Die Urkunde ist nicht echt.“ Das Verdikt des Heimathistorikers traf den Bürgermeister an diesem Julinachmittag des Jahres 2018 unvorbereitet. „Und eine richtige Gründungsurkunde für dein Dorfes wäre das auch nicht, denn Wathlingen ist lediglich einer von 155 Orten, an denen das Kloster St. Michaelis in Hildesheim Besitzungen hat.“ Die kleine Wathlinger Dorfwelt schien für einen Moment aus den Fugen. War die große 1000-Jahr-Feier im Jahr 2022 geplatzt, bevor die Planungen überhaupt begonnen hatten?
Eine kleine Urne ist noch kein Beleg
Die kleine, etwa 11 cm hohe, 2500 Jahre alte Urne, die 1951 der Wathlinger Bauer Kalle Mösing sen. beim Tiefpflügen mit anderen Tonscherben auf seinem Spargelfeld zutage förderte, blieb ein bemerkenswerter Einzelfund, der im Bomann-Museum in Celle inventarisiert ist. Damals berichtete die Cellesche Zeitung ausführlich über den Fund und der an der Dorfgeschichte interessierte Bürgermeister Engelke wusste zu ergänzen, dass erstmals 1890, als die Straße Wathlingen – Nienhagen ausgebaut wurde, Berichte über vorgeschichtliche Funde im Dorf kursierten. Auch sei 1929 auf dem Mühlenberg ein vorgeschichtlicher Topf entdeckt worden, der aber aus Unkenntnis nicht der Forschung zugeführt wurde und verschwand. Trotz dieser vorgeschichtlichen Funde mussten die Wathlinger Verantwortlichen damals verkraften, dass die Archäologen diese Zufallsfunde als nicht so bedeutend und einmalig eingestuften, um in Wathlingen weitere systematische Grabungen nach dem Ursprung des Ortes durchzuführen, wie sie heute in Altencelle um die Siedlung Tsellis erfolgen. Zwar war und ist man sich einig, dass die Wathlinger Feldmark und die Lebensader Fuhse von Alters her die notwendigen Voraussetzungen für Ackerbau, Viehzucht und Obdach boten, aber dennoch gehen die Archäologen nicht von einer durchgehenden und dauerhaften Besiedlung an dieser Stelle aus. Wathlingen verschwindet für etwa eineinhalb Jahrtausende wieder im Nebel der Geschichte und taucht erst 1022 wieder auf.
Unterschiedliche Namensdeutungen
Über die Entstehung des Ortsnamens „Wathlingen“ gab und gibt es unterschiedliche Deutungen, wobei sich folgende, schon 1925 vom Dorfchronisten Heinrich Pröve niedergeschriebene Herleitung durchgesetzt hat: Der Name sei mit Wathlingens sumpfiger und feuchter Umgebung in Verbindung zu bringen und sei als „Lage in feuchter Gegend“ zu interpretieren. Unstrittig ist dabei der zweite Namensteil, der zweifelsohne gleichbedeutend mit „Lage“ oder „liegen“ ist. In der Umgebung gibt es dazu viele Entsprechungen wie etwa „Langlingen“, „Sandlingen“, und selbst Celles „Blumlage“ ist anzuführen. Mehrere Deutungen lässt allerdings der erste Namensteil zu. „Wadit“ ist der Dativ, Plural zu „wade“ oder „wate“, einem Fischernetz für seichtes Wasser. Auch die Vermutung, der erste Namensteil sei eine Abwandlung von „wad“ = „Furt“, findet sich in den Schriften. In beiden Fällen besteht ein Zusammenhang zu Wathlingens feuchter Umgebung an den Ufern der Fuhse. Nicht überzeugen konnte der Zusammenhang mit der Schreibung „waltleghe“ aus dem 13. Jahrhundert für einen Ort mit waldiger Umgebung. Diese Deutung will nicht so recht zu den Bodenverhältnissen in Wathlingens Umgebung passen. Schließlich, so schreibt Pröve, könnte Wathlingen auch ganz einfach der Name der Gründersippe sein, der sagenhaften „Herren von Wathlingen“, die aber bereits 1575 ausgestorben sein sollen. Was uns aber keinen Schritt weiter bringt, weil die Deutungssuche erneut beginnen müsste.
Gründung bleibt im Nebel der Geschichte
Was in den eineinhalb Jahrtausenden passierte, nachdem eine eisenzeitliche Sippe die kleine Urne einem Verstorbenen auf den Hügeln am Ufer der Fuhse ins Grab legte, ist allenfalls anekdotisch zu rekonstruieren, wie Heinrich Pröve es in seiner Geschichte Wathlingens tat. Irgendwann wird der Führer einer Sippe in der Wathlinger Flur sesshaft geworden sein. Um sein Gehöft gruppierten sich kleinere zugeordnete Wirtschaftseinheiten, ein „Haufenhof“ entstand. Die Herren vom Gehöft ordnet die Geschichtswissenschaft den „Edelingen“ und nicht den einfachen „Frîlingen“ zu. Dieses Nebeneinander von Höfen ist eine Streusiedlung, aber noch kein Dorf im Rechtssinn und noch nicht namensbildend. Erst die sich im 10. Jahrhundert durchsetzende stationäre Dauerwirtschaft schaffte die Voraussetzung für die konzentriertere Siedlungsweise.