Die Anfänge des Celler Frauenfußballs beim VfL Westercelle und SV Großmoor

Aus heutiger Sicht kaum vorstellbar: Bis vor 50 Jahren war in Deutschland Frauenfußball verboten. Erst 1970 haben die Funktionäre des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) den Weg frei gemacht für kickende Mädchen und Frauen in den Vereinen – und zwar zähneknirschend, weil sie befürchteten, die Fußballerinnen würden sonst womöglich einen eigenen Verband gründen. SV Großmoor und VfL Westercelle hatten es eilig: Wie überall im Land organisierten sich die Frauen auch im Kreis Celle, um mit dem Segen des männerdominierten Dachverbands endlich offiziell gegen den Ball zu treten. Zwei Vereine haben gar nicht erst gewartet, bis das Verbot aus dem Jahre 1955 am 31. Oktober 1970 gekippt wurde: Der SV Großmoor stellte bereits im Sommer die erste Frauenmannschaft im Landkreis auf, beim VfL Westercelle fand sich die erste weibliche Elf im Stadtgebiet zusammen. Über 400 Zuschauer bei Debüt in Großmoor: Bei den Großmoorerinnen war Gudrun Sommer eine Spielerin der ersten Stunde. „Wir haben uns gedacht: Was die Männer können, können wir schon lange“, sagt die heute 69-Jährige. Ohne Vorkenntnisse fingen sie an zu spielen. „Unser Trainer hieß Milewski, der hat uns ein paar Sachen mit dem Ball gezeigt. Und die Trikots haben wir uns von unseren Männern ausgeliehen“, sagt Sommer. Zum 50-jährigen Vereinsjubiläum am 14. Juni 1970 spielten erstmals zwei Damenmannschaften aus Großmoor gegeneinander. „Über 400 Zuschauer bestaunten die Fußballkünste der begeisterten Damen. Sämtliche Fußballer mussten wohl ihre Familien nach ,kickgeeigneten Damen‘ durchforstet haben, denn beide Mannschaften spielten mit viel Engagement und waren sozusagen ,vereinsintern‘“, steht in der Vereinschronik geschrieben. Macho-Sprüche und Respektlosigkeit: Auf vielen Sportplätzen der Bundesrepublik war der Umgang mit den Kickerinnen in den Anfangsjahren ein Kapitel zum Fremdschämen: Macho-Sprüche, anzügliche Witze und respektlose Bemerkungen waren Gang und Gäbe. Als Bärbel Wohlleben (1974 mit TuS Wörrstadt Gewinnerin der ersten offiziellen Deutschen Meisterschaft) als erste Frau für das „Tor des Monats“ ausgezeichnet wurde, musste sich die heute 76-Jährige in der ARD-Sendung die Frage anhören: „Wie machen Sie das mit Kopfball, wenn die Haare frisch onduliert sind?“ Reporter ließen sich zu Sprüchen hinreißen wie: „Statt Kinder, Küche, Kirche wird es für Deutschland jetzt öfter heißen: kicken, köpfen, kämpfen.“ Oder: „Sie spielen, um ein paar Pfunde loszuwerden, in heißen Höschen.“ Anfangs von den Männern belächelt: „Bei uns auf dem Dorf war das zum Glück nicht so schlimm“, erzählt Gudrun Sommer. „Die meisten aus unserer Mannschaft waren Frauen oder Freundinnen von Großmoorer Fußballern und sowieso dauernd auf dem Sportplatz. Da haben wir uns – mehr aus Jux – auch zusammengetan.“ Anfangs hätten sich die Männer ein bisschen lustig gemacht. „Aber dann waren sie begeistert und haben uns überall hin zu den Spielen begleitet“, sagt die Frau des früheren Vereinsvorsitzenden Manfred Sommer (72). Weil Großmoor nicht am allmählich anlaufenden Ligabetrieb teilnahm, wurden Freundschaftsspiele bei Sparta Göttingen oder in Wittingen vereinbart. Spielerpass Nummer 1 für VfL-Spielerin Gerda Knels: Auch Karin Klingemann, die als eine der ersten ihre Fußballschuhe beim VfL Westercelle schnürte, kann rückblickend nur positiv über die damalige Unterstützung sprechen. „Die Männer im VfL-Vereinsheim hatten gehört, dass die Großmoorer ein Frauenfußballteam aufstellen wollen und haben sich gesagt: ,Das können wir auch‘. Besonders Günther Mikulski hat sich da hervorgetan. Und unser erster Trainer war Bernhard Nowarra“, erinnert sich die heute 76-Jährige. Noch vor den Großmoorerinnen wurden die VfL-Frauen offiziell beim Verband angemeldet. Gerda Knels, die Frau des späteren Westerceller Trainers Willi Knels, bekam vom NFV den Spielerinnen-Pass mit der Nummer 1 ausgehändigt. „Klar wurden wir anfangs ein wenig von manchen Männern belächelt, aber richtig fiese Sprüche kamen nicht“, so die frühere Torhüterin Klingemann. Fußball-Verband will Trainer-Lizenz nicht anerkennen: Doch nicht auf allen Ebenen waren die Männer von der aufstrebenden Fußball-Leidenschaft der Frauen begeistert. Diese Erfahrung machte Klingemanns