„Heute mehr Widerstand“ : BI Wietze kämpft seit 2009 gegen Schlachthöfe

Die Schlachthof-Genehmigung würde heute nicht mehr so einfach über die Bühne gehen. Uschi und Gerd Helmers sind sich da sicher. Schließlich sind die Grünen im Dauer-Hoch; die Themen Klima, Massentierhaltung und Bio-Landwirtschaft in aller Munde. „Heute gäbe es wesentlich mehr Widerstand. Das Bewusstsein in der Bevölkerung ist ein ganz anderes geworden“, sagt Gerd Helmers. Vor zehn Jahren war das noch anders. Da wurden die Mitglieder der Wietzer Bürgerinitiative schon mal als „Spinner“ bezeichnet, kämpften gegen viele Widerstände – und verloren schließlich den Kampf um die Ansiedlung des Rothkötter-Konzerns. Schlagzeile: „1000 neue Jobs in Wietze geplant“: Am 12. September 2009 titelte die CZ exklusiv auf Seite 1: „1000 neue Jobs in Wietze geplant“. Es war eine dieser Nachrichten, die sofort klar machten, dass sich nicht nur eine Gemeinde, sondern eine ganze Region verändern würde. Dass die Debatte um den Hähnchen-Schlachthof dann aber solch gewaltige Ausmaße annimmt, damit hatten anfangs die wenigsten gerechnet. Doch es ging um viel. Der Konzern aus dem Emsland plante Europas größten Geflügelschlachthof. Die Zahlen allein lassen manchen noch immer erschaudern: Genehmigt wurde nach jahrelanger Planung das Schlachten von 27.000 Tieren in der Stunde. 432.000 Tiere am Tag. Über 130 Millionen im Jahr. Man muss dazu sagen, dass diese Zahlen bis heute nicht erreicht werden. Denn die genehmigte zweite Schlachtlinie wurde nie gebaut. Das heißt, das maximal die Hälfte der erlaubten Hähnchen-Schlachtungen auch erfolgt. Größte Bürgerinitiative nach Stuttgart 21: Nachdem die Nachricht im September 2009 raus war, formierte sich in Wietze der Widerstand. Auf teils chaotischen Veranstaltungen wurde erst eine Interessengemeinschaft, später ein Verein gegründet. Die BI Wietze war geboren. „Wir haben gesagt, wir wollen das hier nicht. Wir wollten kein zweites Emsland werden", erinnert sich die Vorsitzende Uschi Helmers, die 2012 auf Norbert Juretzko folgte und seitdem an der Spitze der BI steht. Es ist bis heute ein bunter Haufen. Natur- und Tierschützer engagieren sich neben Veganern und Globalisierungskritikern. „Wir haben noch immer fast 500 Mitglieder“, sagt Uschi Helmers. Zu Hochzeiten waren es 1500 Mitstreiter. „Wir waren nach Stuttgart 21 die größte Bürgerinitiative in ganz Deutschland“, sagen die Helmers. Sie sind stolz, dass ihre Initiative bis heute so viele Unterstützer hat, auch wenn sie ihr eigentliches Ziel, die Ansiedlung zu verhindern, nicht erreicht haben. Sie wissen, dass sie damals keine Chance hatten. Es gab sowohl im Celler Kreistag als auch im Wietzer Gemeinderat eine klare Mehrheit für das 70-Millionen-Euro-Vorhaben. "Wir hatten es nicht mit einem Landwirt, sondern mit einem großen Investor zu tun“, sagt Uschi Helmers im Rückblick. "Wir waren am Anfang naiv, was die ganze rechtliche Seite angeht", ergänzt ihr Mann. Sie hätten sich gleich zu Beginn einen Fachanwalt nehmen sollen. Die Vorsitzende betont aber, dass es dem Schlachthof-Betreiber bis heute nicht gelungen sei, viele Bauern aus der Celler Region davon zu überzeugen, für den Wietzer Betrieb Masthähnchen zu produzieren. „Er ist gezwungen, Tiere aus Dänemark und Polen anzukarren“, sagt sie. Zumindest schmälert das den Gewinn. Warum die zweite Schlachtlinie bis heute nicht gebaut wurde, ist nicht klar. Bekannt ist, dass Rothkötter kein Absatzproblem hat. Er hatte aber Schwierigkeiten, in der Region Mäster zu finden. Möglich, dass die Bürgerinitiative dazu beigetragen hat. Vorsitzende war noch nie im Schlachthof: Der BI Wietze ging es nie nur um den Schlachthof vor der eigenen Haustür, den die Helmers bis heute nicht von innen gesehen haben. Spricht man mit ihnen und Vorstandsfrau Jutta Huntemann-Hintze, sprudeln die Sätze nur so aus ihnen heraus. Es geht darum, die bäuerliche Landwirtschaft zu stärken. Bauernhöfe statt Agrarfabriken. Weniger Fleischkonsum. Kurz gesagt: Die Massentierhaltung einschränken. Aufgeben ist keine Option. "Steter Tropfen höhlt den Stein", sagt Huntemann-Hintze. