Protestcamp vor Demo

Das sagt Rheinmetall zur Blockade in Unterlüß

200 Aktivisten haben am Freitagmorgen versucht, die Zufahrtswege zu Rheinmetall zu blockieren. Welche Auswirkungen hatte das und was sagen Anlieger?

  • Von Cellesche Zeitung
  • 06. Sept. 2019 | 16:40 Uhr
  • 09. Juni 2022
An vier Stellen haben insgesamt 200 Aktivisten die Zufahrtswege von Rheinmetall blockiert. An der Hauptzufahrt waren bis zu 100 Menschen vor Ort.
  • Von Cellesche Zeitung
  • 06. Sept. 2019 | 16:40 Uhr
  • 09. Juni 2022
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Unterlüß.

Mitten auf der Straße steht ein fünf Meter hohes, dreibeiniges Gestell, eine Person hat sich im oberen Teil des „Tripod“, eine einer Konstruktionen aus drei langen Baumstämmen, angekettet, zwei weitere Demonstranten sitzen in 15 Metern Höhe auf einem Hochspannungsmast und haben ein Transparent entrollt: Am zweiten Tag in Folge ist es gestern zu Blockade-Aktionen vor dem Werksgelände der Firma Rheinmetall in Unterlüß gekommen.

Bereits am Donnerstag hatten etwa 100 Demonstranten der Initiative „Rheinmetall entwaffnen“ und einzelne Aktivisten einer separaten Protestgruppe die Zufahrtsstraße zum Haupttor des Werkes blockiert. Polizeikräfte waren mit diversen Mannschaftswagen und einem schweren Räumfahrzeug vor Ort und hatten den Bereich rund um die Protestgruppe abgesperrt. „Diese Aktion hier kam für uns überraschend, da sie im Gegensatz zu der für Freitag angekündigten Versammlung nicht angemeldet war“, sagte Anne Hasselmann, Pressesprecherin der Polizei.

Sitzblockade auf der Zufahrtsstraße zu Rheinmetallwerk in Unterlüß.

Am Donnerstagabend droht Lage zu eskalieren

Nach einem zunächst friedlichen Verlauf der Demonstration drohte die Lage am frühen Donnerstagabend für einen Moment zu eskalieren: Unter heftiger Gegenwehr wurden fünf Sitzblockierer von der Polizei in Einsatzfahrzeuge getragen, was zu lautstarken Protestrufen der übrigen Demonstranten führte. „Die Personen können sich nicht ausweisen, wir bringen sie zur Identitätsfeststellung nach Celle“, so ein Polizeisprecher. Da eine weitere Räumung von der Polizei ausgeschlossen wurde, beruhigte sich die Situation dann wieder.

Am Freitag kamen etliche Rheinmetall-Mitarbeiter, die zur Frühschicht wollten, mit ihren Autos nicht durch. „Genau dies wollten wir mit unserer Blockade-Aktion erreichen“, sagte ein Sprecher der Initiative „Rheinmetall entwaffnen“. „In Gesprächen haben wir versucht, den Leuten klar zu machen, dass sie hier nicht in einer x-beliebigen Fabrik arbeiten, sondern an der Produktion von todbringenden Kriegswaffen mitwirken, was zu realem, furchtbaren Elend führt.“

Carsten Rusitschka ist Anwohner und hält die Protest-Aktion für durchaus angebracht, „da Rheinmetall offensichtlich deutsche Waffenkontrollgesetze umgeht und Waffen über Produktionsstätten in Drittländern wie Italien oder Südafrika an kriegsbeteiligte Länder verkauft“ so der Unterlüßer.

Rheinmetall: "Beeinträchtigungen halten sich in Grenzen"

Rheinmetall-Sprecher Oliver Hoffmann sagte auf CZ-Nachfrage, die Blockade sei nicht ohne Auswirkungen geblieben, Produktionsausfälle aber habe es nicht gegeben. "Wir haben uns entsprechend auf die Störungen eingestellt, indem wir mit Lieferanten zum Beispiel andere Termine vereinbart oder wichtige Auslieferungen vorgezogen haben. Manche Mitarbeiter arbeiten heute im Home Office, andere haben sich einen Tag frei genommen. Die Beeinträchtigungen halten sich also in Grenzen."

