Zeitreise in Adelheidsdorf: Das ist Inhalt der Dorf-Chronik

Aufschluss über die Geschichte der Dörfer und ihrer Einwohner geben die Schulchroniken. In Preußen war die Führung dieser Unterlage in Form von Tagebüchern seit 1877 grundsätzlich vorgeschrieben. In Adelheidsdorf sind alle Bände der Schulchronik, die zunächst handschriftlich und in Buchform geführt wurden, erhalten. Gerhard Lindenbaum erster von 16 Siedlern: Adelheidsdorf entstand 1824 mit der Bauphase des ersten Hauses. Gerhard Lindenbaum war der erste von insgesamt 16 Siedlern, die ihre Kolonate auf der Westseite der Chaussee nach Hannover im Wege des Meierrechts zuerkannt bekamen. 75 Jahre später, im Jahr 1899, setzte die Führung der örtlichen Schulchronik ein. Dass dieses Jubiläum dafür eigentlich ein guter Anlass gewesen ist, erwähnte der Lehrer nicht. Das war damals und am Ende nur für ein Jahr Karl Gudehus, der am 2. Februar 1879 in Lehrte geboren wurde und das Schullehrerseminar in Verden von 1896 bis 1899 besucht hatte. Der junge Mann, der zuletzt kommissarisch in Beedenbostel unterrichtet hatte, wurde am 25. März 1899 zum Lehrer in Adelheidsdorf ernannt. Er trat als Schulamtskandidat an die Stelle des soeben nach Eschede versetzten Schullehrers Friedrich Gerberding. 1899 Gesangverein in Adelheidsdorf gegründet: Als am 4. November 1899 ein Gesangverein in Adelheidsdorf gegründet wurde, der sich aus jungen und älteren Männern des Dorfes zusammensetzte, wurde der Initiator Karl Gudehus sogleich als Dirigent engagiert. Anders wäre die Gründung nicht möglich gewesen, wenn der Schullehrer nicht die Bereitschaft gezeigt hätte. Heinrich Kohrs stand ihm als Präsident zur Seite und übernahm die vereinsrechtlichen und repräsentativen Aufgaben. Glanz und Gloria in den Schulen: Damals mussten Interessierte noch beim Chorleiter vorsingen, und im Verein wie in der Volksschule auch wurde Kaisers Geburtstag am 27. Januar gebührend gefeiert. Glanz und Gloria hielten Einzug in die Schulen in der Heimat. „Unser jetziger geliebter König und Kaiser Wilhelm II., der älteste Sohn Kaiser Friedrichs, ist geboren am 27. Januar 1859. In jugendlicher Frische, eine strahlende Heldengestalt, ist er an die Stelle seines herrlichen, im Mannesalter dahin gerafften Vaters getreten“, heißt es 1899 im „Vaterländischen Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands“. Die Schulchronik für Adelheidsdorf wurde am Ende auf der Grundlage einer Verordnung des Ministers der geistlichen Angelegenheiten in Berlin vom 15. Oktober 1872 geführt. Die letzte Eintragung im ersten Band datiert vom Herbst 1922. Da waren dann alle 74 Seiten mit Leben gefüllt. In anderen Dörfern hatte die Chronikführung schon früher eingesetzt, wie beispielsweise in Wiedenrode 1868, Nienhof 1873 und Helmerkamp 1878. Karl Gudehus verfasst Schulchronik: Im „Zentralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preußen“, ausgegeben zu Minden am 21. Juli 1877, wurden „sämmtlichen Herren Kreis-Schulinspektoren“ seitens der Königlichen Regierungsabteilung des Innern einige Hinweise zur Anlegung und Fortführung der Schulchronik gegeben. Es könne, so hieß es einleitend, „nicht im Interesse der Sache liegen, für die Chronik ein bestimmt innezuhaltendes Schema vorzuschreiben“. Man schlug eine Verteilung des Stoffes in mehrere Kapitel vor. Handschrift füllt größten Teil des Buches: Karl Gudehus verfasste die Schulchronik zum Ende des Jahres 1899, in der kalten Jahreszeit. Seine Handschrift füllt den größten Teil des hochformatigen Buches. Seitdem wurden alle Begebenheiten nicht nur im Zusammenhang mit der Schule ausführlich niedergeschrieben. Die Tragweite seiner Ausführungen schienen Karl Gudehus, der an der evangelisch-lutherischen Volksschule in Adelheidsdorf, die bis 1966 im heutigen Parkplatzbereich der Friedhofskapelle stand, unterrichtete, bewusst gewesen zu sein, wie an seinen einführenden Worten abzulesen ist. Zunächst geht es um das Dorf selbst: Neue Kolonie zu Ehren der Königin Adelheid: „Während die umliegenden Dörfer ohne Ausnahme auf ein mehr oder weniger ehrwürdiges Alter zurückblicken können, hat unser Ort noch nicht einmal ein Menschenalter hinter sich. Noch in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts