Paul Hicks: „Luftbrücke war und ist mein Ding“

Für einen Soldaten hat Paul Hicks einen ungewöhnlichen und eindrucksvollen beruflichen Werdegang hingelegt, dem im vergangenen Jahr noch ein Sahnehäubchen aufgesetzt wurde. Hilfreich für diesen Weg dürften neben seinem Organisationstalent auch die Tatsache gewesen sein, dass er mit zwei Muttersprachen aufgewachsen ist und auch zwei Staatsangehörigkeiten besitzt. Als Sohn einer deutschen Mutter und eines englischen Vaters wurde Paul Dieter Hicks in der Garnisonsstadt Aldershot im südlichen England geboren („The Home of the British Army“). Der Vater arbeitete dann als Manager bei der NAAFI in Rinteln, einem von vielen Shops für britische Soldaten im Ausland. Die Familie pendelte mehrfach zwischen England und Deutschland hin- und her. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr sprach er kein Deutsch, erinnert sich Hicks. Doch eingeschult wurde er in Deutschland, und er lernte schnell, Deutsch akzent- und fehlerfrei zu sprechen. Schulbesuch in Hessisch Oldendorf: Hicks besuchte vormittags die Grund- und die Realschule in Hessisch Oldendorf, nachmittags die englische Schule und nahm außerdem noch in seiner Freizeit Kursangebote der britischen Armee wahr. Anschließend absolvierte dann eine Lehre als Bau- und Möbeltischler in Rinteln. Doch dann verstarb sein Vater im Alter von 46 Jahren bei einem tragischen Unglücksfall. Es bestand die Option, zur Royal Air Force zu gehen. Aber das hätte mindestens vier Jahre lang Ausbildung und Dienst fernab von Deutschland bedeutet. Nun ging es jedoch vorrangig darum, das elterliche Haus zu halten und Mutter und Schwester dabei zu unterstützen. Verpflichtung bei der Bundeswehr: So blieb Hicks in Deutschland. Weil er beide Staatsbürgerschaften besaß, konnte er sich bei der Bundeswehr bewerben und verpflichtete sich 1983 für vier Jahre. Sein Standort wurde der Fliegerhost Faßberg. Später verlängerte er auf zwölf Jahre und wurde schließlich Berufssoldat. Amüsiert erinnert er sich an seine erste Fahrt nach Faßberg: „Ich kam mit dem Auto in Celle den Harburger Berg hoch und wusste nicht weiter. Da bin ich rechts rangefahren und habe einen Passanten nach dem Weg gefragt. Doch der antwortete mit einer Gegenfrage: ,Faßberg, wo ist das denn?‘“ Hicks findet dann doch noch nach Faßberg, aber die Grundausbildung erhält er in Goslar. Zurück in Faßberg, wird Hicks zum Fernmeldemeister ausgebildet. Bis 1991 wird er im Fernschreibbetrieb der Bundeswehr eingesetzt. Die versetzt ihn dann als „Communications Specialist“ ins NATO-Hauptquartier nach Shape, Belgien, da bleibt er dreieinhalb Jahre. Abkommandiert zu Auslandseinsätzen: Nach einem Umweg über Kalkar kehrt Hicks 1996 als für die Organisation Verantwortlicher an die Technische Schule der Luftwaffe in Faßberg zurück. Neben seinem „normalen Dienst“ wird er über die Jahre immer wieder zu Auslandseinsätzen abkommandiert, zunächst 1992 mit der NATO in den Irak. Für einen deutschen Soldaten mit Muttersprache Englisch bieten sich ja Einsätze mit internationaler Besetzung geradezu an: Im Jahr 2004 schickt ihn die Bundeswehr als „Assistant Inspector General“ nach Sarajewo zu den US-Streitkräften, um zur Untersuchung von Kriegsverbrechen beizutragen. Das war offenbar alles andere als ein Vergnügen, denn Hicks berichtet mit ernstem Gesichtsausdruck von „unfassbar grausamen“ Taten, man könnte sie