Köstümierte Stadtführung : So sah der Alltag der Celler einst aus

Georg der Ackerbürger zeigt mit seiner Führung der etwas anderen Art den Leuten das wahre Leben des 15., 16. und 17. Jahrhunderts. Im passenden Kostüm erzählt er unverblümt und ehrlich von seiner Zeit im damaligen „Zu Celle“. Seit 25 Jahren in Celle: Jürgen Matschiowalli, der hinter Georg dem Ackerbürger steckt, kommt ursprünglich aus Bayern. Er wuchs in der kleinen unterfränkischen Gemeinde Zell auf. Seit nunmehr 25 Jahren lebt er im Landkreis Celle. Nach seiner Bundeswehrzeit in Faßberg ließ er sich zum Gästeführer in Celle ausbilden. Für den Namen Georg hat er sich entschieden, weil er früher mit einem Georg arbeitete. „Wir haben immer gesagt, ‚Georg, du bist ein wahrer Bauer‘“, erläutert er. Aus Neugier erforschte Matschiowalli die Namensbedeutung von Georg und erfuhr, dass Georg „Landwirt“ bedeutet. Bei weiteren Recherchen fand er heraus, dass Jürgen eine Abwandlung des Namens Georg ist. „Da war mir klar, dass es Georg der Ackerbürger sein muss“, so Matschiowalli. Volksfeststimmung auf der Stechbahn: Seine Reise durch die Zeit beginnt der ungewöhnliche Stadtführer auf der Stechbahn. Er beschreibt, wie früher der Boden gezittert habe, wenn die mächtigen Schlachtrösser aufeinander zuliefen. Der Ackerbürger erklärt: „Hier hatten wir Volksfeststimmung und konnten unser Leid für einen Moment lang vergessen.“ Anfang des 16. Jahrhunderts verlor sich die stolze Tradition der Ritterturniere langsam. Die einfache Bevölkerung bedauerte dies, da es eine willkommene Abwechslung zum tristen Alltag war. Besonders die Kirche war ein wichtiger Zufluchtsort für die Menschen. „Wir waren gottesfürchtig. Alle schlimmen Dinge waren Gottes Strafen für unser Fehlverhalten“, sagt Georg. Als der damalige Herzog Ernst von seinem Studium aus Wittenberg zurückkehrte, veränderte sich viel für die Bevölkerung. Er bekannte sich zur Lehre Luthers und reformierte sein Fürstentum. Die 17 Nebenaltäre wurden aus der Sankt Marienkirche entfernt und die Menschen wussten nicht mehr, wie sie Gott um Vergebung bitten können. Jongleure, Gaukler und Feuerspucker: Der Marktplatz war damals das weltliche Zentrum der Bevölkerung. Wenn Kramermärkte stattfanden, verwandelte sich die Stadt in ein buntes Spektakel: Jongleure, Gaukler und Feuerspucker unterhielten die Einwohner mit ihren Vorführungen. Das rege Treiben nutzten viele „Beutelschneider“ aus. Sie liefen durch die Massen und schnitten die Geldbeutel der Menschen ab. Erwischte man den Übeltäter, kam er an den Pranger und wurde mit faulem Obst beworfen. „Wenn ich darüber nachdenke, schäme ich mich, dass ich mitgemacht habe. Aber was hatten wir sonst im Leben? Es war eine willkommene Abwechslung“, erzählt der Ackerbürger. In der Neuen Straße zeigte der Ackerbürger, wie sie früher lebten. Die damaligen Ackerbürgerhäuser hatten eine Toreinfahrt. Links wohnten die Menschen und rechts das Getier. Auf den oberen Etagen lagerten die Bürger Futter und Stroh für die Tiere. Im Winter war es im Inneren meist nur ein paar Grad wärmer als draußen. „Es kam oft vor, dass die Ställe in der kalten Jahreszeit voller Kinder waren. Dort war es einfach wärmer als im Haus“, sagt Georg. „Unsere Stadt hat gestunken“: Früher war es den Bürgern nicht möglich, regelmäßig in einen Badezuber zu steigen. Georg erzählt: „Wir haben gestunken, aber keiner hat es gemerkt, weil wir alle gestunken haben und auch unsere Stadt gestunken hat.“ Die Zwischenräume der Fachwerkhäuser waren früher offen und besaßen ein künstliches Gefälle zur Straße. Abfälle und sämtlicher menschlicher sowie tierischer „Unrat“ wurden bei Regen auf die nicht befestigte Straße gespült. Dementsprechend stank es in der Stadt. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Irgendwann rochen wir es einfach nicht mehr“, erklärte Georg. Selbst Kinder tranken Bier: Auf dem Brandplatz wurde ein Brunnen errichtet. Dessen Wasser diente hauptsächlich für Viehtränken und Löscharbeiten. Als Trinkwasser war es sehr schmutzig. Georg berichtet: „Vor allem das Wasser aus den Grundwasserbrunnen war mit Vorsicht zu genießen. Man denke nur an die Straßenverhältnisse.“ Die Lösung: Bier. Der Brauvorgang tötete die Keime im Wasser ab und das Bier wurde so zu einem sicheren Grundnahrungsmittel. Selbst Kinder tranken Bier. Der Alkoholgehalt war damals nicht so hoch wie heute. Bierprobeherren überprüften die Qualität des gebrauten Bieres. Nur das Bier, das die Probe besteht, durfte an die Bevölkerung ausgeschenkt werden. Wurde es für zu schlecht befunden, kam es einem Verbrechen gegenüber der Bevölkerung gleich und schlug dem Fass den Boden aus, sowie es letztendlich dann auch geschah. Auch die Angst vor Krankheiten und Feuer war allgegenwärtig. „Ich weiß noch, wie die Ursel schniefte und Tränen in den Augen hatte. Erst hat man gedacht, sie würde nach drei Tagen wieder gesund sein, doch dann entdeckten wir die schwarzen Beulen. Kurz darauf war sie tot“, so Georg. In Celle starben Ende des 16. Jahrhunderts knapp 1100 Menschen an der Pest. Dies entsprach etwa einem Drittel der damaligen Bevölkerung. Früher haben die Menschen nach dem Prinzip Hoffnung gelebt, doch diese schwand von Tag zu Tag mehr. Der Ackerbürger erzählt: „Am Anfang haben wir die Toten standesgemäß beerdigt. Irgendwann kamen wir nicht mehr hinterher.“ Es dauerte lange, bis die Bürger merkten, dass Erkrankte isoliert werden müssen, um eine weitere Verbreitung der Krankheit einzudämmen. Ein einziger Funken reicht aus: Auch im Feuer verloren viele Menschen ihr Leben. Die Dächer bestanden damals aus Stroh. Ein einziger Funken reichte aus und sie brannten lichterloh. Nur durch Zusammenarbeit konnten die Flammen gestoppt werden. „Hand in Hand versuchten wir, das Feuer zu bekämpfen“, berichtet Georg, „Doch wehe denen, die sich währenddessen am Gut anderer vergriffen. Denen wurde sofort der Prozess gemacht und sie wurden geköpft.“ Die Teilnehmer der kostümierten Stadtführung sind begeistert: Georgs Reise durch die Zeit beendet der Ackerbürger auf der Stechbahn. Bei den Teilnehmern herrscht ein eindeutiger Tenor: Diese Führung der etwas anderen Art ist eine touristische Bereicherung für Celle. Von Lisa Behnken

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