Tödlicher Unfall in Poitzen: Weitere Vorwürfe gegen Polizisten

Hätten die Polizisten Marcel Lühmann das Leben retten können? Hätten es die Beamten zumindest versuchen müssen, das 32-jährige Unfallopfer aus seinem Auto zu ziehen? Um diese Fragen dreht sich das juristische Nachspiel, das die Eltern des Unfallopfers durch ihre Strafanzeige angestoßen haben. Marcel Lühmann hatte auf der Flucht vor der Polizei am 15. März mit seinem Opel das Geländer der Brücke in Poitzen durchbrochen und war kopfüber in der Örtze gelandet. Er ertrank in seinem Auto. Der Celleschen Zeitung liegt die schriftliche Zeugenaussage der Feuerwehrfrau Nicole Denecke vor, in der die Polizisten belastet werden. Zuvor hatte bereits ein Anwohner Vorwürfe gegen die Beamten erhoben. Und auch die Staatsanwaltschaft Celle ermittelt doch nochmal – wegen des Vorwurfs der unterlassenen Hilfeleistung. Tödlicher Unfall in Poitzen: Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen: Zuvor hatten Heidi und Dirk Lühmann, die Eltern des Unfallopfers, Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gestellt. Die Staatsanwaltschaft Celle nahm aber zunächst keine Ermittlungen auf und stellte das Verfahren ein. Die Eltern haben angekündigt, dagegen Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft einzulegen. „Das Verfahren gegen die vor Ort eingesetzten Polizeibeamten ist von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, weil sich aufgrund der Ergebnisse des Obduktionsgutachtens nicht mit ausreichender Sicherheit beweisen lässt, dass zu dem Zeitpunkt, als die ersten Polizeibeamten am Unfallort eingetroffen sind und den Pkw des Verstorbenen im Wasser festgestellt haben, überhaupt noch Hilfe möglich gewesen wäre“, sagt Stefanie Vogler, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Celle. Es könne nicht widerlegt werden, dass der Geschädigte zu dem Zeitpunkt, als die Beamten Rettungsmaßnahmen hätten ergreifen können, nicht bereits verstorben gewesen sei. Unterlassene Hilfeleistung der Polizisten? Staatsanwaltschaft Celle ermittelt: Soweit es den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung anbelange, werde nun aber doch nochmal ermittelt. Vermutlich wird somit die schriftliche Zeugenaussage von Feuerwehrfrau Nicole Denecke doch nochmal relevant. Bisher hatte die Staatsanwaltschaft Celle auf eine Befragung verzichtet. In der Zeugenaussage steht, dass keiner der Polizisten versucht haben kann, Marcel Lühmann aus dem Auto zu retten, da keiner nasse Füße hatte. Der Wasserstand der Örtze betrug in dieser Nacht etwa 50 bis 60 Zentimeter. In der Zeugenaussage wird von knietiefem Wasser gesprochen. Demnach hätten die Feuerwehrleute keine Mühe gehabt, Marcel Lühmann aus dem Auto zu ziehen. Schweres Gerät sei nicht benötigt worden. Zudem wird die Frage aufgeworfen, warum der Notruf nicht über Funk abgesetzt wurde. Die Leitstelle soll erst etwa sechs Minuten nach dem Unfall informiert worden sein. Wann genau starb Marcel Lühmann? Der Fall wirft Fragen auf. Wann genau geschah der Unfall? Wann waren die Polizisten vor Ort? Warum versuchten sie nicht, das Unfallopfer aus dem Auto zu befreien? Wann genau starb Marcel Lühmann? Stimmt es, dass der Notruf erst so spät und nicht per Funk abgesetzt wurde? Und wenn ja, warum? Verwirrung um Wildunfall auf der Flucht vor der Polizei: Und dann gibt es noch Verwirrung um einen vermeintlichen Wildunfall, den Marcel Lühmann auf der Flucht vor der Polizei gehabt haben soll. Wie Polizeisprecherin Birgit Insinger auf CZ-Nachfrage im März sagte, hätten die Polizisten gesehen, dass Lühmann kurz hinter Munster einen Wildunfall gehabt habe. Laut Aussage von Heidi und Dirk Lühmann habe aber keiner den Kadaver gefunden. Zudem gibt es ein Schreiben des KFZ-Betriebs, wo der Unfallwagen entsorgt wurde. Darin steht, dass es keinerlei Hinweise auf einen Wildunfall gebe. Unfall in Poitzen: Opfer hatte 2,44 Promille: Fest steht, dass Marcel Lühmann vor der Polizei flüchtete, weil er zuvor viel Alkohol getrunken hatte. „Der Blutalkoholgehalt des Geschädigten betrug laut rechtsmedizinischen Gutachten 2,44 Promille“, sagt Staatsanwältin Vogler. „Weitere Fragen kann ich derzeit nicht beantworten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.“ Dr. Peter Hannemann ist Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin am Allgemeinen Krankenhaus Celle. Die Cellesche Zeitung hat ihn zum Thema Ertrinken befragt. „Ertrinkende sterben am Sauerstoffmangel“, sagt der Mediziner. Allerdings dringe bei 85 bis 90 Prozent der Ertrunkenen gar kein Wasser in die Lunge ein. „Sobald der Kopf nämlich unter Wasser gerät, wird reflektorisch die Atmung unterdrückt und nach kurzer Zeit kommt es zu einem Stimmritzenkrampf, durch den die Luftröhre vollständig verschlossen wird“, erklärt Dr. Hannemann. „Gerät ein Mensch unter Wasser, wird er nach spätestens einer Minute ohnmächtig.“ Da er nicht mehr atmen könne, würden nach drei bis fünf Minuten Hirnzellen beginnen abzusterben. „Aber diese drei-bis-fünf-Minuten-Regel gilt nicht immer, denn die Zeit, nach der Gehirnzellen und Zellen anderer Organe zu Grunde gehen, hängt vom Lebensalter und der Wassertemperatur ab“, sagt der Experte. Je kälter das Wasser sei umso geringer sei der Sauerstoffbedarf der Organe. „Deswegen besteht auch nach mehr als drei bis fünf Minuten die Hoffnung, dass der Gerettete ohne Schäden überleben kann“, sagt Dr. Hannemann. Dies gelte insbesondere für Kinder. Aber: „Auch wenn es gelingt, den Ertrinkenden rechtzeitig zu bergen, können noch Stunden nach dem Unfall Komplikationen auftreten, zum Beispiel eine Lungenentzündung durch eingeatmetes Wasser“, so der Mediziner.