Extremismusvorwürfe und Belastung: So ist die Stimmung bei Celler Polizei

„Ein Unding, dass so etwas passiert“, sagt ein Celler Polizist über die rechtsextremen Chatgruppen von Berufskollegen in mehreren Bundesländern, die in den vergangenen Monaten für politisches Erschrecken gesorgt haben. Doch die von der Bundesregierung nach monatelangem Koalitionsstreit beauftragte Untersuchung zu Alltagsrassismus dürfte die Situation ebenso wenig verbessern wie die von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius angekündigte Studie, ist der Celler Beamte überzeugt: Die Stimmung unter den Ordnungshütern sei schlecht. Gewaltdelikte in Celle sorgen für hohe Belastung: „Es wird immer mehr von uns gefordert, dafür haben wir immer weniger Einkommen“, macht er seinem Ärger Luft: Wie seit März durch die verstärkten Kontrollen wegen der Corona-Pandemie sind die Polizisten mit immer mehr Aufgaben belastet. Und auch die in diesem Jahr gehäuften Gewaltdelikte in Celle halten die Polizeiinspektion in Atem. „In sieben Wochen nur ein freies Wochenende“, charakterisiert ein anderer Beamter seinen Dienstalltag. Vier Polizeibeamte haben bereits gekündigt: Vier Kollegen der Polizeiinspektion Celle haben allein in den vergangenen zwei Jahren gekündigt, erzählt der Polizeibeamte, der seinen Namen lieber nicht öffentlich genannt haben möchte. „Das waren gestandene Kollegen, Oberkommissare.“ Die würden jetzt beispielsweise in der Bundeswehrverwaltung in Bergen und Munster oder beim VW-Werkschutz arbeiten, wo sie ein höheres Einkommen haben, und keinen Wochenenddienst. „Früher war die Arbeit bei der Polizei ein Lebensjob“, sagt der Celler Polizist. „Früher gab es bei uns keine Kündigungen – nur wenn man Dreck am Stecken hatte.“ „Wir sind Sparschweine der Nation“: Eine Entwicklung, die absehbar gewesen sei: Über Jahre seien das Einkommen und die beruflichen Perspektiven der Polizisten geschrumpft, bilanziert ein Celler Beamter gegenüber der CZ: „Wir als Landespolizei sehen uns als Sparschweine der Nation.“ Und das, obwohl es die Ordnungshüter sind, die in schwierigen Situationen ihren Kopf hinhalten, um das öffentliche Leben, um die freiheitliche Gesellschaft zu schützen. „Ältere Kollegen verdienen jetzt monatlich rund 350 Euro weniger als 2006“, hat einer der befragten Celler Polizisten nachgerechnet. Eine Aussage, die das Niedersächsische Finanzministerium nicht unwidersprochen lassen will: In den Besoldungsrunden seit 2006 seien die Bezüge der Niedersächsischen Beamten insgesamt um mehr als 31 Prozent gestiegen, verweist man in der Landeshauptstadt auf die Tarifabschlüsse. Auch das „Weihnachtsgeld“ in Höhe von 300 Euro werde es ab diesem Jahr wieder geben – früher aber sei es ein volles Monatsgehalt gewesen, sagt der Celler Beamte. „Die jüngeren Kollegen kennen das gar nicht mehr, die älteren aber hatten das beispielsweise für ihre private Baufinanzierung mit eingeplant.“ So erklärt Gewerkschaft der Polizei die Unterschiede: Vergleiche seien schwierig, versucht die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine Erklärung für die unterschiedlichen Angaben. „Im Rahmen der Tarifverhandlungen wurden die Gehälter angehoben, während gleichzeitig aber Jahressonderzahlungen weggefallen sind“, erklärt GdP-Pressesprecher Felix Keldenich gegenüber der CZ. Und Patrick Seegers, Polizist in Hannover und Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), sagt: „Bei Einführung der Zweigliederung und Tilgung des mittleren Dienstes war eigentlich das Ziel, alle besserzustellen.