Der Festakt zum 125-jährigen Bestehen des Landkreises Celle wurde gestern zu einem Plädoyer für den Fortbestand der kommunalen Selbstverwaltung. Alle Redner betonten, dass es ohne das ehrenamtliche Engagement nicht gehe. Rund 250 Gäste, darunter ehemalige Landräte und Kreistagsabgeordnete, der frühere Oberkreisdirektor Klaus Rathert, zahlreiche Vertreter von Behörden, aus Politik, Wirtschaft, Vereinen und Verbänden sowie der finnischen Partnergemeinde Tuusula wohnten dem Festakt im Celler Kreistagssaal bei.
„Einen Torerfolg kann man nur erreichen, wenn man sich in eine Mannschaft begibt. Tore von der Tribüne zählen nicht“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff mit Blick auf ständige Kritiker der Politik in seinem Grußwort. Bei der Umsetzung des Konjunkturpakets hätten die Kommunen 100-prozentige Leistungsfähigkeit gezeigt. „Sie wissen hier vor Ort, was bei der Prioritätensetzung richtig ist“, sagte der Ministerpräsident. Er sprach sich für eine Revitalisierung der kommunalen Ebene aus. „Das wird unser aller Kraft kosten“, sagte Wulff.
An 37 Jahre gemeinsamer Geschichte erinnerte Celles Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende. Die Gebietsreform von 1973, bei der die Stadt Celle „eingekreist“ wurde, könnte der Ursprung für gewisse Rivalitäten gewesen sei, die er auch noch bei seinem Amtsantritt zu spüren meinte. Mit dem Oberzentrum sei das angeknackste Selbstbewusssein der Stadt wieder gewachsen. „Heute verstehen wir uns durchaus als ,Hauptstadt’ des Landkreises“, sagte Mende.
Ohne Identifikation mit dem eigenen Wohnort, der eigenen Gemeinde, dem eigenen Ortsteil sei ehrenamtliches Engagement kaum denkbar, sagte der Oberbürgermeister. „Ansprechpartner in Politik und Verwaltung sollten Namen und Gesichter haben. Nur so kann es uns gelingen, Mitverantwortung für die Vorgänge im Gemeinwesen zu erzeugen“, sagte Mende.“
Hans-Günter Henneke vom Deutschen Landkreistag begeistert mit seiner Rede
„Schulpolitik – da steckt wohl Zündstoff drin. Da werde ich nichts zu sagen.“ Aufmerksam hatte Festredner Hans-Günter Henneke gestern seinen Vorrednern gelauscht und viele ihrer Gedanken aufgegriffen. Doch das zwischen Landkreis und Kommunen derzeit kontrovers diskutierte Thema Schule klammerte
der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages aus Berlin vor den rund 250 Gästen im Celler Kreistagssaal lieber aus.
Der Laudator zeigte sich bestens präpariert, er ordnete das Entstehungsjahr des Landkreises in das große Ganze ein: 1885 war der Beginn der deutschen Kolonialpolitik in Afrika. Gottlieb Daimler baute sein erstes Motorrad, Carl Benz den ersten Motorwagen. Der Landkreis habe mit einem Landrat und einer Bürokraft begonnen. „Das war eine schlanke Verwaltung, die schlanker nicht gestaltbar war“, sagte Henneke, dessen Rede viel Beifall hervorrief.
Stichwortartig zeigte er auf, was kommunale Selbstverwaltung zu leisten habe. Bürgersinn schöpfen, diesen Gedanken habe Freiherr vom und zum Stein schon 1808 formuliert, wenn auch altertümlicher ausgedrückt. „Das haben sie im Landkreis Celle gut geleistet“, sagte Henneke. Er hatte zuvor daran erinnert, wie Rettungsorganisationen im Zusammenspiel mit Ehrenamtlichen die ICE-Katastrophe von Eschede oder den Waldbrand von 1975 gemeistert hätten. Gute kommunale Selbstverwaltung bedürfe der Überschaubarkeit des Raumes. „Man muss erkennen, worüber man entscheidet“, sagte Henneke.