befanden sich dort, wo sich heute die Häuser erheben, größere Heide, Moor- und Sumpfflächen, welche unter dem gemeinsamen Namen ‚Wietzenbruch‘ bezeichnet wurden. Schon im vorigen Jahrhundert plante man die Anlegung einer Kolonie in dieser Gegend; aber in den damaligen unruhigen Zeiten kam es nicht dazu. Erst als nach den Befreiungs-Kriegen ruhigere Zeiten kamen, konnten jene Pläne verwirklicht werden. Im Jahre 1823 wurde nämlich von mehreren benachbarten Gemeinden eine Teilung des Wietzenbruches veranstaltet. Dabei fiel auch der Königlichen Regierung ein Areal von 150 ha zu, welche Fläche man nunmehr zur Anlegung einer Kolonie zu verwenden beschloß. Zu dem Zwecke teilte man die ganze Fläche in 20 Parzellen von je 7,5 ha, welche sodann arbeitsfähigen, fleißigen Landleuten geschenkweise überwiesen wurden. Die erste derartige Überweisung fand 1824, eine zweite 1827 ectr. statt. Auf Antrag der Königlichen Landdrostei zu Lüneburg genehmigte das Cabinetts-Ministerium zu Hannover im Jahre 1831, daß die neue Kolonie zu Ehren der Königin Adelheid (Gemahlin Wilhelm IV, König von Großbritannien und Hannover 1831-37) den Namen ‚Adelheidsdorf‘ erhielt. Schon im Jahre 1836 waren 16 Kolonisten vorhanden und zwar befanden sich die Kolonate im Besitze der folgenden Personen: 1. Ortsvorsteher Lindenbaum, 2. Anbauer Lindenbaum, 3. Nußbaum, 4. Mohwinkel, 5. Vitz, 6. Stünkel, 7. Pauling, 8. Holste, 9. Klie, 10. Sührig, 11. Heins, 12. Wöhler, 13. Leutenant Wiedenfeld, 14. Bartels, 15. Gottl. Stephenson, 16. Alb. Stephenson. Von nur wenigen dieser ersten Kolonisten sind die Nachkommen noch in unserem Orte. Es finden sich allein noch die Namen ‚Mohwinkel‘ (Besitzer von Kolonat No. 6&12), ‚Vitz‘ (No. 5) und ‚Klie‘ (No. 7), jetzt Soeder Frau geb. Vitz.“ Erinnerungen und Unterlagen in Fotoalben und Holztruhen verwahrt: Karl Gudehus hatte keine verwertbaren Grundlagen, auf die er bei dieser Beschreibung zurückgreifen konnte. Die Brüder Otto und Theodor Benecke veröffentlichten ihr heimatkundliches Werk erst 1914, und Georg Brelings heimatkundliche Beiträge wurden 1930 im „Speicher“ veröffentlicht. Und die Schrift zur Geschichte der Neuenhäuser Kirche des Pastors Gustav Julius Meyer von 1851 gab nicht viel zum Thema her. Er konnte also seine Amtskollegen in Nienhagen und Westercelle fragen, das Neuenhäuser Kirchenbuch durchsehen oder aber musste mit den Hinweisen der Altvorderen im Dorfe vorliebnehmen. Und die hatten grundsätzlich ihre Erinnerungen und Unterlagen in Fotoalben und in massiven Holztruhen verwahrt. Die Familien Fischer, Kohrs, Mohwinkel, Soeder und Danneleit waren gewiss gute Ansprechpartner. In jedem Fall hatte sich Gudehus knapp und kurz fassen können; denn das Dorf hatte erst drei Generationen überdauert. Leichter fiel dem Schullehrer ein aktuelles Lagebild, das uns hier und heute einen guten Eindruck vermittelt aus der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende: „Die Gemeinde Adelheidsdorf setzt sich heute zusammen aus der Kolonie, der fiskalischen Domäne Müggenburg, der Behre und 6 Bahnhäusern. Sie zählt 35 Wohnhäuser, welche von 35 Familien bewohnt werden und zwar 15 Anbauern, 5 Abbauern, 8 Häuslingen und 7 Beamten. Häuser und Höfe detailliert beschrieben: Die Häuser, welche bis auf zwei (durch Brand zerstörte) noch alle vorhanden sind, wurden, da die sich in Adelheidsdorf ansiedelnden Kolonisten meistens mittellos waren, recht einfach gebaut. Sie sind nur ein Stockwerk hoch und zeigen meistens Fachwerk. Selten sind die Gehöfte mit einer Hecke oder einem Zaun umgeben, man kann, nachdem man die über den Chausseegraben führende Brücke überschritten hat, ungehindert den Hof betreten. An der Giebelseite des Hauses befindet sich die große Hauptthür; dieselbe ist von der Höhe und Breite, daß ein voller Kornwagen ungehindert einfahren kann. Tritt man in dieses Hausthor, so befindet man sich in einem hohen, weiten Raum, der sein Licht durch die offenstehende Thür oder zwei kleine, rundliche Fenster erhält. Zur Seite dieser aus festem Lehm geschlagenen Diele, welche zum Dreschen des Getreides dient, sind Stallungen für das Vieh angebracht. Von der Diele aus betritt man die durch einen Vorplatz