Sie gehen jeden Tag zur Arbeit, und dennoch reicht das Geld kaum zum Überleben – das ist für viele Erwerbstätige auch im Landkreis Celle traurige Realität: Ein großer Teil der 28.200 Menschen, die im Celler Land nur einen Teilzeit- oder Minijob haben, ist nach Einschätzung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) von Erwerbsarmut bedroht. „Insbesondere Frauen, die halbtags oder nur einzelne Tage in der Woche arbeiten, fehlt am Monatsende das nötige Geld. Für viele Familien im Kreis ist ein Kinobesuch oder ein neuer Schulranzen längst zum Luxus geworden“, sagt Lena Melcher von der NGG Hannover.
Jeder achte Haushalt armutsgefährdet
Damit beruft sich die Gewerkschafterin auf aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts. Danach ist jeder achte Haushalt (13,2 Prozent) im Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirks Lüneburg armutsgefährdet. Darunter fallen alle Menschen, die weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung haben.
Warnung vor Schieflage der Gesellschaft
Melcher warnt vor einer „Schieflage in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt“. Es könne nicht sein, dass sich Tausende nötige Dinge des Alltags nicht mehr leisten könnten. Die Gewerkschaft nimmt hier auch die Arbeitgeber in die Pflicht. "Wer sich um Tarifverträge drückt und auf prekäre Jobs statt Vollzeitstellen setzt, der sorgt für magere Lohnzettel“, kritisiert Melcher. So komme eine Teilzeitkraft, die 25 Wochenstunden in einer Bäckerei oder Fleischerei arbeitet, die nicht nach Tarif zahlt, auf einen Verdienst von durchschnittlich rund 1000 Euro brutto im Monat. Die Armutsgrenze für eine Familie mit zwei Kindern liege nach amtlicher Definition hingegen bei aktuell 2174 Euro pro Monat – netto.
"Leidtragende sind oft die Kinder"
„Längst nicht nur Alleinerziehende, sondern zunehmend auch Doppelverdiener haben Schwierigkeiten, über diese Grenze zu kommen. Die Leidtragenden sind oft die Kinder“, so Melcher. Nach einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands stehen den ärmsten zehn Prozent der Paarhaushalte lediglich 44 Euro monatlich pro Kind für Freizeit, Sport und Kultur zur Verfügung. Bei einer durchschnittlichen Familie sind es 123 Euro, bei den reichsten zehn Prozent 257 Euro.
Politik ist gefordert
Die NGG Hannover ruft Betriebe in der Region dazu auf, sich zu tariflichen Standards und vollwertigen Arbeitsplätzen zu bekennen. Nur so könne Armut „an der Wurzel gepackt“ werden. Aber auch die Politik sei viel stärker gefordert. „Das neue Bildungs- und Teilhabegesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber nicht“, betont Melcher. Nach dem Gesetz gibt es für Kinder in Hartz-IV-Familien und Geringverdiener-Haushalten seit August einen Zuschuss von 150 Euro pro Schuljahr – etwa für Bücher oder Lernsoftware. Bisher waren es 100 Euro. Wer Wohngeld oder Kinderzuschlag bezieht, ist von Kita-Gebühren befreit.