Hoffmann erläuterte: „Wir respektieren das Recht auf freie Meinungsäußerung und in diesem Zuge auch kritische Positionen. Zugleich erwarten wir jedoch vom Diskussionspartner Fairness und Anstand – sowohl in Wort als auch in Tat. Persönliche Übergriffe gegen Mitarbeiter und deren Eigentum (Autos) sind für uns nicht akzeptabel. Schon gar nicht, wenn dies mit falschen Behauptungen gerechtfertigt wird, wie etwa in Bezug auf die angebliche Beteiligung an Kriegsverbrechen oder den Konflikt in Syrien."

Hoffmann weiter: "Das zunehmende Maß an Aggressivität und Aktionen von Vermummten lassen bei uns erhebliche Zweifel an der Friedfertigkeit einzelner Teilnehmer aufkommen." Er hielt für Rheinmetall ausdrücklich fest: "Es gibt keine Umgehung deutschen Rechts. Dieser Vorwurf ist absurd und völlig abwegig. Alle Tochtergesellschaften von Rheinmetall halten den strengen gesetzlichen Rahmen ein, der in den jeweiligen Ländern durch demokratisch gewählte Regierungen vorgegeben ist – auch in Bezug auf Exporte."

"Bestmögliche Ausstattung zum Schutz der Freiheit"

Weiter heißt es in der Stellungnahme: "Wir bei Rheinmetall statten im Einklang mit Recht und Gesetz die Streit- und Sicherheitskräfte unseres Landes sowie die unserer Freunde und Partner mit der bestmöglichen Ausstattung aus, die sie zum nachhaltigen Schutz unserer Freiheit, Sicherheit und Rechte benötigen.“ Im Übrigen erziele Rheinmetall den weitaus überwiegenden Anteil des Umsatzes seiner Defence-Sparte im Geschäft mit der Bundeswehr sowie mit Streitkräften aus NATO-Partnerländern und weiteren befreundeten Nationen, zum Beispiel der Schweiz und Australien.

Der Rheinmetall-Sprecher erklärte: "Mit unseren Produkten zum Beispiel für die Bundeswehr schützen wir diejenigen, die sich in gefährlichen Regionen der Welt für Frieden und Sicherheit engagieren. Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung, diesen Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung mit auf den Weg zu geben, damit sie wohlbehalten wieder aus dem Einsatz zurückkehren können. In diesem Sinne geben Rheinmetall-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter täglich ihr Bestes.“

Positive Bilanz der Polizei

Aus Sicht des Celler Polizei verlief die Blockade am Freitag mit insgesamt rund 200 Aktivisten friedlich. "Viele Mitarbeiter von Rheinmetall konnten zu Fuß und mit Polizeibegleitung ihren Arbeitsplatz erreichen", so Christian Riebandt. "Da das Werk abseits von allem liegt, gab es keine Verkehrsbehinderungen." Die Hauptblockade habe mit rund 100 Aktivisten an der Neulüßer Straße stattgefunden. "Den Tripod haben die Demonstranten irgendwann aufgeben", so Riebandt.

Am Samstag, 7. September, ist ab 13 Uhr noch eine Demonstration geplant. "Das Camp ist mit 300 Personen gut besucht. Die Polizei geht davon aus, dass alle Teilnehmer auch zur Demo gehen werden." Nach der Demo will die Polizei ausführlich Bilanz ziehen.

Bei der Rheinmetall-Blockade im September 2019 hatten Aktivisten einen Strommast erklommen. Die CUN-Netzleitstelle klemmte den Mast sofort vom Stromnetz ab – ohne dabei Stromausfälle herbeizuführen.

Aktivisten fordern: "Keine Profite mit Kriegen"

Die Blockade läuft im Rahmen des Antikriegs-Camps „Rheinmetall Entwaffnen“, das vom 1. bis 9. September Unterlüß stattfindet. Dazu meldete sich ein Anwohner aus Unterlüß bei der CZ: "Rund um die Müdener Straße ist der reinste Belagerungszustand ausgebrochen. Ein paar hundert Leute rennen hier seit einer Woche auch nachts mit ihren schwarzen Klamotten herum. Das ist für die Bevölkerung absolut inakzeptabel."

