Im Waldboden bei Starkshorn lauert eine Gefahr

Das gleichmäßige Ticken geht in ein Knattern, ein Sirren über, auf dem Display der Sonde schlägt der Zeiger aus. Da ist was im Untergrund. Der Kollege des Sondengängers tritt mit dem Spaten in Aktion, sticht zu, greift mit der Hand nach – und zieht ein Stück rostigen Stacheldraht aus dem Boden. Es landet im Eimer bei den anderen Drahtstücken. Hier, irgendwo im Wald zwischen Starkshorn und Siedenholz, geht es aber um mehr als rostigen Draht. Waldbrandprävention auf ehemaligem Mariensperrzeugamt Starkshorn: Seit Anfang Dezember sind die Mitarbeiter der Nolte Services GmbH aus dem nordrhein-westfälischen Nottuln auf dem Gelände des ehemaligen Mariensperrzeugamts Starkshorn unterwegs und schaffen die Voraussetzungen, dass die Feuerwehren im Sommer überhaupt eine Chance haben, sollte hier ein Waldbrand entstehen. „Wir betreiben Waldbrandprävention“, sagt Ralf Kremeike von den Niedersächsischen Landesforsten in Braunschweig mit Blick auf die laufenden Arbeiten. An das Löschen eines großen Waldbrands wäre hier nicht zu denken, stellt der Sachgebietsleiter Liegenschaftsmanagement fest. Das wäre für die Feuerwehren viel zu gefährlich. Denn im Untergrund schlummern brisante Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs: Munition und Sprengstoff. Feuer auf riesigem Gelände verhindern: Konkret werden zurzeit an den Rändern und entlang der zentralen Nord-Südachse des insgesamt 240 Hektar großen früheren Marinegeländes Schneisen und Wege geschaffen, die das Ausbreiten – oder Eindringen – eines Feuers verhindern sollen. Georg Deeken, stellvertretender Leiter des Forstamtes Unterlüß, erinnert an die Waldbrände auf ehemaligen Truppenübungsplätzen in den neuen Bundesländern, die im Sommer 2019 dort die Wehren tagelang in Atem hielten. Eben weil immer wieder Munition explodierte. Auch nehme die Feuergefahr im Zuge des Klimawandels zu. Ebenfalls vorbeugend habe das Forstamt auf der Ostseite des Geländes entlang der Bahnhauptstrecke Hannover-Hamburg dem Wald viel Unterholz und damit viel brennbares Material entnommen. Bäume fällen für Schneisen bei Eschede: Bevor mit schwerem Gerät die zehn Meter breiten Schneisen geschaffen werden, wurden Bäume gefällt und zu riesigen Bergen aufgetürmt. Sie sollen geschreddert werden. Dann ist Handarbeit angesagt. Die Sondengängertrupps gehen die Flächen ab und holen die Funde aus dem Untergrund. Bis in drei Meter Tiefe „schaut“ die Sonde. „Metall im Untergrund stört das natürliche Magnetfeld“ erläutert Räumstellenleiter Detlef Jungfermann von der Nolte Services GmbH die Wirkungsweise der Detektoren. Mit Sonden nach Munition und Sprengstoff suchen: Liegen die Fundstücke tiefer, rückt der Bagger an und greift vorsichtig in die Tiefe. Gerade kommt eine verrostete Schwelle der Feldbahn zum Vorschein, die einst alle Bunker und Gebäude auf dem Gelände erschloss. Der jetzige Schnee behindert die Arbeiten nicht, erst bei anhaltendem strengen Frost kämen die Sondengänger mit dem Spaten nicht mehr in den Boden. „Das wäre eine schöne Maßnahme für den Sommer“, sagt Jungfermann. Er ist gern im Wald, hier gefällt es ihm. Seine Aufgabe ist es, alle Arbeiten seiner zwölf Kollegen genau zu dokumentieren und über alle Funde und die geräumten Flächen genau Buch zu führen. 