Serien-Retterin wider Willen: Rheinländerin leistet Erste Hilfe in Faßberg

Samstagvormittag in Faßberg: Eine Fahrradfahrerin liegt verletzt auf dem Netto-Parkplatz und schreit vor Schmerzen. Neben einem verbeulten Auto steht ein Mann, zitternd und von der Situation offenbar überfordert. Zum Glück befindet sich nur ein paar Hundert Meter entfernt eine Frau, die die Nerven behält und weiß, was in solchen Momenten zu tun ist. „Wir haben gerade unsere Einkäufe in den Wagen eingeladen, als ich wirklich laute und schrille Schreie hörte“, erinnert sich Christiane Keller an den 6. März. „Erst habe ich das nicht verorten können, dann schrie die Frau aber weiter.“ Sofort eilte sie zur Unfallstelle und koordinierte die Erste Hilfe. Die Physiotherapeutin kennt sich nämlich nicht nur von Berufswegen damit aus, auch privat war die Rheinländerin schon über ein dutzend Mal als Ersthelferin zur Stelle. Autofahrer völlig unter Schock: Wie schwer die 29 Jahre alte Radfahrerin verletzt war, war zunächst nicht zu erkennen. Zudem sprach die Frau nur gebrochen Deutsch. „Ich fragte sie: Brauchen Sie einen Rettungswagen? Und sie antwortete: Weiß ich nicht“, erzählt Keller. Unfallschock und fehlende Deutschkenntnisse machten die Verständigung fast unmöglich. „Aus ihr war gar nichts rauszukriegen", sagt die Ersthelferin. Zum Glück habe die Verletzte einen Ausweis dabeigehabt, damit Keller dem Notdienst zumindest den Namen der Frau verraten konnte. Ersthelferin ruft Polizei an: Für den offenbar unter Schock stehenden Unfallgegner, bei dem es sich laut Polizei um einen 58-Jährigen ohne gültige Fahrerlaubnis handelte, hatte die Physiotherapeutin eine klare Anweisung: „Ziehen Sie sich ihre Maske auf und setzen sie sich ins Auto.“ Anschließend meldete Keller den Zusammenprall bei der Polizei. „Ich hätte aber gleich 112 anrufen sollen“, sagt sie rückblickend. Mit dem Rettungsdienst telefonierte sie anschließend und arbeitete die „Fünf W“ ab: Wo ist das Ereignis? Wer ruft an? Was ist geschehen? Wie viele Betroffene? Und: Warten auf Rückfragen. Fahrradfahrerin nur leicht verletzt: Die 29-Jährige hatte Glück im Unglück. Sie war nicht auf dem ungeschützten Kopf, sondern nur mit dem Bein aufgeschlagen. „Das Bein war extrem blau und abgeschürft“, sagt Keller. Daher sei keine größere Erste-Hilfe-Maßnahme nötig gewesen. Bis der Rettungswagen aus Hermannsburg eintraf, dauerte es eine gute Viertelstunde. „Mein wichtigster Job war es dann, einfach dazubleiben und zu warten“, berichtet die Mönchengladbacherin, die in Faßberg ein Ferienhaus besitzt. Die Wartezeit nutzte sie, um für die Radlerin eine Maske aufzutreiben und ihr etwas zu Trinken zu geben. "Zum Glück kamen noch einige Menschen dazu, einer brachte auch eine Flasche Wasser." Erste-Hilfe-Tipp: Helfer rekrutieren: „Wichtig ist, dass man andere mit einbezieht. Man schafft es selten allein zu helfen", weiß Keller aus Erfahrung und betont: "Man kann als Ersthelfer nichts falsch machen. Den einzigen Fehler, den man begehen kann, ist einfach nichts zu machen." Ihr Erfolgsrezept bei der Ersten Hilfe lautet: "Man muss schnell reagieren, Hilfe holen und das tun, was geht." Als Physiotherapeutin im Universitätsklinikum Düsseldorf hat sie beruflich häufiger mit Kreislaufzusammenbrüchen zu tun. "Es kommt nicht selten vor, dass Patienten beim Aufstehen kollabieren." Aber auch in ihrer Freizeit hat sie schon mehreren verletzten oder bewusstlosen Menschen geholfen. "Auf der Kö ist einfach mal einer umgekippt, ohne dass ich überhaupt wusste, warum", erinnert sich Keller an eine Erste-Hilfe-Maßnahme auf der bekannten Düsseldorfer Königsallee. In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt und in ihrem Wohnort Mönchengladbach erlebte sie schon mehrere Kreislaufzusammenbrüche und Fahrradunfälle. Einmal handelte es sich sogar um den Zusammenprall einer jungen Fahrradfahrerin mit einer Straßenbahn. Während solche Unfälle gelegentlich auch tödlich enden, verletzte sich die junge Frau damals glücklicherweise nur am Knie. Lebensretterin hat viel Erfahrungen: „Andere gucken erstmal, aber Christiane fackelt nicht lange“, sagt Wolfram Goertz, der in solchen Notfällen seiner Lebenspartnerin blind vertraut. „Ich halte mich dann zurück, denn sie macht das einfach grandios.“ Die erfahrene Ersthelferin bleibt dagegen ganz bescheiden. "Ich kann bei solchen Situationen nicht weggucken, das ist eben mein Beruf", sagt Keller. Warum ausgerechnet sie so oft schon bei Notfällen aushelfen musste, kann sie sich auch nur schwer erklären: "Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich die Vorzeichen wahrnehme und dann besonders aufmerksam bin." "Das war echt der Wahnsinn": Wie wichtig es ist, dass bei einem Unfall einfach jemand da ist, hat sie selbst erlebt. Am 24. März 2016 fuhr sie in ihrem Wagen hinter ihrem Lebensgefährten auf der Autobahn. "Ich hatte die Freisprechanlage an und wählte ihre Nummer", erinnert sich Goertz an die Ereignisse auf dem Autobahnkreuz Kaarst. In einer Linkskurve sei er gerade mit 110 km/h unterwegs gewesen, als von der Standspur plötzlich ein Auto kam, ihn touchierte und ins Schleudern brachte. Goertz überschlug sich mit seinem Peugeot dreimal. "Dass ich das überlebt habe, ist ein Wunder. Die ganze Autobahn war ein Trümmerfeld", sagt er. Während Keller noch auf dem Seitenstreifen anhielt, befreite sich Goertz aus dem Fahrzeug. "Ich hatte mich gerade aus dem auf dem Kopf liegenden Auto durch die zersplitterte Fensterscheibe befreit, als ich merkte, dass ich blute. Da sagte ich nur zu ihr: Schatz, hast du eine Kompresse für mich?", schildert Goertz die ersten Momente nach dem Crash. Zum Glück waren vor Keller noch andere Ersthelfer vor Ort. "In diesem Moment war ich selbst unter Schock – aber wie", sagt sie und ergänzt: "Dort habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, dass sich Menschen in so einer Situation um einen kümmern. Das war echt der Wahnsinn."