So wurde 1945 Weihnachten im Landkreis Celle gefeiert

Am Waldweg in Neuenhäusen wurde 1952 die neue Waldwegschule eröffnet, ein paar Monate später stand Weihnachten vor der Tür. Elke von Waaden (Jahrgang 1945) war damals sieben Jahre alt. Noch heute erinnert sie sich gerne daran, dass der Weihnachtsmann ihr die erste Fibel brachte. "Es könnte Herr Hüsken gewesen sein, aber da bin ich mir nicht ganz sicher", sagt sie. Mecki zu Weihnachten als Geschenk bekommen: Die Cellerin hat noch zwei weiteren Weihnachtsgeschichten parat. "Wir hatten Anfang der 1950er Jahre noch kein Telefon, daher ist mein Vater zu unseren Nachbarn, den Freudenbergs, gegangen, um mit meiner Tante Elli aus Wietze zu telefonieren", erzählt Elke von Waaden. Als er wieder kam, erzählte der Vater, dass die Tante die Schuhgröße von Elke wissen wollte. 46 habe er gesagt, was natürlich nicht stimmte. Zu Weihnachten bekam Elke dann einen Schuhkarton. Darin lag ein Mecki. "Daran kann ich mich noch unheimlich gut erinnern", sagt die Cellerin. "Heute wäre er sehr viel Geld wert." Aber dem Mecki bekam die Sonne nicht, die durchs Fenster schien. In einem anderen Jahr bekam Elke von Waaden ein riesen Paket von ihrer Tante Erna aus Hannover. "Es brüllte immer", erinnert sie sich. Weihnachten durfte sie dann einen großen Teddy auspacken. Geschenkte Schokolade rührt zu Tränen: Ellen Fuhrken wurde 1948 eingeschult. Bei der Schulspeisung gab es meistens Tomatensuppe, die schrecklich geschmeckt habe. "Aber kurz vor Weihnachten kriegte jedes Kind eine kleine Tafel Schokolade", erinnert sie sich. "Das war etwas ganz Besonderes." Für ihre Eltern und für vier ihrer fünf Geschwister hatte Ellen Fuhrken schon Geschenke gebastelt und gemalt. Nur für meine größte Schwester sie war 16 Jahre älter als ich, hatte ich noch kein Geschenk. Da kam die Schokolade gerade richtig", erinnert sie sich. "Die wollte ich ihr schenken, obwohl mir das sehr schwer fiel." Bis zwei Tage vor Heiligabend habe die Tafel in der Schublade gelegen, doch in der Nacht konnte Ellen Fuhrken nicht widerstehen. "Ich stand auf, holte sie hervor und biss eine große Ecke davon ab", so die Zeitzeugin. "Heiligabend schenkte ich sie meiner großen Schwester. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie die abgebissene Ecke sah." Ellen Fuhrken dachte damals, dass sie weine, weil ein Stück fehlte. "Sie gab sie mir unter Tränen zurück und nahm mich fest in die Arme. Jahre später habe ich erst begriffen, dass sie vor Rührung weinte, weil ich ihr zuliebe auf die heißbegehrte Schokolade verzichten wollte." 1945 auf der Flucht - Parallelen zu heute: Der heute 82-jährige Wolfgang Krüger erinnert sich an das Weihnachtsfest 1945. Vor 27 Jahren veröffentlichte die Cellesche Zeitung dazu schon einmal einen Artikel, den Krüger bis heute aufbewahrt hat. An Aktualität hat sein Bericht bis heute nicht verloren. "Die Menschen sind wieder in Bewegung, auf der Flucht, auf Suche nach Frieden und Geborgenheit. Viele werden als Asylanten verachtet, als Menschen zweiter Klasse eingestuft, die nur zu uns kommen, um mir meinen, wenn auch bescheidenen Wohlstand zu schmälern, um mich zu bestehlen. Es sind viele Flüchtlinge", schrieb Wolfgang Krüger damals. Auch er war einmal ein Flüchtling. "Auch ich war einmal nicht willkommen. Auch ich hatte ,keinen Platz in der Herberge'". 