50 Zentimeter tiefe Schneise gebaggert: Für Firmeninhaber Hendrik Nolte ist der Einsatz im Wald bei Starkshorn ein kleiner bis mittlerer Auftrag. Sein Unternehmen ist auch im Bereich des Bahnprojekts Stuttgart 21 eingebunden, 50 der insgesamt 130 Mitarbeiter der Firma arbeiten in der Kampfmittelbeseitigung. Und gerade ist eine mobile Siebanlage angeliefert worden und wird für den Einsatz vorbereitet. Ein Bagger wird sie mit den riesigen Bergen Erdaushub füttern, die beim 50 Zentimeter tiefen Auskoffern der Schneise angefallen sind. Einige tausend Tonnen sind das. Jeder Berg trägt eine Nummer, denn nach dem Aussondern von Metallen wird der gesiebte Boden auch auf Belastung durch Sprengstoffe untersucht. Und dann wird entschieden, ob er wieder eingebaut werden darf oder entsorgt werden muss. Hintergrund ist eine mögliche Grundwasser-Gefährdung durch giftige Sprengstoffverbindungen. Landesforsten kontrollieren Kampfmittelbeseitigung: Ingenieur und Leitender Feuerwerker Thomas Bußmann von Ingenieurbüro Döring in Berlin agiert für die Landesforsten im Wald bei Starkshorn als örtliche Bauüberwachung und kontrolliert die Arbeiten der Kampfmittelbeseitiger. Sein Zwischenfazit nach zwei Monaten: „Die Funde rechtfertigen die Maßnahmen“. Er siedelt die inzwischen gefundene Munition unterschiedlichster Kaliber sowie die Munitionsteile im Tonnenbereich an. Entsorgung der Munition erfolgt in Munster: Was gefunden wird, holt der Kampfmittelbeseitigungsdienst Niedersachsen ab und führt es der Entsorgung in Munster zu. Deren Leiter Thomas Bleicher erklärt, ein genaues Bild werde man erst nach Abschluss der Arbeiten haben, stellt aber schon jetzt fest: „Es ist erschreckend viel“. Vor dem Hintergrund der Gefahren im Untergrund lautet sein eindringlicher Appell an alle Waldspaziergänger, unbedingt das Betretungsverbot zu beachten und keine Gegenstände mitnehmen. „Das Gelände ist gesperrt“, sagt Kremeike mit Nachdruck. Arbeiten im Wald bei Starkshorn kosten etwa 300.000 Euro: Spielt das Wetter mit, sollen die laufenden Arbeiten im März abgeschlossen sein. 300.000 Euro sind dafür veranschlagt. Jedes Jahr geben die Landesforsten für Rüstungsaltlasten in ihren Wäldern Millionen Euro aus, „Steuergelder“, betont der Sachgebietsleiter. Doch im Frühjahr ist die Rüstungsaltlast Marinesperrzeugamt Starkshorn nicht abgehakt. Im Gegenteil. Die jetzt im Wald gewonnenen Erkenntnisse sollen einfließen in eine „historisch-genetische Rekonstruktion“, also in ein Gutachten, das den gesamten Wissensstand über die ab 1937 gebaute Militäreinrichtung für den Bau von Seeminen sowie die nach dem Krieg unter Aufsicht der Alliierten auf dem Gelände vorgenommenen Sprengungen von Munition aller Art, eine Auswertung von Luftbildern, die Archivrecherche und die in den vergangenen Jahrzehnten vorgenommene Kampfmittelräumung berücksichtigt und zusammenfasst. Erkenntnisse sollen in Gutachten einfließen: Dieses Gutachten soll in diesem Jahr ausgeschrieben werden. Bereits vor 30 Jahren war ein derartiges Papier erstellt worden, inzwischen sind aber weitere Archive zugänglich und Luftbildbestände hinzugekommen. Auch die im Gelände einsetzbare Technik, etwa die Sonden, habe sich weiterentwickelt, so Bleicher. Kampfmittelräumung bei Starkshorn wird sich über Jahre hinziehen: Nach dieser Bestandsaufnahme soll dann die eigentliche Kampfmittelräumung in der Fläche abschnittsweise vorgenommen werden. Zurzeit gelten 40 Hektar als Verdachtsflächen, ein Sechstel des gesamten Areals. Dabei wird auch der Landkreis Celle als Untere Naturschutzbehörde wieder mit im Boot sein, denn es geht auch um den Grundwasserschutz. „Die Arbeiten werden sich über Jahre hinziehen“, sagt der Unterlüßer Forstamts-Vizechef Deeken mit Blick auf die Mammut-Aufgabe. Abhängig ist das auch von den zur Verfügung stehenden Finanzen. Und die Kosten könne heute niemand benennen, fügt Bleicher hinzu. Den Abschluss der Arbeiten werden alle derzeit Beteiligten wohl im Rentenalter erleben. Von Joachim Gries