Mit massiven Unterrichtsausfällen müsse in Niedersachsen zum Schulbeginn am Ende der Woche gerechnet werden. Insbesondere an Gymnasien könne die Situation „chaotisch“ werden, wie der Landeschef der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), Eberhardt Brandt, am Montag sagte.
Celles GEW-Kreisvorsitzender Matthias Dickmann erklärte: „Lehrer fehlen überall.“ Bereits jetzt müsse die hiesige Schulaufsicht in Sachen Personalbesetzung mehr als improvisieren, so Dickmann. „Stellenweise mussten fünf Leute herbeigezaubert werden.“ Auch wenn Dickmann noch keine konkreten Ausfälle nennen kann, ist er sich sicher: „Vom Lehrermangel wird zuerst das flache Land betroffen sein.“
Weniger dramatisch schätzt hingegen der Niedersächsische Philologenverband die Situation ein. Deren Landesgeschäftsführer Roland Neßler sagte gestern gegenüber der CZ zwar: „Für den Raum Celle lässt sich noch keine klare Prognose erstellen.“ – Insgesamt sei die Versorgungssituation an den Gymnasien ab dem 1. August allerdings „weitaus besser, als noch vor Monaten befürchtet“, so Neßler weiter. Im Bereich der ehemaligen Bezirksregierung Lüneburg seien die Gymnasien mit Lehrern „gut versorgt“, erklärte Neßler. Statistisch würde an den Gymnasien eine Unterrichtsversorgung von 99,5 Prozent angepeilt. Dennoch bestünde ein „Mangel“ an bestimmten Fachrichtungen.
Betroffen seien in erster Linie Naturwissenschaften und Mathematik, aber auch in den Fächern Religion und Musik fehle es bereits an Lehrpersonal, so der Philologenvorsitzende. – Eine Einschätzung, die etwa Hubertus Bühmann, Schulleiter des Gymnasiums Lachendorf, teilt: „Fachlehrer sind ungemein gefragt auf dem Markt.“
So habe auch Bühmann Probleme gehabt, einen Mathematiklehrer nach Lachendorf zu bekommen. „Jetzt wird ein Diplom-Mathematiker bei uns anfangen.“
Auch hinsichtlich einer noch zu besetzenden Stelle musste der Schulleiter einen Kompromiss hinnehmen. Da die Kandidatin erst noch ihr Referendariat beenden müsse, sei sie erst zu den Herbstferien einsetzbar. Bis dahin würden ihre Stunden von dem Kollegium kompensiert. „Das überbrücken wir“, sagt Bühmann, der ansonsten betont: „Wir können den Unterricht an unserer Schule voll erteilen.“
In der Ursachenforschung zur Situation der Unterrichtsversorgung sind sich GEW, Philologenverband und Lehrer offenbar einig. Neßler nennt eine „nachlassende Attraktivität“ des Lehrberufs gerade für junge Leute an Gymnasien als einen Grund. – In diesem Zusammenhang wird regelmäßig ein Satz aus dem Arsenal populistischer Bemerkungen vom Alt-Kanzler und ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder zitiert: „Lehrer sind faule Säcke.“ Geäußert hatte Schröder diesen Satz 1996 gegenüber einer Schülerzeitung, als er über die vermeintliche Lethargie und Bequemlichkeit von Pädagogen sinnierte. „Der Lehrerberuf hat eine geringe gesellschaftliche Wertschätzung“, sagt heute Philologenverbands-Vorsitzender Neßler. Das bleibe nicht ohne Rückwirkungen auf die Berufswahl junger Menschen.
Auch Bühmann findet: „Der Beruf wurde schlecht geredet, die Situation ist nicht ganz einfach.“
Eine über die Jahre uninteressanter werdende Bezahlung nennt Dickmann als einen Grund für den Lehrermangel. Die Folge: „Seit Jahren kommen immer mehr Seiteneinsteiger aus Wirtschaft und Forschung in den Beruf.“ Die Bundesländer würden sich daher schon jetzt in der „Abwerbung“ der Lehrkräfte „gegenseitig überbieten“, sagt Dickmann.
Von Eike Frenzel