Klavierprofessor Bernd Goetzke unterrichtet im Vorwerk Gut Oppershausen

Eine traumhafte Idylle ist das hier. Beim Gang zum Vorwerk Gut Oppershausen lockt einen zunächst die alte Kastanienallee in Richtung Hauptgebäude. Hofhund Cleo kommt um die Ecke. Mal kurz den Kopf schief legen, die Rute nach oben. Alles gut für ihn. Niemand will ihm Böses. Er hat wohl auch gute Erfahrungen gemacht in den Tagen hier, in denen im rechts vom Hauptgebäude liegenden Vorwerk Gut Oppershausen Maestro Bernd Goetzke drei Meisterschüler am Klavier unterrichtete: Ellen Lee, Amerikanerin taiwanischer Abstammung, der Lette Georgijs Osokins, und der in Berlin lebende Nordhesse Leon Wenzel, sind drei fast fertige Klavierstudenten auf dem Sprung ins internationale Konzertleben, die sich hier noch ihren letzten Schliff holen. Ideales Umfeld für einen Meisterkurs: Alles läuft völlig entspannt mitten in der Natur in Nähe der Aller. Hier stört keine städtische Hektik. Zusammen mit dem Besitzer-Ehepaar von Bothmer haben die beiden Veranstalter der Celler Sommerkonzerte, Severine Kim und Knut Hanßen, ein ideales Umfeld geschaffen für diesen Meisterkurs. Aber auch für mehrere Konzerte. Bis vor einigen Jahren noch wurde das Vorwerk regelmäßig als stimmungsvoller kultureller Veranstaltungsort genutzt – inzwischen aber ist es in der Öffentlichkeit ein wenig in Vergessenheit geraten. Kultiger Ruf eilt dem Maestro voraus: Bernd Goetzke gilt als eine ganz große Nummer in der Lehre am Klavier. Ein geradezu kultiger Ruf eilt ihm voraus, weil er als der letzte oder einzige Schüler eines Pianisten galt, der in Fachkreisen zu den Allergrößten gerechnet wird, aber in der Breite des Publikums nie so ganz bekannt wurde, weil er sich in etwas divenhafter Art immer wieder Auftritten verweigerte und kurzfristig absagte: Arturo Benedetti-Michelangeli. Goetzke hatte diese Allüren nie – er spielt einfach generell schon seit vielen Jahren nicht mehr öffentlich. Musikalische Antwort geben: Gerade ist er dabei, Ellen Lee zu unterrichten. Sie hat ihm den Anfang einer Beethoven-Sonate vorgespielt. Goetzke ist angetan vom Tempo und der generell sehr guten Gestaltung durch die zierliche Pianistin. Aber dann stellt er alles infrage: „So wie du das spielst, ist alles von Anfang an klar. Aber ist das wirklich so?“ Er spielt ihr den Anfang des Stückes auf einem älteren, etwas abseits stehenden Flügel so vor, wie er es spielen würde. „Diese kleine Figur, die muss wie eine Frage wirken“, sagt Goetzke. „Da muss eine Spannung entstehen, die es dir ermöglicht, eine musikalische Antwort zu geben. Warum nutzt du diese Möglichkeit, die Beethoven dir hier gibt, nicht aus? Die Pause nach dieser Figur – da musst du dir vorstellen, dass da ein Akzent drauf steht.“ Verblüffende Auffassungs- und Umsetzungsgabe: Ellen Lee macht sich Notizen zu Goetzkes Vorschlägen und setzt sie sofort um. Als ob sie nur auf diese Vorschläge gewartet hätte. Ihre Auffassungs- und Umsetzungsgabe ist verblüffend. Die Amerikanerin kann offensichtlich direkt in eine andere Art der Interpretation einsteigen. Und so entwickeln Goetzke und Lee zusammen innerhalb kürzester Zeit eine ganz neue musikalische Sichtweise dieses Stücks. Gastgeber in Wienhausen gefunden: Anders läuft es bei Leon Wenzel. Mit kurzer Hose und T-Shirt, über der Schulter eine Tasche, ist er mit dem Fahrrad aus Wienhausen gekommen. Dort hat er Gastgeber gefunden, bei denen er während der Zeit des Meisterkurses wohnen und in der Nachbarschaft auch üben kann. Zunächst wechselt er noch ein paar Worte mit den Veranstaltern, die gerade auf Bierbänken unter den Kastanien einen kleinen Imbiss zu sich nehmen, und hört schon mal von außen zu, denn die türhohen Fenster zur Allee hin sind alle geöffnet. Dialog auf einer ganz anderen Stufe: Nach einer kurzen Pause für den Klavierprofessor setzt sich Wenzel an den Flügel, stellt sein Tablet mit den Noten aufs Pult und spielt auch erst einmal Beethoven. Dann aber setzt der Dialog auf einer ganz anderen Stufe ein. Wenzel weiß schon ganz genau, wie er das Stück gestalten will. Ihm geht es spürbar gar nicht darum, wie er es generell spielen soll. Er möchte konkrete Ratschläge zu Stellen, die ihm Rätsel aufgeben. Bernd Goetzkes Ratschläge werden hinterfragt und eine eigene Haltung dagegen gesetzt. So entsteht auf ganz hohem Niveau ein Austausch, der letztlich auch sehr wohl zu Änderungen an der Spielweise Wenzels führt, aber eben nur zu kleineren Korrekturen. Keine Antwort ist auch eine Antwort: Zu einer ganz leisen Stelle hat Leon Wenzel eine Frage, aber dem Professor ist die Lautstärke an dieser Stelle nicht so wichtig. Was zunächst wie ein Nichtbeantworten der Frage wirkt, erweist sich letztlich auch als eine Antwort auf die Frage des jungen Pianisten an den Altmeister mit Mähne wie einst Benedetti-Michelangeli. Es stellt sich nämlich heraus, dass in Goetzkes Konzept des Stückes die Lautstärke dieser Stelle zweitrangig ist. Georgijs Osokins ist Dritter im Bunde: In der Zwischenzeit fährt ein Cabrio vor, aus dem als Dritter im Bunde Georgijs Osokins aussteigt. Der Lette wird von seiner Gastgeberin zum Unterricht gefahren. Nun spielt er, der noch vor wenigen Tagen zusammen mit dem berühmten Gidon Kremer zusammen musiziert hat, Chopin vor. Angemessen darstellen und weitergeben: Eigenwillig ist seine Art des Spielens, aber Bernd Goetzke kann damit gut umgehen. Sein Credo sei es, so sagt er über sich selbst, nicht, seinen Schülern seine Spielweise zu vermitteln: „Ich möchte die Studierenden lehren, selbstständig Musik in der denkbar differenziertesten, angemessensten Weise zu lesen, wahrzunehmen, darzustellen und weiterzugeben, wo immer ihr Leben sie dereinst hinführt.“ Bei diesen drei jungen Pianisten scheint das auf ganz unterschiedliche Weise zu gelingen. Musikalische Talente in die Region holen: Wie schön, dass es einen derartigen Kurs erstmals in Celle gegeben hat. Man kann nur hoffen, dass die Veranstalter der Celler Sommerkonzerte in Zukunft regelmäßig derlei musikalische Talente in die Region holen werden. Und übrigens: Es gab zwei sehr gut besuchte Abschlusskonzerte mit den drei begabten Nachwuchspianisten. Das Publikum kürte anschließend seinen Liebling: Leon Wenzel. Von Reinhald Hanke