von den Wirtschaftsräumen abgesonderten Wohnräume. Die Wände der Wohnstube sind gewöhnlich mit Tapeten überzogen, es finden sich aber auch noch solche, die nur geweißt sind. In manchen Küchen hat sich der altertümliche ,Rauchfang‘ noch erhalten, der seinen Zweck so unvollkommen erfüllt, daß die Küche oft in undurchdringlichen Rauch gehüllt ist und die Gegenstände in derselben schwarz gebeigt sind. Unter der Decke hängen, dem beständigen Rauche ausgesetzt, die Schinken und Würste, der Stolz der Bauersfrau und die Sehnsucht des Handwerksburschen. Der obere Teil des Hauses bildet gewöhnlich einen einzigen Raum, der zur Aufnahme des Heues und Getreides dient. Brände zerstören Häuser: Wie schon erwähnt, sind erst zwei Wohnhäuser seit der Gründung des Ortes durch Feuer zerstört. Als erstes brannte das Haus des Anbauers Reimer (No. 9) nieder. Die Mobilien wurden zum großen Teil gerettet, während das Gebäude bis auf den Grund niederbrannte. Der Schaden war durch Versicherung gedeckt. Das neu errichtete Gebäude macht einen sehr vorteilhaften Eindruck; es ist bedeutend geräumiger als die andern Häuser. Im Jahre 1880 wurde das Haus No. 13 (Anbauer Öhlers) durch den Blitz entzündet. Eine Feuerwehr giebt es in unserm Orte nicht, da bei der zerstreuten Lage der Gehöfte eine Verbreitung des Feuers so gut wie ausgeschlossen ist. Mordversuch erregt 1883 Aufsehen: Unglücksfälle und Verbrechen kommen bei der geringen Größe des Dorfes natürlich selten vor. Umso größeres Aufsehen erregte daher ein Mordversuch, welcher im Jahre 1883 gegen den Anbauer Köhne und dessen Frau unternommen wurde. Letztere bewohnten nebst ihr einzigen, damals etwa 16-jährigen Tochter das Wohnhaus No. 3. Am Abend des (keine Eintragung) hatten sich alle um 10 Uhr zur Ruhe begeben. Bereits eine Stunde später erwacht die Tochter von einem aus der Schlafkammer der Eltern dringenden Gewimmer. Sie begiebt sich in der Meinung, daß ihren Eltern etwas zugestoßen sei, zu diesen. Als sie aber eben die Stubentür öffnet, stürzt schon ein Mann auf sie ein. Sie hat Geistesgegenwart genug, die Thür wieder zuzuschlagen und fortzulaufen. Von der Gastwirtschaft, wohin sie geeilt war, begaben sich sofort einige Männer nach dem Thatorte. Hier fand man die beiden Eheleute bewußtlos auf dem Fußboden liegend, aus vielen schweren Wunden blutend. Die That war mit einem Spaten, wie dieselben hier zum Stechen von Torf verwendet werden, verübt. Täter blieb verschwunden: Es gelang der Kunst des Arztes, die Verwundeten am Leben zu erhalten. Von dem Thäter war nicht die geringste Spur zu entdecken. Einige Personen, auf welche man Verdacht hatte und die daher in Haft genommen wurden, konnte man nicht überführen; man mußte sie daher wieder freilassen. Vielleicht lüftet die Zukunft den geheimnisvollen Schleier, womit die That umgeben ist. Unter die Räder geraten: Wenige Jahre nach diesem Vorfalle ereignete sich in unserm Orte ein schwerer Unglücksfall, der den Tod des Betreffenden herbeiführte. Beim Fahren von Ziegelsteinen geriet der Anbauer Öhlers (Hs. No. 13) unter die Räder seines Wagens, wobei er so schwere innere Verletzungen erlitt, daß er noch in derselben Nacht starb.“ Lageskizze von Adelheidsdorf: Soweit als erster Eindruck. Genau an dieser Stelle in der Schulchronik bewies Karl Gudehus künstlerisches Geschick, indem er eine Buchseite für eine Lageskizze nutzte. Die Skizze zeigt das Dorf. Man sieht die Kolonate Nr. 1 (im Norden) bis 16 (im Süden), die damals mäanderförmige fließende Neue Aue, die Bahnstrecke Lehrte-Celle und die Bahnwärterhäuser. Sie befanden sich mit Ausnahme des Postens 17 im Norden an Wirtschaftswegen, die geradewegs ins Große Moor führten und die später zu Trift, Schulstraße und Auestraße ausgebaut wurden. Karl Gudehus später an Celler Schule beschäftigt: Zum 15. April 1900 wurde Karl Gudehus „auf Antrag des Magistrates der Stadt Celle“ von der Königlichen Regierung aus dem öffentlichen Volksschuldienst entlassen. Zum Ablauf des Schuljahres 1900/01 wurde er an der Volksschule des Realgymnasiums in Celle wieder angestellt. Gudehus verlor im Ersten Weltkrieg einen Arm. Nach weiteren Lehrerverwendungen in Celle starb er am 24. September 1948. Von Matthias Blazek