“ Die 1992 von der Landesregierung beschlossene Reform habe bessere Aufstiegsmöglichkeiten für den damaligen „Schutzmann“ schaffen sollen – doch, so Seegers, „wer heute noch in der Besoldungsgruppe A9 festsitzt, verdient weniger als der Polizeihauptmeister damals“. Laut Gehaltsrechner für den Öffentlichen Dienst liegt das Monatsbrutto in dieser Besoldungsgruppe bei knapp 2800 Euro. Der Klagekatalog des Celler Polizisten geht aber noch weiter: Auf Beförderungen – früher nach drei Jahren üblich – müsse mittlerweile teilweise bis zu 14 Jahre gewartet werden. Kollegen aus anderen Ländern, beispielsweise Hessen oder Nordrhein-Westfalen, steigen durchschnittlich schneller auf, bestätigt auch die GdP. „Ein Polizeibeamter im mittleren Dienst verdient in Bayern mehr als ein Kommissar in Niedersachsen“, ärgert sich der Celler Polizist über den langjährigen Sparkurs der Landesregierung bei der inneren Sicherheit. Bei der Besoldung seiner Polizisten rangiere Niedersachsen im Vergleich der Bundesländer im unteren Drittel. „Und gleichzeitig wurde unsere 38,5-Stunden-Arbeitswoche auf 40 erhöht. Viele haben den Kanal voll.“ Ministerium: Von Sparkurs keine Rede: Mittlerweile scheint sich aber ein Umdenken in der Politik bemerkbar zu machen: „Die Wiedereinführung der Heilfürsorge für alle Polizeivollzugsbeamten mit Wirkung zum 1. Januar 2017 war ein deutliches politisches Signal der Wertschätzung und Anerkennung für die besonderen Belastungen der alltäglichen Arbeit dieser Berufsgruppe“, heißt es aus dem Niedersächsischen Innenministerium. Ministeriumssprecher Werner Steuer nennt auf CZ-Anfrage 1230 zusätzliche Einstellungen und 3750 zusätzliche Beförderungen im Polizeivollzugsdienst seit 2016. Zur Wahrnehmung ihrer vielfältigen Aufgaben verfüge die Polizei über eine umfangreiche und moderne Ausstattung, betont auch das Finanzministerium in Hannover. Angesichts der Haushaltssituation könne deshalb im Zusammenhang mit der Polizei von einem „Sparkurs“ keine Rede sein. Aufrechterhalten der Mindestanforderungen: Auch die GdP sieht durchaus Erfolge in den vergangenen Jahren. „Dennoch gewährleisten viele Investitionen des Landes lediglich das Aufrechterhalten der Mindestanforderungen an einen technisch zeitgemäßen und sicheren Polizeidienst“, heißt es einschränkend. „Stillstand ist Rückschritt“, bringt DPolG-Landeschef Seegers die Notwendigkeit guter Ausrüstung auf den Punkt. Die Polizei sei besser ausgestattet – auch unter dem Eindruck terroristischer Bedrohungslagen wie etwa der beim dann kurzfristig abgesagten Fußballspiel Deutschland-Niederlande in Hannover vor fünf Jahren. Allein, es knirscht im Detail: Für den verstärkten Einsatz von Bodycams etwa müssen Kollegen spezielle Westen mit Kamerahalterung anschaffen – und zwar aus dem eigenen Kleidungsbudget. „Das ist so, als wenn der Arzt Spritzen und Kanülen selbst bezahlen muss“, sagt der Gewerkschafter. Ein Grund für die verbreitet schlechte Stimmung unter den Kollegen sei auch mangelnder Zuspruch durch Vorgesetzte, heißt es von den unabhängig voneinander befragten Celler Beamten. Einzig zum Weihnachtsfest gebe es lobende Worte – bald ist es wieder soweit. Alle Jahre wieder kommt dann eine E-Mail von der Leitung der Polizeiinspektion Celle mit Dank für die geleistete Arbeit, eine vom Polizeipräsidenten in Lüneburg und eine aus dem Innenministerium in Hannover. „Das ist so wie das Klatschen für das Krankenhauspersonal in der Corona-Pandemie. Das nutzt uns letztlich nichts.“ "Studie ist realitätsfern": Die Studie zu rechtsextremistischen Einstellungen in den Reihen der Ordnungshüter sei realitätsfern, sagt einer der Celler Befragten: „Wer outet sich denn bei so was als Rechtsextremer?“ Und DPolG-Vertreter Seegers meint: „Die 200.000 Euro, die allein die Studie der Polizeiakademie in Niedersachsen kostet, wären für eine bessere Ausstattung besser ausgegeben.“ Anstelle der Studie plädiert ein Celler Polizeibeamter lieber für eine Art neuen Radikalenerlass für alle Staatsdiener – eine Position, der auch Seegers zuneigt: „Extremistische Positionen werden von Einzelnen auch in anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes vertreten“, verweist er etwa auf den umstrittenen AfD-Politiker Björn Höcke, der vor der Wahl in den thüringischen Landtag als beamteter Gymnasiallehrer in Hessen tätig war. Um Radikalisierungen zu verhindern, regt der Celler Beamte einen Blick auf den polizeilichen Berufsalltag in Problemvierteln an: Das Personal von Revieren in sozialen Brennpunkten sollte angesichts der dortigen permanenten Stresssituation regelmäßig ausgewechselt werden, denn der dauerhafte Druck könne schon mal das eigene Weltbild verschieben. „Die Polizei verhaut nicht einfach Leute!