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Wietzer BI nicht alleine ist. Im Januar fahren etliche Wietzer immer nach Berlin und nehmen an der Demonstration „Wir haben es satt“ teil, die von einem breiten Bündnis getragen wird. Unvergessen ist die Großdemo im August 2013 in Wietze. Rund 7000 Demonstranten waren vom Droschkenplatz zum Schlachthof gezogen. Eine so große Demonstration hatte Wietze nie zuvor gesehen. Und wird Wietze wohl auch nie wieder sehen. Mitveranstalter damals war die Wietzer Bürgerinitiative. Es war ein riesiger Erfolg, das Medienecho war gewaltig. Schlachthof-Kritiker sind noch immer aktiv: Heute ist es um die BI deutlich ruhiger geworden. Wenngleich die Schlachthof-Kritiker immer noch sehr aktiv sind. Sie treffen sich mit Landwirten, Kirchenleuten, Studenten. Es gibt Kontakte zu Schulen. Sie unterstützen andere Bürgerinitiativen. Zeigen sich mit Info-Ständen in der Öffentlichkeit. „Wir machen Bildungsarbeit, informieren über das Thema“, sagt Uschi Helmers. Und sie sind hartnäckig. BI-Vertreter stehen seit vielen Jahren an jedem Montagabend am Schlachthof und halten eine Mahnwache ab. Es ist wirklich wahr: Seit bald zehn Jahren treffen sich jeden Montag bei jedem Wetter ein paar Rothkötter-Gegner vor der großen Anlage. Mal ist es nur eine Handvoll Teilnehmer, dann ist die Protestrunde eben eine Art Vorstandssitzung. Manchmal sind es auch mehr Teilnehmer. Vor vielen Jahren, zur 100. Mahnwache, kamen auch die damaligen Grünen-Chefs Cem Özdemir und Claudia Roth. „Das hat mit Landwirtschaft nichts mehr zu tun. Diese industrielle Produktion geht zu Lasten der Bürger. Wir geben gegen solch eine Tötungsfabrik nicht auf. Der Lebensweg der Tiere ist abstoßend und abschreckend“, sagte Roth damals am Schlachthof. Heute hat die BI Wietze aber auch ein ganz anderes Problem. Eines, das nichts mit Tierschutz und Filteranlagen und Baugesetzgebung zu tun hat. Eines, das sie mit vielen Vereinen teilt: Die Überalterung ihrer Mitglieder. Viele Unterstützer sind im Rentenalter, auch der Vorstand könnte eine Verjüngung brauchen. Uschi Helmers ist 70 Jahre alt, ihr Mann 73. Sie engagieren sich gerne und werden das auch die kommenden Jahre machen. Aber irgendwann wird ein Wechsel nötig sein. „Vielleicht ergibt sich aus der Fridays-for-future-Bewegung ja irgendwann mal etwas“, sagt Uschi Helmers. Noch ist das aber nur eine vage Hoffnung. Die Rothkötter-Unternehmensgruppe beschäftigt laut eigener Homepage an sechs Standorten 3000 Mitarbeiter. Im Wietzer Schlachthof, der "Celler Land Frischgeflügel GmbH", sind 850 Menschen fest angestellt. Dazu kommen etwa 200 Leiharbeiter. Der Betrieb ging Anfang September 2011 an den Start. Bekannt ist, dass etliche Rumänen, Bulgaren und Polen im Schlachthof beschäftigt sind. Dort wird im Drei-Schicht-System gearbeitet. Vor Jahren betonte der Firmenchef Franz-Josef Rothkötter, dass die festangestellten Mitarbeiter in der Produktion zum Einstieg einen Stundenlohn in Höhe von 9,50 Euro erhalten, der sich nach Beendigung der sechsmonatigen Probezeit auf 10,88 Euro erhöht. Die Mitarbeiter bekommen also mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Bei aller Kritik am Schlachthof, die Gemeinde Wietze profitiert in erheblichem Maße von den Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Vor der Ansiedlung war die Gemeinde jahrelang auf Zuweisungen aus Hannover angewiesen. Das hat sich gewaltig geändert. Jetzt werden ein neues Rathaus (Foto) und eine neue Kita gebaut, das Schwimmbad wurde saniert – die Liste ließe sich fortsetzen. Bezahlt wird das auch mit den Schlachthof-Millionen. Firmenchef Franz-Josef Rothkötter hatte versprochen, dass die in Wietze erwirtschafteten Einnahmen auch vor Ort versteuert würden. Nach Angaben von Bürgermeister Wolfgang Klußmann erhält die Gemeinde von Rothkötter jedes Jahr einen hohen sechsstelligen Betrag aus der Gewerbesteuer.

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