Es sieht nach einem waghalsigen Manöver aus. Der Hubschrauber kreist direkt über einer Hochspannungsleitung. Würde der Pilot jetzt einen Fehler machen, würden die Rotorblätter in die Leitung geraten, hätte das wohl dramatische Folgen – nicht nur für Monteur Josef Scheer, der auf einer Arbeitsbühne außerhalb des Hubschraubers sitzt und an den Stromleitungen Markierungen anbringt.
Wie viele Bürger dieser Tage gemerkt haben, sind im Heidekreis und im Celler Westkreis, über dem Raum Wietze und Winsen, Hubschrauber im Einsatz. Es ist kein alltäglicher Auftrag, den die Monteure verrichten. Das Energieunternehmen Avacon lässt aus der Luft Vogelschutzarmaturen, eine Art Warnbaken für Vögel, auf der Hochspannungsleitung zwischen Düshorn und Oldau und auf dem Leitungsabschnitt zum Umspannwerk in Ahlden installieren. Die Warnbaken sollen es Vögel ermöglichen, die Leitung rechtzeitig zu erkennen und ihre Flughöhe anzupassen. Studien über das Flugverhalten hätten gezeigt, dass Vögel die Freileitungen nahezu ausnahmslos überfliegen, wenn sie diese rechtzeitig erkennen, heißt es bei Avacon. „Es gibt bis zu 95 Prozent weniger tote Vögel“, sagt Wolfgang Dee, Projektleiter Leitungsbau. Graugänse, Kormorane, Störche, Rotkehlchen, sie alle werden durch die schwarz-weißen Markierungen geschützt. „Die gefährdetsten Vögel sind die Wasservögel, weil sie nicht so gut sehen“, sagt Dee.
Trasse kreuztAller-Leine-Tal
Ornithologische Gutachten hatten im Vorfeld bestätigt, dass die Gebiete an der Aller häufig von Zug- und Rastvögeln frequentiert werden. Sie zählen zu den europäischen Schutzgebieten, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) ausgewiesen wurden. Dabei geht es um eine Naturschutzrichtlinie der Europäischen Union. Weil jetzt zwischen Düshorn und Oldau das oberste Seil der Leitung, das sogenannte Blitzschutzseil erneuert werden muss, werden parallel dazu die Warnbaken für den Vogelschutz angebracht.
Aus naturschtzfachlicher Sicht sind im gesamten Verlauf der Hochspannungsleitung Vogelschutzarmaturen erforderlich. Denn die Trasse berührt und kreuzt das Naturschutzgebiet Aller-Leine-Tal. „Die Alleraue ist ein wichtiges Nahrungsgebiet, zum Beispiel für den Weißstorch“, sagt Avacon-Sprecherin Michaela Fiedler. Auch andere Zug- und Gastvögel wie See- und Fischadler, Gänse, Enten und Schwäne schätzten das reiche Nahrungsangebot an der Aller. Brutstandorte sind in fast allen Orten dieses Allerabschnitts vorhanden.
Nur wenige Fachfirmenin Deutschland
Der Vogelschutz ist teuer. Sehr teuer. Avacon investiert auf der 31 Kilometer langen Stromtrasse zwischen Düshorn und Oldau satte 300.000 Euro in das Projekt. Ein Großteil dürfte allein für den Spezialhubschrauber und die Bezahlung der Piloten draufgehen, denn nur wenige Fachfirmen in Deutschland sind überhaupt in der Lage, so dicht an die Leitungen heranzufliegen. Auch die Monteure sind rar, die auf diese Weise an den Stromleitungen arbeiten können.
Insgesamt werden 1300 Vogelschutzarmaturen angebracht. Freileitungs-Monteur Josef Scheer muss alle 25 Meter einen Vogelmarker installieren. Er braucht dafür nur ein paar Handgriffe. Nach ein paar Minuten kann der Hubschrauber im Idealfall den nächsten Markierungspunkt ansteuern. Der Helikopter schwebt nur rund einen Meter von dem Stromseil entfernt. Die Hochspannungsleitungen bleiben während der Arbeiten in Betrieb. „Wir machen diese Art von Arbeit häufiger, aber nicht jeden Tag. Schwindelfrei muss man sein“, sagt Scheer trocken. Sonst klettert er zum Beispiel auf Strommasten, um defekte Teile auszutauschen.
Für die Piloten ist die Arbeit anstrengend. Nach einer Stunde wird im Cockpit getauscht, der Job erfordert höchste Konzentration. Wie viele Schutzmarker montiert werden, hängt von den äußeren Umständen ab. Faustregel: Wenn sich der Wind in Grenzen hält, kommen die Arbeiter schneller voran. Es gäbe auch eine andere Möglichkeit, den Vogelschutz anzubringen, sagt Michaela Fiedler, die Avacon-Sprecherin. Man könnte aus einem sogenannten Leiterseilwagen, eine Art Gondel, am Seil arbeiten. Doch das wäre viel aufwändiger und würde länger dauern. Und man müsste den Strom an der Leitung abschalten.
Vogelmarker erinnernan Zebrastreifen
Die Vogelmarker erinnern mit ihren schwarz-weißen Linien grob an einen Zebrastreifen. Sie bestehen aus beweglichen Kunststoffstäben, sind 50 Zentimeter lang und 35 Zentimeter breit. Ein Blinkeffekt soll die Sichtbarkeit zusätzlich erhöhen.
Dee, der Projektleiter bei Avacon, sagt, dass die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Celle empfohlen habe, Vögel vor den Stromleitungen zu schützen. Es geht um den Artenschutz. Wie viele Tiere genau an den Leitungen sterben, weiß man nicht. „Es gibt viele Studien. Die Ergebnisse widersprechen sich zum Teil“, berichtet Dee.
Für den Pressetermin hat Avacon an diesem Tag einen zweiten Hubschrauber organisiert. Pilot Benjamin Rück fliegt dem Montage-Hubschrauber vom Umspannwerk Ahlden in den Kreis Celle hinterher. Über das idyllische Aller-Leine-Tal geht es in wenigen Minuten über die A7 rüber ins Celler Land. Ziel ist Bannetze: Die Hochspannungsleitung führt direkt an dem Winser Ortsteil vorbei. Die Markierungen sollen von nun an Storch und Co. besser schützen.
Die Arbeiten in etwa 25 Meter Höhe haben in diesen Tagen einen anderen, ungewollten Nebeneffekt. Unter den Hubschraubern wird der Staub gewaltig aufgewirbelt. Die extreme Trockenheit führt auf den abgeernteten Maisfeldern dazu, dass kaum ein Wildkraut den Sand festhält. Die Arbeiten im Celler Land sollen am Freitag beendet werden. In der kommenden Woche geht es für Avacon in Emden weiter. Dann werden dort auf etlichen Kilometern Vogelschutzmarker installiert.