Hilger Wirtz im Interview: Ein "irres" Jahr für den MTV Eintracht Celle

Triumph und Talfahrt zwischen zwei Lockdowns: Das Jahr 2020 war für Fußball-Oberligist MTV Eintracht Celle durch höchst unterschiedliche Emotionen geprägt. Frei nach Goethe: von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Bis zur ersten Zwangspause im März überzeugte das Team als Aufsteiger mit starken Auftritten und einem beachtlichen siebten Platz, der durch den folgenden Abbruch auch die Endplatzierung in der Tabelle bedeutete. Nach Wiederaufnahme des Spielbetriebs fand die Erfolgsstory mit dem Triumph im Landespokal und der Teilnahme am DFB-Pokal ihren vorläufigen Höhepunkt. Im Liga-Alltag ging es aber dann steil bergab. Die Blau-Weißen sind nach einer Negativserie aktuell Schlusslicht in ihrer Staffel und damit akut abstiegsgefährdet. Zudem flog Eintracht als Titelverteidiger gleich im ersten Spiel bei Landesligist SV Ahlerstedt-Ottendorf aus dem Pokal. Nach dieser Partie folgte der erneute Lockdown, der Zeitpunkt des Restarts steht noch in den Sternen. Im Interview mit CZ-Redakteur Oliver Schreiber spricht Trainer Hilger Wirtz über das Wechselbad der Gefühle, die Gründe für die höchst unterschiedlichen Leistungen, die Auswirkungen der Corona-Krise auf das gesamte Team und die Aussichten für 2021. 2020 verlief für den MTV Eintracht Celle wellenförmig – mit starken Ausschlägen sowohl nach oben als auch nach unten. Wie würden Sie dieses Jahr mit einem Schlagwort umschreiben? Irre trifft es ziemlich gut. Wir haben praktisch die gesamte Bandbreite an Emotionen erlebt. Mit dem Landespokalsieg haben wir den größten Erfolg der Vereinsgeschichte errungen, als Sahnehäubchen kam noch das DFB-Pokalspiel beim FC Augsburg obendrauf. Da herrschte riesige Freude und Euphorie. Und dann kamen eben auch Frust und Enttäuschung hinzu. Einerseits durch die Lockdowns, wodurch wir uns mittlerweile einige Monate nicht treffen durften. Andererseits natürlich durch die Negativserie in der Oberliga. War der Triumph im Landespokal auch der schönste Moment in ihrer Trainerkarriere? Das kann man schon so sagen, ja. Vor allem auch in Verbindung mit dem DFB-Pokalspiel in Augsburg. Die Jungs haben sich das einfach verdient. Die Momente nach dem Schlusspfiff waren überwältigend. Ich schaue mir die Bilder immer wieder gerne an. Momentan hat man ja viel Zeit dazu … (lacht) Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße. In der neuen Oberliga-Saison hat ihr Team kein Bein mehr auf den Boden bekommen … Natürlich sind wir alle enttäuscht über den bisherigen Saisonverlauf. Aber man muss das auch differenziert betrachten. Unsere beiden Auftritte im Pokal-Halbfinale gegen Hagen und im Finale gegen Gifhorn waren fußballerisch auch wahrlich keine Glanzleistungen. Die Siege haben wir uns erkämpft. Dazu hatten wir auch das nötige Quäntchen Glück und einen Felix Krüger, der uns mit seinen Toren den Hintern gerettet hat. In der Liga hat uns das dann oftmals auch gefehlt. Und dann gerätst du schnell in einem Abwärtsstrudel. Zwischen den Leistungen aus der Vorsaison und denen in dieser Spielzeit liegen dennoch Welten … Ja, wir sind weit weg von unserem Niveau aus dem Vorjahr. Und wir stehen demnach auch völlig zu Recht da unten drin. Das war in allen Belangen zu wenig, vor allem im fußballerischen Bereich. Wir haben uns einfach zu viele individuelle Fehler geleistet, taktisches Fehlverhalten kam noch hinzu. Und das kannst du dann auch nicht alleine durch Kampf kompensieren, zumal kaum ein Spieler zumindest Normalform hatte und auch physisch nicht voll auf der Höhe war. Ist das Einstellungssache? Nein, die Einstellung stimmt. Da lasse ich nichts auf die Jungs kommen. Charakterlich sind sie über jeden Zweifel erhaben. Woran liegt es