Ulli Becker, eine Sprecherin der Initiative "Rheinmetall entwaffnen", sagte: „Wir haben die Rheinmetall-Rüstungsproduktion für einen weiteren Tag lahmgelegt. Der Rüstungskonzern leistet materielle Hilfe für die von Saudi-Arabien begangenen Kriegsverbrechen im Jemen und die völkerrechtswidrige Besatzung der türkischen Armee im nordsyrischen und ehemals kurdisch verwalteten Kanton Afrin. Rheinmetall ist mitverantwortlich für diese und viele weiteren Kriegsverbrechen.“ Rheinmetall umgehe mit der Gründung von Tochterunternehmen und Joint Ventures bewusst Waffenexport-Regularien der deutschen Bundesregierung wie den aktuell bis Ende September geltende Waffenexport-Stopp nach Saudi-Arabien.

Becker weiter: „Wir weigern uns, in einer Welt zu leben, die zunehmend von Kriegen, Aufrüstung und Abschottung bestimmt wird. Rheinmetall als größter deutscher Rüstungsproduzent und deutscher Waffenexportmeister ist wesentlich daran beteiligt und mach gigantische Profite mit dem Töten. Deshalb sehen wir uns gezwungen mit Aktionen des massenhaften Ungehorsams die Produktion von Rüstungsgütern lahm zu legen. Wir fordern, dass keine Profite mit Kriegen und die Abwicklung der Rüstungssparte des Konzerns zu fordern“ fuhr Ulli Becker fort.

Flüchtlingsrat ruft zur Teilnahme an Demo auf

Anlässlich der Demonstration „Rheinmetall Entwaffnen. Krieg beginnt hier – unser Widerstand auch“ am Samstag, 7. September, in Unterlüß erklärt Sebastian Rose vom Flüchtlingsrat Niedersachsen: „Die weltweiten Kriege werden auch mit Waffen geführt, die in Niedersachsen produziert und entwickelt werden. Und diese Waffen zwingen Menschen auf die Flucht. Aber niemand spricht drüber.“

Um auf die Folgen der niedersächsischen Waffenproduktion aufmerksam zu machen, ruft der Flüchtlingsrat Niedersachsen gemeinsam mit über 100 Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen zur Teilnahme an der Demonstration in Unterlüß auf. Gemeinsam tritt die Demonstration auch für die Rechte der Geflüchteten ein, die durch die sich verschärfende Rechtslage immer weiter unter Druck geraten. Dabei macht ein Blick auf die Hauptherkunftsländer wie Syrien, Irak, Türkei und Afghanistan deutlich, wie berechtigt die Schutzbegehren sind: All diese Staaten sind von zumeist langjährigen, mit äußerster Härte geführten Kriegen betroffen.

Aktion reiht sich in weltweiten Protest ein

Sebastian Rose weiter: „Zeigen wir in Unterlüß laut unsere Solidarität mit den Menschen, die vor Kriegen fliehen mussten. Wir fordern Wirtschaftsminister Althusmann auf, endlich den vom Niedersächsischen Landtag vor über einem Jahr fraktionsübergreifend geforderten Dialog zwischen Politik, Gesellschaft und Unternehmen in Sachen Rüstungsexporte aufzunehmen und das Ende der Kriegswaffenproduktion in Niedersachsen einzuleiten.“

Die Aktion des Bündnisses „Rheinmetall entwaffnen“ reiht sich in einen weltweiten Protest gegen die finanzielle und militärische Unterstützung des Erdogan-Regimes ein, das gegen die kurdische Selbstverwaltung in der Türkei und in Rojava (Nordsyrien) Krieg führt. Unter dem Motto „Rise up for Rojava – Block, Occupy, Disturb“ finden zeitgleich Aktionen gegen Rüstungskonzerne und Waffenmessen statt, darunter in europäischen Ländern, Australien und Südamerika.

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