Posts in Sozialen Medien : Der öffentliche Tod von Lachendorf

Donnerstag vergangener Woche, kurz nach 18 Uhr mitten in Lachendorf. Ein Mann bricht auf offener Straße zusammen. Er blutet stark, kämpft ums Überleben. Wenig später erliegt er seinen schweren Halsverletzungen. Viele Menschen schockiert: Der Suizid des Mannes hat viele Menschen beschäftigt, schockiert und betroffen gemacht. Was viele mindestens genauso schockiert hat, ist, was sich in den Sozialen Medien abgespielt hat. Es war noch gar nicht klar, was genau geschehen ist, da machte ein Foto in Lachendorf und schließlich weit darüber hinaus die Runde. Der schwer verletzte Mann liegt auf dem Boden, eine Frau steht hilflos daneben. Auch eine große Blutlache ist zu sehen – darunter der Text „Kehle offen“. Die Celler Polizei klärte das Geschehen schnell auf. Noch am späten Abend hieß es, dass vermutlich keine Fremdeinwirkung vorlag. Am nächsten Tag bestätigte die Obduktion des Leichnams die Annahme: kein Mord, kein Gewaltverbrechen. Doch wildeste Gerüchte waren noch am Abend, quasi in Echtzeit längst im Umlauf. Von einer Messerstecherei unter Jugendlichen war die Rede. Und wie so oft wurde gegen Ausländer und Flüchtlinge gehetzt – was allerdings, auch das gehört zur Wahrheit dazu, von vielen Nutzern entschieden zurückgewiesen wurde. Bild wird rasend schnell verbreitet: Dem Anschein nach hat ein Passant das Bild bei dem Messenger-Dienst Snapchat hochgeladen, das dann vor allem bei WhatsApp vielfach verbreitet wurde. Das Verhalten des Urhebers könnte Konsequenzen haben. Die Celler Polizei spricht von einem „aus sozialethischer Sicht verwerflichen Posting in den sozialen Medien“, wie der Celler Polizei-Chef Eckart Pfeiffer sagt. Und: „Wir versuchen, die Identität des Urhebers festzustellen.“ Ermittlungsverfahren eingeleitet: Die Polizei hat ein Ermittlungsverfahren nach Paragraf 201a des Strafgesetzbuches eingeleitet. Dort geht es um die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen. So werde mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft, wer „eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt“. Auch die Verbreitung solcher Fotos steht unter Strafe. Polizeisprecherin Anne Hasselmann spricht bei dem unbekannten Fotografen ganz bewusst von einem Täter: „Wir werden alles daran setzen, den Täter zu ermitteln.“ Man stelle sich nur vor, Verwandte hätten bei Snapchat vom Tod des Mannes erfahren. Die Polizei hat immer mehr damit zu tun, dass im Internet über echte oder vermeintliche Kriminalfälle wild diskutiert wird. „In erster Linie muss sich die Polizei um die Bewältigung der jeweiligen Einsatzlage kümmern. Eine sich möglicherweise bildende ‚Parallel-Öffentlichkeit‘ in sozialen Medien behindert die Arbeit der Polizei eher, als dass sie hilfreich ist, denn sie bindet personelle Ressourcen, die letztlich im Einsatzgeschehen fehlen“, sagt Pfeiffer. Dass die Celler Polizei in den Sozialen Medien präsent ist, versteht sich von selbst. Die Ermittler sind bei Twitter und Facebook aktiv. Als sich am Donnerstag vergangener Woche abzeichnete, dass es kein Mord war, informierte die Polizei sofort die Medien – auch um den wilden Gerüchten etwas entgegenzusetzen. Todesfall Thema Nummer eins in Lachendorf: In den Tagen danach war der öffentliche Todesfall das Thema Nummer eins in der Gemeinde. „So etwas ist noch nie dagewesen“, sagt Lachendorfs Samtgemeindebürgermeister Jörg Warncke. Auch ihn haben die Postings in den Sozialen Medien schockiert. Er spricht von einer „Verrohung der Gesellschaft“. Schüler brauchen Medien-Kompetenz: Der FDP-Politiker Charles Sievers, der an der Oberschule Lachendorf unterrichtet, schildert, dass auch an der Schule der Suizid des Mannes und der Umgang damit eine große Rolle gespielt habe. „Die Sucht nach Anerkennung lässt sämtliche Hemmungen fallen“, beschreibt er, warum vor allem junge Menschen in den sozialen Medien selbst in einer solch krassen Weise aktiv werden. Sievers spricht sich dafür aus, in der Schule mehr über Medienverhalten zu sprechen. „Wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, was gepostet werden darf und was nicht.“ Professor: Umgang mit Bildern thematisieren: Bilder seien heute die wichtigsten Kommunikationsinstrumente, erklärt Professor Lars Bauernschmitt, Leiter des Studiengangs Fotojournalismus an der Hochschule Hannover. Er rät dazu, die Publikation solcher Bilder schon sehr früh zu thematisieren. „Umgang mit Bildern, ihr Einsatz, ihre Möglichkeiten und ihre Wirkungsmöglichkeiten werden in der Ausbildung viel zu wenig berücksichtigt. Der Umgang mit Bildern sollte in Schule, Vorschule und auch danach viel stärker thematisiert werden. Schon Vorschulkinder sollten lernen, Bilder zu erstellen, zu lesen und verstehen, wie sie wirken“, sagt der Experte. Auch Medien sollten darüber aufklären, wie Bilder wirken. Warum ein Mensch ein solches Foto erstellt und verbreitet, weiß aber auch Bauernschmitt nicht. „Nachdenken und Empathie würden sicher zu der Entscheidung führen, solche Bilder nicht zu machen, sondern dem Menschen zu helfen.“

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