Hiermit hatte er einen Gedanken von Landrat Klaus Wiswe aufgegriffen, der sich gegen die Vergrößerung der Verwaltungseinheiten zur Bekämpfung der Finanzprobleme ausgesprochen hatte. Es gäbe eine ganze Reihe von Untersuchungen, die belegten, dass Wirtschaftlichkeit und Effektivität keine automatischen Eigenschaften von größeren Einheiten seien. „Es gibt kleine und dabei sehr wirtschaftliche Verwaltungen und es gibt große und dabei sehr unwirtschaftliche Verwaltungen“, sagte der Landrat.
Der Verwaltungschef warnte davor, bei der Suche nach vermeintlicher größerer Wirtschaftlichkeit die Vorteile der kommunalen Selbstverwaltung aufs Spiel zu setzen. „Wenn wir keine Ehrenamtlichen mehr haben, dann müssen in der Regel die deutlich teureren Profis ran. Und die sitzen nicht vor Ort, müssen ohne Kenntnis und Einbindung der besonderen örtlichen Verhältnisse abwägen und entscheiden. Ich sage, das wäre in der Qualität schlecht und es wäre teuer.“
Eine weitere Uraufführung erlebten die Gäste zum Schluss des Festaktes. Ein neunköpfiges Ensemble spielte „La follia cellensia“: barocke Vivaldi-Klänge gingen in eine Jazz-Improvisation und zum Schluss in Samba-Klänge über. Dafür gab es viel Beifall und Wiswe kündigte in seinem Schlusswort an, dass die unerwarteten Bargeld-Geschenke zum Kreisjubiläum an die Kreismusikschule weitergereicht werden.
Landkreis-Lied mit 117 Strophen
Zu einem Wettbewerb hatte der Landkreis die Grundschüler im Kreisgebiet eingeladen. Sie sollten zu einer bereits bestehenden Melodie und einem Refrain Strophen texten und darin die Vielfältigkeit des Landkreises nach-zeichnen. Am besten machten das die Klasse 3b der Grund- und Hauptschule Eicklingen, die Klasse 3a der Katholischen Grundschule Celle und die Klasse 2b der Grundschule am Glockenkolk Eschede. Ihre drei Strophen wurden zu Siegerstrophen erklärt und gestern Abend von den Kinderchören der Kreismusikschule Celle den Ehrengästen vorgetragen. Insgesamt kamen bei dem Wettbewerb 117 Strophen zusammen.
Die neue Medienwelt mit Computer und Fernsehen habe in den Texten keine Rolle gespielt, sagte Catrin Wiechern, Leiterin der Kreismusikschule. Vielmehr seien die drei größen Blöcke Natur, Kultur und Verein und Freundschaft die Hauptthemen gewesen. „Das Leben im Landkreis Celle scheint für Kinder sehr lebenswert zu sein“, lautete Wiecherns Fazit.
Dass Stadt und Landkreis Celle sich in der Vergangenheit aneinander gerieben haben, sich aber auch bedingen und sich ergänzen, das betonten gestern fast alle Festredner. Die Schüler der Celler Katholischen Schule hatten es so formuliert:
Und im Herzen liegt die Stadt dann;
Kultur, Geschichte, Tradition.
Das sieht sich ein jedermann gern an.
Besuchen Sie uns, wir freu’n uns schon!
Fachwerkhäuser, Theater, Schloss und der Große Plan.
Rathaus, Französischer Garten, Stadtkirche und die Stechbahn.
Auch der Refraintext von Frank Ziesmann setzt auf die Einheit von Stadt und Landkreis :
„Mit Natur, Wäldern und
Bäumen, mit Kultur, Bildern und Träumen,
Leben pur und nichts versäumen, mittendrin im Celler Landkreis, unser Zuhaus!
Große Stadt und viele Orte, eine Sprache und viele Worte,
und die Menschen gleich welcher Sorte, das ist unser Celler Landkreis, unser Zuhaus!“
Von Joachim Gries