Celler Trift 20/21 : Erst Parteizentrale

"So wurde schließlich beschlossen, das Haus Trift 20 für die Aufnahme des Säuglingsheim herzurichten. Am 24. April 1953 wurde umgezogen" – so steht es im Verwaltungsbericht der Stadt Celle für die Jahre 1926 bis 1955. Beim Umzug dabei war Wilfried Beyer (Jahrgang 1943). "Ich habe in dem Haus gewohnt", erzählt der Mann, der auf dem historischen Foto links als Junge mit seiner Mutter zu sehen ist. "Mein Vater war der Hausverwalter. Die Häuser mit den Nummern 20 und 21 sind eine Einheit. " Das Haus sei 1945 von den Engländern beschlagnahmt worden, doch "wir durften unten wohnen bleiben". "Mutti Beyer", wie Wanda Beyer genannt wurde, hatte sich nämlich bereit erklärt, sich um die Heizung zu kümmern und die Hemden für die Engländer zu waschen. Gutes Verhältnis zu englischen Soldaten: Der Zeitzeuge erinnert sich an Berge von Hemden. "Bezahlt wurde mit Kaffee, Tee und Zigaretten", erzählt er. Auch Soldaten hätten in dem Haus gewohnt. "Auf dem Hof standen Jeeps und es gab Ställe für zwei Pferde", erzählt Wilfried Beyer, der von den Engländern "little boy" genannt und mit Schokolade sowie Kaugummis beschenkt wurde. "Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis, ein Engländer hat später noch jedes Jahr eine Weihnachtskarte geschickt." Besonders toll war es für den Jungen, wenn er mal im Jeep mitgenommen wurde. Lloyd Alexander in Toreinfahrt geparkt: Nach Gründung der Bundesrepublik stand das Haus Nummer 20 dann für kurze Zeit leer. Dann wurde das Waisenhaus für Säuglinge eingerichtet. Die Schwestern, Schwesternschülerinnen und Kinderpflegerinnen hätten auch in dem Haus gewohnt. "Die Leitung hatte Anneliese von Bülow, anschließend Schwester Liesbeth", sagt der Zeitzeuge, der die große Toreinfahrt Anfang der 1960er als Garage für sein erstes Auto, ein Lloyd Alexander, benutzte. Als sein Vater in den Ruhestand ging, zog die Familie 1965 aus dem Haus. Da war neben dem Säuglingsheim in dem Haus schon eine Kinderkrippe untergebracht worden. Auf Bild in der CZ wiedererkannt: Diese besuchte Frank Ratay (Jahrgang 1960) bis 1962. "Meine Mutter Ruth hat da auch gearbeitet, ich habe sie dort auch später besucht", erzählt der Mann, der am 31. Juli 1963 in der Celleschen Zeitung abgebildet war. "Das Bild muss aber vor dem Sommer aufgenommen worden sein, denn da war ich schon nicht mehr in der Krippe", berichtet Frank Ratay. Hofadel residierte in Patrizierhaus an der Trift: "Das gepflegte, alte Patrizierhaus in der Trift 21 mit den beiden stilechten Laternen gehört zu den architektonisch schönsten Gebäuden unserer Stadt. Früher residierten hier Angehörige des Hofadels, heute birgt es das Städtische Säuglingsheim und die Tagesstätte für Kleinkinder in seinen ehrwürdigen Mauern. So war es bisher und wird es im wesentlichen auch in Zukunft bleiben. Trotzdem lassen das neue Jugendwohlfahrt-Gesetz und der Mangel an Fachkräften gewissen Änderung in der Belegung des Hauses ratsam erscheinen, wie Stadtrat Dulkys auf einer der letzten Pressekonferenzen bereits andeutete und Stadtoberinspektor Meyer vom Sozialamt der CZ erläuterte", schrieb die Cellesche Zeitung am 31. Juli 1963. Belegung des Säuglingsheims an der Trift geht zurück: Die Belegung des Säuglingsheims gehe ständig zurück. "Hatte das Säuglingsheim in seinen ,Hochzeiten' bis zu 65 Säuglinge in Obhut und Pflege, so sind es zur Zeit nur noch 21", heißt es in dem Artikel. Als Grund wird angeführt, dass die "in der Hauptsache ledigen Mütter aus weitem Umkreis nach Celle kamen, in der Landesfrauenklinik, beispielsweise, ihre Kinder zur Welt brachten, diese ,dann einfach gleich hierließen' und selbst an ihre Wohnorte zurückkehrten". Nun