dann? Da kommen einige Faktoren zusammen. Man darf nicht vergessen, dass uns vier wichtige Leistungsträger weggebrochen sind. Mit Lutscho (Lars Borchert, die Red.) und Malte (Marquardt) fehlen uns beide Innenverteidiger, die jahrelang mit ihrer Erfahrung unseren Defensivverbund zusammengehalten haben. Hinzu kommt noch Eddy (Merchas Doski), der mit seiner Dynamik unheimlich viel Druck über die linke Seite gemacht hat. Nicht umsonst ist er ja jetzt Profi in Österreich. Und natürlich fehlt uns durch seinen Kreuzbandriss Hilli (Hilger von Elmendorff), der im zentralen Mittelfeld das perfekte Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff war. Diese Qualität können wir derzeit einfach nicht ersetzen. Zudem mussten wir verletzungsbedingt vor allem im Abwehrbereich immer wieder umbauen, uns fehlen daher Abläufe und Automatismen. Eintracht ist in der Transferpolitik seinen Weg weitergegangen. Die elf Neuzugänge kommen fast alle aus der Abteilung „Jugend forscht“ und haben viel Talent. Aber reicht das auch für die Oberliga? Das wird sich zeigen. Momentan sicherlich nicht. Aber gerade diese Jungs muss ich auch mal in Schutz nehmen. Sie konnten sich bisher gar nicht so entwickeln, wie es notwendig gewesen wäre. Einerseits hatten wir großes Verletzungspech. Daher konnten wir inhaltlich nicht so viel arbeiten wie gewünscht. Dabei hätten gerade die jungen Spieler dringend viele Trainingseinheiten auf hohem Niveau mit entsprechendem Konkurrenzkampf gebraucht, um sich weiterzuentwickeln. Und natürlich auch Wettkampfpraxis. Insofern trifft uns der Lockdown besonders hart, weil gerade bei einem derart großen Umbruch viele intensive gemeinsame Trainingseinheiten nötig wären. Nach der langen Pause fangen wir praktisch wieder bei Null an. Und viel Vorbereitungszeit werden wir wohl nicht bekommen. Daher wird es umso wichtiger sein, physisch voll da zu sein. Das bedeutet, dass sich die Spieler entsprechend fit halten müssen. Das können Sie allerdings momentan nur schwer überprüfen … Wir werden ja sehen, in welchem Zustand die Jungs zum ersten Training erscheinen. Ein Bäuchlein kann man ja nur schwer verbergen … (lacht). Aber ich habe da Vertrauen in die Jungs, wir haben ihnen auch ein paar Übungen mit an die Hand gegeben. Sie wissen selbst, dass wir hart an uns arbeiten müssen, um den Klassenerhalt zu schaffen. Den Telefonaten mit den Spielern habe ich aber entnommen, dass alle heiß darauf sind, endlich wieder loslegen zu können und es besser machen zu wollen als in den ersten acht Spielen. Wird Eintracht nochmal auf dem Transfermarkt aktiv? Dank der DFB-Pokalprämie wäre da doch einiges möglich … Ja, wir werden mit der Kohle nur so um uns schmeißen … (lacht). Im Ernst: Aktuell ist da nichts geplant. Wenn macht es auch nur Sinn, wenn wir einen Spieler verpflichten könnten, der uns sofort weiterhilft und ein gewisses Leistungsniveau garantiert. Aber diese Spieler wachsen leider nicht auf Bäumen und sind für uns auch nicht erschwinglich. Zudem sind Wintertransfers erfahrungsgemäß immer etwas schwierig. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass es mit dem Klassenerhalt noch klappt? Wir sind ja nicht meilenweit von diesem Ziel entfernt. Das letzte Ligaspiel vor dem Lockdown haben wir gegen Bersenbrück immerhin gewonnen und sind dadurch auf Schlagdistanz. Wir haben die Spiele ja meist nicht verloren, weil wir hoffnungslos unterlegen waren, sondern dem Gegner durch haarsträubende Fehler praktisch zum Sieg eingeladen haben. Zudem hat die lange Pause auch etwas Gutes: Bis auf Hilli und Robert Busch sind alle Verletzten wieder an Bord, wir können dann mit einem 22-Mann-Kader arbeiten. In der Truppe steckt viel mehr, als sie bislang gezeigt hat. Und das wollen wir 2021 unter Beweis stellen.