Westerceller Mitspielerin Evelyn Pfeiffer (Geburtsname Rebmann). Die heute 68-Jährige machte 1976 im Rahmen eines Diplomstudiums an der Sporthochschule Köln ihre Fußballtrainer-B-Lizenz beim späteren Frauen-Bundestrainer Gero Bisanz. „Das Fach Fußball war bis dahin Männern vorbehalten“, erzählt Pfeiffer, die bis in die 90er Jahre für Westercelle im Sturm auf Torejagd ging und zu den Gründungsmitgliedern der Frauen-Elf gehört. Nach bestandener Prüfung kam zurück in Celle die böse Überraschung: „Der Niedersächsische Fußball-Verband hat den Abschluss nicht anerkannt und wollte mir den Trainerausweis nicht ausstellen“, erinnert sich Evelyn Pfeiffer. „Die meinten, Frauen bekommen höchstens die C-Lizenz.“ Schließlich stellte ihr der Fußball-Verband Mittelrhein das Dokument aus. Ärztliche Untersuchung war für Frauen Pflicht: Karin Klingemann hatte zuvor Handball gespielt. Irgendwann sprach sie eine Bekannte an, sie solle doch mal mit zum Fußball kommen. „Ich dachte zuerst, die spinnt. Ich konnte gar nicht glauben, dass es sowas für Frauen gibt“, sagt sie. Nach dem ersten Training ist Klingemann sofort in den Verein eingetreten. Vor dem ersten Spiel ging es aber erstmal zum Arzt. „Wir Frauen mussten einmal im Jahr zur ärztlichen Untersuchung. Das war Pflicht“, erinnert sie sich und zeigt ihren alten Spielerpass mit den Stempeln und Unterschriften der Arztpraxis. Schmusefußball statt rabiates Gekloppe: Während sich in Westercelle alsbald nach der Gründung der Frauen-Riege der Leistungsgedanke durchsetzte, der die Mannschaft später bis in die Landes- und Oberliga führen sollte, sah man es in Großmoor nicht so verbissen. „Bei uns war das eher Schmusefußball – längst nicht so rabiat wie heute. Gelbe Karten gab es so gut wie nie. Und wenn wir verloren haben, dann war das eben so“, blickt Gudrun Sommer zurück, die damals auf der Libero-Position gespielt hat. Erstes Celler Lokalderby endet torlos: Doch obwohl der ganz große Ehrgeiz bei den Großmoorerinnen zu der Zeit offenbar fehlte, gelang ihnen das Kunststück, beim ersten offiziellen Lokalderby im Kreis Celle gegen die Westercellerinnen ein 0:0 zu erkämpfen. Das war im August 1970 vor 600 Zuschauern im VfL-Stadion. Hauptanlass war eigentlich das Altherren-Wanderpokalturnier. „Doch viele Zuschauer waren gekommen, um auch einmal Mädchen und selbst Ehefrauen im Spiel mit dem runden Leder zu bewundern“, schrieb der Sportredakteur der CZ damals. Er hielt fest, dass die Frauen den Männern im Kampf um den Ball um nichts nachstanden. „Beide Teams glichen die noch mangelnde Technik mit erhöhtem Einsatz aus.“ Sein Resümee: „Der Damenfußball wird sich bei dieser Spritzigkeit weiter durchsetzen.“ Er sollte recht behalten: Fünf Jahre später gab es in der Bundesrepublik bereits 16.000 Fußballerinnen in den Vereinen. VfL Westercelle wird Norddeutscher Pokalsieger: Während beim SV Großmoor der erste Anlauf nach zwei Jahren bereits wieder einschlief und Frauen und Mädchen erst seit 1991 wieder für den Klub gegen den Ball treten, entwickelten sich die Westercellerinnen über Jahre zur dominanten Kraft im Kreis. Höhepunkt war am 1. Juni 1986 der Norddeutsche Pokalsieg unter Trainer Helmut Kurzynna. Als Betreuerin dabei: Karin Klingemann. Als Zuschauerin dem Fußball treu geblieben: Noch heute stehen die Pokale von damals auf einem Regal in ihrem Wohnzimmer. „Das war eine tolle Zeit damals, ich stand praktisch jeden Tag auf dem Sportplatz, habe auch selbst Jugendmannschaften trainiert“, blickt Klingemann zurück. Heute gibt es beim VfL keine Fußballerinnen mehr, was Klingemann sehr bedauert. Sie selbst ist dem Fußball zumindest als Zuschauerin treu geblieben: „Ich schaue mir jedes Spiel der Männer vom TuS Celle FC an. Wenn die nicht spielen, gehe ich zum VfL“, sagt sie. Kampf gegen Klischees noch nicht vorbei: Für den Frauenfußball ist das Ringen um Anerkennung indes auch heute nicht gänzlich vorbei. „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze“, lautete ein Slogan des Frauen-Nationalteams vor der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr. Es ist ein Ausdruck von Selbstbewusstsein, den sich die Fußballerinnen über Jahrzehnte hinweg durch Leistung und Erfolge erworben haben – und gleichzeitig ein Beleg dafür, dass der Kampf gegen Klischees im Frauenfußball noch nicht vorbei ist.