zeige sich seit Einführung des neuen Gesetzes, dass die Heimatgemeinden ihren ledigen Müttern vielfach empfehlen würden, nicht nach Celle zu gehen oder ihre Kinder nicht in Celle zu lassen, da sie selbst irgendwelche anderen Unterbringungsmöglichkeiten eingerichtet oder zur Hand haben, die günstiger gelegen sind. "So entfällt also zunehmend der Anteil der auswärtigen Säuglinge, und die Zahl der einheimischen ist nicht groß genug, um die bereitstehenden Bettchen voll zu besetzen", schrieb die CZ. Ins Säuglingsheim gebracht: Marion Nagel (Jahrgang 1953) wurde von ihrer Mutter in dem Säuglingsheim abgegeben. Das gleiche Schicksal ereilte ihre jüngeren Geschwister. "Meine Mutter war noch sehr jung, sie war aus der DDR hierher geflüchtet und hatte nichts", sagt die Frau, die mit drei Jahren dann ins Waisenhaus an der Fritzenwiese kam. Später lebte sie dann bis zu ihrem 14. Lebensjahr mit ihren Geschwistern im Kinderheim am Behrenskamp. "Ich habe im Heim soviel gelernt und bin dankbar, da groß geworden zu sein", sagt Marion Nagel, die auch noch einen älteren Bruder hatte. Dieser starb aber im Säuglingsheim an der Trift an "inneren Masern", wie sie von ihrer Mutter erzählt bekommen hat. Kinder zur Krippe gebracht: Auch Jutta Muschard (Jahrgang 1945) erinnert sich, dass es in den Räumen der heutigen VHS in den 1950er Jahren ein Heim untergebracht war. Astrid Aulich (Jahrgang 1946) hat ihre Tochter in den 1960er Jahren in die Kinderkrippe an der Trift gebracht. Sie sei dort von 7 bis 17 Uhr gut aufgehoben gewesen, während die heutige Bavenerin bei der Firma Schadinsky an der Westcellertorstraße und ab 1964 dann beim Straßenbauamt arbeitete. Harry Schang (Jahrgang 1945), dessen Vater 1953/54 Schützenkönig wurde, erzählt, dass seine Mutter zwischen dem Umzug der Familie in den Waldweg und dem Schützenfest schwer krank geworden sei. "Oma kam aus der Eifel zur Unterstützung und nahm ein Kind mit, andere Geschwister wurden anders untergebracht in der Verwandtschaft", berichtet er. "Meine jüngste Schwester war gerade 1954 zur Welt gekommen. Sie wurde dann in der ,Krippe' untergebracht und versorgt, bis meine Mutter wieder bettlägerig nach Hause entlassen wurde und unserem Vater erzählen konnte, was er zu machen hatte." Erste Freundin arbeitete im Säuglingsheim: Wenn Eckhardt Hino (Jahrgang 1943), der bei Schlegelmilch an der Ecke Trift/Mühlenstraße eine Buchdruckerlehre absolvierte, Feierabend hatte, sah er oft Renate, die nachmittags mit dem Kinderwagen durch die Triftanlagen spazieren ging. "Sie hat in dem Säuglingsheim gearbeitet und war meine erste Freundin", erzählt der Celler. Sein Mitlehrling sei mit der Tochter der Heimleiterin, einer Constanze, zusammen gewesen. "Ein hübsches Mädchen", sagt der Mann, der morgens auch immer die Mütter beobachtete, die mit ihren Kinderwagen Richtung Krippe hetzten. Freiwillige Annahmestelle der Waffen-SS an der Trift: Aus einer anderen Zeit kann Rudolf Peterson (Jahrgang 1931) erzählen. Auf seinem Schulweg ging er immer an den Häusern an der Trift vorbei. "In dem Haus war die Hauptstelle der NSDAP", sagt er. Unter anderem habe es Schulungsräume für die Führer der Hitlerjugend und des Deutschen Jungvolks gegeben. "Außerdem war da die freiwillige Annahmestelle der Waffen-SS", berichtet der Zeitzeuge. Der NSDAP-Kreisgeschäftsführer Arnold Martens sei Mieter seiner Eltern an der Biermannstraße gewesen. "Einen Tag bevor die Alliierten einrückten, drückte er mir nachmittags seine Pistole in die Hand, die ich zur Geschäftsstelle an der Trift bringen sollte", erzählt Rudolf Peterson. Der daraufhin mit der Waffe in die Trift lief.

Celler Trift 20/21 - Erst Parteizentrale – dann Säuglingsheim