auch als bestialisch bezeichnen. Es verbietet sich natürlich, diese hier genauer zu beschreiben, aber so etwas hinterlässt Spuren. Es folgen noch weitere Auslandseinsätze bei einer Überwachungsmission der Bundeswehr im Tschad/Sudan 2006 und in Masar-e Sharif in Afghanistan 2010, die für die Soldaten nicht ungefährlich sind. Die Geschichte der Luftbrücke: Im selben Jahr wird er dann in Faßberg von seinem Kommandeur für die Stelle des Pressesprechers vorgeschlagen. Hicks erhält erstmal Gelegenheit, sich auf diese Tätigkeit vorzubereiten. Er besucht verschiedene Lehrgänge und absolviert Praktika, unter anderem beim Hessischen Rundfunk und der CZ. Als Pressesprecher ist er auch für die „militärgeschichtliche Sammlung“ des Fliegerhorstes Faßberg zuständig, in deren Zentrum die Geschichte der Luftbrücke steht. Diese diente der Versorgung der Berliner Bevölkerung während der Berlin-Blockade durch die Sowjets, dazu gehörten Lebensmittel und Kohlen. Unzählige alliierte Transportmaschinen, im Volksmund „Rosinenbomber“ genannt, flogen damals ab Juni 1948 fast ein Jahr lang pausenlos Versorgungsgüter nach Berlin, auch von den Fliegerhorsten in Celle und Faßberg. Diese Episode der jüngeren deutschen Geschichte fasziniert Hicks: „Die Luftbrücke war und ist mein Ding“, erklärt er: „Das war eine unglaubliche Aktion: Innerhalb von 24 Stunden war das erste Flugzeug in der Luft! Auch die Logistik funktionierte, beispielsweise die Güterzüge, die Kohle aus dem Ruhrgebiet nach Faßberg brachten und von 5000 deutschen Arbeitern in die Maschinen verladen wurde. Ich fand, dass dies ein Pfund ist, mit dem Faßberg wuchern kann!“ Krönender Abschluss der Laufbahn: 1994 gründet sich der Förderverein „Luftbrückenmuseum Faßberg“, und Hicks wird später für zehn Jahre der Vorsitzende und treibt den Ausbau des Museums voran. Er organisiert auch für die Öffentlichkeit Jahrestage der Luftbrücke. Die Krönung wird der 70. Jahrestag: 2019 kommen über 60.000 Besucher zum Fliegerhorst Faßberg, darunter die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Für Hicks war das, wie er gesteht, der krönende Abschluss seiner Laufbahn, wenig später geht er als Oberstabsfeldwebel in Pension. Aber Langeweile kommt bei ihm bisher nicht auf: Er engagiert sich weiterhin im Luftbrückenmuseum, kürzlich konnte ein „Container“ mit einer Aussichtsplattform fertiggestellt werden, der ein wenig wie ein „Tower“ wirken soll. Außerdem hat er ja noch Familie: Er ist seit elf Jahren in zweiter Ehe mit einer Tierärztin verheiratet und kümmert sich auch um seinen 19-jährigen Sohn Lucas aus erster Ehe, zu dem er einen guten Kontakt hat. So jemanden wie Hicks muss man natürlich auch auf den „Brexit“ ansprechen. „Der Brexit war für mich eine Katastrophe“, erklärt er: „In meiner englischen Verwandtschaft gibt es auch Brexit-Befürworter, aber wir reden nicht mehr darüber. Die leben in einer Welt, die nicht wiederkommen wird!“ Von Peter Bierschwale 1961 in Aldershot, England, geboren 1968 Umzug nach Deutschland und Schulzeit in Hessisch Oldendorf 1978 bis 1981 Ausbildung zum Bau- und Möbeltischler 1983 Einstellung bei der Bundeswehr im Fliegerhorst Faßberg 1991 bis 1994 Tätigkeit im NATO-Hauptquartier in Shape, Belgien AB 1992 verschiedene Auslandseinsätze AB 2000 Pressesprecher der Technischen Schule der Luftwaffe in Faßberg 2016 Hauskauf und Umzug nach Müden (Örtze) 2019 Pensionierung