1945 war das. Der zweite Weltkrieg ging dem Ende zu. "Meine Mutter, die durch den Krieg Witwe geworden war, ich der Erstklässler und ein Säugling im Kinderwagen waren auf der Flucht", erzählt der Zeitzeuge. "Im Trommelfeuer der russischen Stalinorgeln hatten wir unsere pommersche Heimat verlassen. Unter ,Fliegerbeschuss' und ,Bombenhagel' strebten wir, wie Millionen andere Menschen aus dem Osten Deutschlands auch, gen Westen." Auf der Flucht in der Lüneburger Heide gelandet: Die Krügers landeten in der Lüneburger Heide. "Alle hatten großen Hunger, keiner hatte ein Dach über dem Kopf, alle haben gefroren", berichtet der Celler. "Die Einheimischen mussten teilen, vielfach mit Gewalt; sie bekamen eine ,Zwangseinquartierung'. Dass wir willkommen waren, konnten wir unter diesen Umständen nicht erwarten." Nazi-Bürgermeister bezeichnete Flüchtlinge als Hottentotten: Demzufolge sei unter großer Spannung gelebt – dahinvegetiert – worden. "Rücksichtslos suchte jeder seinen Vorteil. Schlägereien um das ,tägliche Brot' waren fast normal. Diebstahl, ja Mord und Totschlag gab es", so Wolfgang Krüger. "Der Nazibürgermeister des Heidedorfes, in dem wir uns nun aufhalten mussten (im Flur der Dorfschule mit etwa 50 Menschen auf Strohlager) sprach nur von ,den Flüchtlingen, diesen Hottentotten'." Flüchtlinge bekommen ein Zimmer: Und dann stand das Weihnachtsfest vor der Tür. "Und es geschah ein Wunder", sagt der Celler. "Die Ehefrau des im Krieg vermissten Dorfschullehrers ließ ihre beiden Töchter zusammenziehen. Dadurch wurde ein neun Quadratmeter kleines Zimmer für uns frei. Wir bekamen auch noch einen kleinen Ofen und einen Kochtopf geschenkt. Eine alte Bauersfrau gab meiner Mutter Arbeit auf ihrem Hof." Dafür bekamen die Krügers in bescheidenem Maße Lebensmittel und Holz für den Ofen. "Die Lehrerstöchter nahmen mich am Heiligen Abend mit in die Dorfkirche. Ich wurde in einem kleinen Handwagen gefahren, denn ich hatte keine Schuhe mehr, die waren auf dem langen Fluchtweg, den wir zum größten Teil zu Fuß zurücklegten, total zerschlissen." Weihnachten 1945: Andächtig dem Pastor zugehört: In die Kirche hätten die Mädels ihn getragen. "An der Kirchentür musste ein Stück Holz oder Kohle zum Heizen der Kirche abgegeben werden", erinnert sich der Zeitzeuge. "Weihnachten 1945 habe ich zum ersten Mal andächtig in einer Kirche gesessen und jedes Wort des Pastors in mich aufgenommen." Beim Vater Unser sagte Wolfgang Krüger besonders laut "Unser täglich Brot gib uns heute", worauf ihn viele Augen anstarrten. "Ich schämte mich", erzählt Wolfgang Krüger. "Und doch, glaube ich, wussten alle, warum ich gerade diesen Satz besonders laut gesprochen hatte." Nach dem Kirchgang ging Wolfgang in die kleine Stube. Seine Mutter hatte eine selbstgemachte Kerze angezündet. Neben einem Tannenzweig stand ein Teller mit Schmalzstullen und im Ofen bullerte das Feuer. Es war urgemütlich. Weihnachtsengel bringen einen Topfkuchen: "Als die Lehrerstöchter uns noch einen selbstgebackenen Topfkuchen schenkten, den sie uns als Weihnachtsengel verkleidet überbrachten, war ich der festen Meinung: ,Der liebe Gott hat mein lautes Beten doch gehört.' Und Engel sehen so aus wie Margrit und Ursel, die Lehrerstöchter. Und die Mutter Maria muss so aussehen wie Frau Thies, die Mutter der beiden." Weihnachtsfrau bringt Christstollen: Als es dann an der Tür klopfte, bekam Wolfgang große Angst, denn es hätte ja der Weihnachtsmann sein können. "Als meine Mutter die Tür öffnete, war niemand zu sehen, doch einen Weidenkorb mit sechs Eiern, fünf roten Äpfeln, ein Stück Butter, Christstollen, Brot und fünf Zigaretten stand dort. Unser Weihnachtsmann war also eine Weihnachtsfrau, die Bauersfrau von gegenüber." Wolfgang Krüger war der glücklichste Junge der Welt: Dieses Weihnachtsfest 1945 wird Wolfgang Krüger niemals vergessen. "Und die Menschen, die uns damals beschenkt haben, auch nicht", sagt er. Später, als die Zeiten sich gebessert halten, habe ich mich oft bei ihnen bedankt, doch sie sagten, ich hätte sie beschenkt, denn ich wäre wohl Weihnachten 1945 der glücklichste Junge der Welt gewesen.