“: Mit einer bundesweiten Kampagne zum Thema Wertschätzung und Respekt für die Beschäftigten der Polizei will die Deutsche Polizeigewerkschaft auf die Stimmung unter den Einsatzkräften und auf deren Forderungen an Politik und Gesellschaft aufmerksam machen. „Es wird immer nur das Negative rausgegriffen“, kritisiert DPolG-Landeschef Seegers im Gespräch mit der CZ die mangelnde Ausgewogenheit in der öffentlichen Diskussion. „Der wollen wir uns ja offen stellen. Wenn wir bei 22.000 Polizisten in Niedersachsen zehn Fälle von Extremismus haben, dann ist das deutlich weniger als der Anteil in der Gesamtgesellschaft.“ Die Diskussion über Polizeigewalt zeige ein falsches Bild der Realität: Die Polizei übe das staatliche Gewaltmonopol aus, den Grundpfeiler unser verfassungsmäßigen Ordnung – allein schon durch Festnahmen von Rechtsbrechern, sagt Seegers. „Die Polizei verhaut nicht einfach Leute!“ Das sagt die ehemalige Polizeibeamtin Kirsten Lühmann: „Ein sauberes Vorgehen ist wichtig für die Polizisten“, sagt die Celler SPD-Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann. „Und dafür braucht es eine klare rechtliche Grundlage.“ Das verdeutlicht die Politikerin, die selbst ausgebildete Polizistin und im DPolG-Landesvorstand ist, als Beispiel mit dem in die Kritik geratenen „Racial profiling“: Der Drogenhandel an den einschlägigen Punkten in Hannover sei fest in afrikanischer Hand. „Wenn dort häufiger junge Schwarze kon-trolliert werden als ältere Weiße, dann hat das triftige Gründe, dann ist das in Ordnung.“ Viele Tötungsdelikte im Celler Bereich: „Wenn Zeugen einen Täter als schwarzhaarig und südosteuropäisch beschreiben, werden wir keinen blonden nordischen Typen suchen“, bringt es einer der befragten Celler auf den Punkt. Das jedoch vom vorurteilsbeladenen Handeln gegenüber bestimmten Gruppen abzugrenzen, das ist die Schwierigkeit – und das sei ein wichtiger Aspekt der von Niedersachsens Innenminister Pistorius angeregten Studie, sagt Lühmann. „Was ich zudem absolut wichtig finde, ist die Frage: Was macht die tägliche Polizeiarbeit mit den Polizisten“, sagt die Politikerin, „und wie kann man denen helfen, damit sie diese alltäglichen Erfahrungen unbeschadet überstehen?“ Eine wichtige Frage. In den vergangenen Jahren habe die Polizeiinspektion Celle mit vielen Tötungsdelikten zu tun gehabt, wird der Celler Beamte im Gespräch leiser. „Das sind Bilder, die kriegst Du nie wieder weg.“ Man stumpfe ab. Der Polizeialltag im hannoverschen Bahnhofsbereich etwa habe viel mit Suchtkriminalität und Gewalt zu tun, weiß auch Lühmann. „Da entstehen Stereotype, da brauchen die Kollegen Supervision.“ Die Hilfestellung zur Klärung von Konflikten aber gibt es nicht regelmäßig, die muss beantragt werden – „und das ist die Krux“, ärgert sich Lühmann: Wer Bedarf anmeldet, gelte schnell als „Weichei“. Als sie 1983 als Polizistin angefangen habe, sei die einzige Form psychologischer Hilfe das Feierabendbier im Kollegenkreis gewesen, erinnert sich Lühmann. Heute gibt es Kriseninterventionsteams; vorgeschrieben ist der Kontakt mit denen allerdings nur nach Schusswaffengebrauch. Doch auch der alltägliche Einsatz in sozialen Brennpunkten belaste die Polizisten, betont Lühmann. Auch dieser Aspekt soll nun in der in Niedersachsen geplanten Studie untersucht werden. Wissenschaftler sollen die Sicherheitskräfte beim Einsatz vor Ort begleiten „Das finde ich gut“, urteilt Lühmann. Nicht aber das, was auf Bundesebene SPD-Parteichefin Saskia Esken vertrete, die die Polizei quasi unter Generalverdacht des latenten Rassismus gestellt hatte. „Damit hat sie nicht die Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion hinter sich“, wird Lühmann deutlich. Und auch Niedersachsens Innenminister Pistorius versteht die niedersächsische Studie zur Arbeit der Polizei eher wertschätzend: „Das ist ein wichtiger Schritt, der insbesondere unserer Polizei zugutekommt und das Vertrauen, das zu Recht in sie besteht, stärkt.“ Von Klaus M. Frieling