnet ist, hat noch Arnold Linke (Jahrgang 1930). Er sagt, dass die Straßenbahn auf Anregung von Trüller gebaut worden sei und es im Rat zunächst noch Zwist gegeben habe, ob eine elektrische Bahn oder eine, die von Pferden gezogen wird, installiert werde. Zudem erinnert sich der Celler daran, dass es am Neustädter Holz auch einen Schuppen gegeben habe. Auch Karl-Heinz Heitmann (Jahrgang 1936) berichtet von diesem grün angestrichenen Schuppen. Wagen am Neustädter Holz abgestellt: Im Verwaltungsbericht der Stadt Celle für die Jahre 1926 bis 1955 heißt es dazu: „Die Allerbrücke war in den letzten Kriegstagen zerstört und nur durch eine hölzerne Notbrücke ersetzt worden. Der Betrieb mußte dadurch notgedrungen auf Linie 1 eingestellt werden und konnte von 1945 bis 1952 nur auf der Linie 2 (Neustädter Holz – Blumläger Kirche) mit Wagen, die über die Notbrücke gebracht waren, aufrechterhalten werden. Während dieser Zeit waren die Wagen nachts in einem einfachen Holzschuppen am Neustädter Holz abgestellt.“ Mit der Straßenbahn zum TuS-Platz: Peter Lampe (Jahrgang 1941) war als Kind sonntags oft auf dem TuS-Platz. „Nach Spielschluss strömte dann alles zur Haltestelle, wo die Bahn wendete. Bei so vielen Menschen mogelte sich einer von uns, ohne zu zahlen, nach hinten durch und öffnete die durch einen einfachen Klappriegel geschlossene Tür und da sind wir dann rein“, erzählt der heutige Unterlüßer. „Erwischt wurden wir nie, weil es so voll war. Aber leider kam es einige Male vor, dass an der Union Endstation war, weil es einen Federbruch gab.“ Schwarz mit der Straßenbahn gefahren: Günther Wede (Jahrgang 1940) kennt das ganze Gelände an der Lüneburger Straße, weil sein Vater Busfahrer war. „Es war immer interessant, in der Wartungshalle zu sein“, sagt der Zeitzeuge. „Und die Straßenbahn mit hochzubringen, war was Dolles.“ An der Blumlage sei er zudem häufig auf die Straßenbahn aufgesprungen und habe sich bis zur Blumläger Schule bringen lassen. Ähnlich machten es Horst Röttmer (Jahrgang 1935) und seine Kumpels, wie CZ-Mitarbeiter Thomas Röttmer berichtet: „Mein Vater ist als Jugendlicher auf dem Rückweg von der Realschule am Heiligen Kreuz zum elterlichen Hause in der Nähe des Lüneburger Berges immer mal wieder schwarz mit der Straßenbahn gefahren, indem er beim Anfahren hinten raufsprang und sich irgendwo festhielt.“ Irgendwann habe man die lästigen blinden Passagiere dann fortgescheucht. „Man durfte sich damals nur nicht schnappen lassen. Da gab es noch die Prügelstrafe“, ergänzt Karl-Heinz Heitmann, der die Bahn auch öfter ohne Fahrschein benutzte. Dieter Frick (Jahrgang 1939), der auch an der Lüneburger Straße wohnte, erzählt, dass die erste Straßenbahn immer um 6 Uhr morgens Richtung Innenstadt gefahren sei. Sprung ins Jahr 2019: Der Celler Peer-Detlev Schladebusch hat eine historische Straßenbahn gekauft und wird diese nach Celle holen. Die Genehmigung liegt bereits vor. Jungfernfahrt: Am 1. November 1907 fuhr die erste Straßenbahn vom Depot an der Lüneburger Straße bis zur Neustädter Brücke. Zwiebackfabrikant Harry Trüller hatte sich zuvor sehr für die Einrichtung einer elektrischen Straßenbahn stark gemacht. Fahrgäste: Bereits im Jahr 1910 wurden 650.000 Menschen befördert. 1947 verzeichnete man die Höchstauslastung mit bis zu 15.000 Fahrgästen täglich. Streckennetz: In maximaler Ausdehnung befuhr die elektrische Straßenbahn insgesamt 6,3 Kilometer vom Stadtfriedhof bis zum Neustädter Holz sowie vom Bahnhof bis zur Blumläger Kirche. Wagen: Nach dem Start mit drei Wagen hatte die Straßenbahn in der Hochzeit zehn Wagen, von denen täglich fünf im Einsatz waren. Die ersten Wagen waren mit Lyrabügeln ausgestattet und wurden erst 1927/28 auf Scherenstromabnehmer umgerüstet. Die Wagen 1 sowie 3 bis 9 waren bis zur Stilllegung vorhanden. Wagen 10 wurde nach dem Krieg nach Küstrin abgegeben, wo der gesamte Fahrzeugpark zerbombt war. Wagen 2 wurde 1954 an die Verkehrsamateure zum Zerlegen zur Verfügung gestellt. Frauen übernehmen Dienst: Während des Ersten Weltkrieges war das Personal der Straßenbahn zum Kriegsdienst eingezogen, vorrangig die Ehefrauen der Fahrer wurden zu Wagenführern ausgebildet. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fanden ebenfalls zehn Frauen einen Arbeitsplatz bei der Straßenbahn. Stilllegung während der Inflation: Zwischen dem 1. Mai 1922 und dem 1. Juli 1924 fuhr die Straßenbahn aus wirtschaftlichen Gründen nicht. Fahrpreis: Nach der Wiedereröffnung bis zum Kriegsende wurde ein Einheitsfahrpreis – auch für Kinder – von 10 Pfennig erhoben. Dieser wurde dann auf 20 Pfennig erhöht. Strom aus Rathsmühle: In der Rathsmühle wurde nach einem Bericht der CZ vom 2. November 1957 zum Betrieb der Straßenbahn ein Dynamo aufgestellt, der den Strom zum günstigen Preis liefern konnte. Einer musste nachgeben: Die CZ berichtet außerdem, dass die Fahrer angewiesen waren, „vor der Abfahrt noch einmal herauszusehen, ob jemand im gemächlichen Zotteltrab angelaufen kam und noch mitfahren wollte. Wenn dann der Führer am Bahnhof zu lange auf den Kollegen warten musste, der von der Ausweichstelle an der Union kommen sollte, so fuhr er einfach los. Wenn sich beide dann an der Breiten Straße begegneten, so kam es zwar nicht zu einem Zusammenstoß, aber zu einem heftigen Wortwechsel, bis sich einer der beiden entschloß, nachzugeben und zurückzusetzen“. Sprengung der Allerbrücke: In den letzten Kriegstagen musste die gesprengte Allerbrücke durch eine Holzbrücke ersetzt werden. Die Linie 1 wurde daraufhin bis 1952 eingestellt. Tödlicher Unfall: Am 11. November 1953 wurde die 65-jährige Margarete Neumann aus Westercelle von einer Straßenbahn in der Bahnhofstraße überfahren. Sie starb an der Unglücksstelle. Ihre fünfjährige Enkelin wurde am Kopf verletzt, sie überlebte den Unfall. Die Staatsanwaltschaft sprach den Fahrer von jeglicher Schuld frei. Die letzte Fahrt: Die Celler Bevölkerung bereitete ihrer Straßenbahn am 2. Juni 1956 rührende Abschiedsszenen. Eine Ära ging zu Ende.

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