Über die Frage, ob das Schützencorps Bergen "ein Verein alter konservativer Männer" sei, hat Kommandeur Henrik Kohlmann im vergangenen Jahr beim Berger Schützenfest ausgiebig philosophiert. Fakt ist, dass die Satzung des Schützencorps mit über 400-jähriger Tradition besagt, "Mitglied kann jeder männliche Bürger der Stadt Bergen werden". Die Liste der Corpskönige ist daher nicht nur lang, sondern sie führt nur männliche Würdenträger. Etwa 20 Kilometer von Bergen entfernt ist man da deutlich moderner. In Faßberg regiert Königin Doris.
"Männer können Männer heiraten – warum sollten also nicht auch Frauen Schützenkönigin werden?", fragt Peter Zerbe, Pressewart der Schützengilde Faßberg. Es gelte, die Traditionen im Schützenwesen zu bewahren, aber den Verein modern zu gestalten.
Seit dem vergangenen Jahr zielen daher in Faßberg sowohl Männer als auch Frauen auf den Schützenkönig, wie man so schön sagt. Hintergrund war allerdings keine Initiative zu mehr Gleichberechtigung, sondern der Mitgliederschwund, wie Zerbe zugibt. "Wie alle Vereine haben wir damit zu kämpfen, da mussten wir uns etwas einfallen lassen", sagt Zerbe, der auch 2. Adjutant von Schützenkönigin Doris Kunze ist.
Die 66-jährige Rentnerin und ihr Mann Jürgen wurden vor sieben Jahren von ihren Enkeltöchtern (heute elf und acht Jahre) nach Faßberg gelockt. "Eigentlich wollten wir nie weg aus Berlin", sagt Doris Kunze lachend, die in die Schützengilde eintrat, um vor Ort Fuß zu fassen. Mit einer Kleinkaliberwaffe war sie in Berlin beim Sportschießen schon mal in Kontakt gekommen, Mitglied in einem Schützenverein war sie aber nicht. "Wenn wir singen könnten, wären wir in einen Gesangsverein eingetreten", sagt Jürgen Kunze mit einem Augenzwinkern. Ihm gelang gleich 2012 das Kunststück, Faßberger Schützenkönig zu werden.
Seine Frau Doris durfte zunächst nur bei den Frauen mitschießen – sie wurde 2. und 1. Adjutantin, für den Titel der Damenbeste reichte es nicht. Jetzt – nachdem der Schützenkönig in Faßberg geschlechterneutral ausgeschossen wird – schlug die große Stunde der ehemaligen Fußballerin. Im Saal wurde sie zur neuen Königin von Faßberg proklamiert.
"Es gab schon ein paar ungläubige Gesichter", berichtet Zerbe. Schließlich waren auch einige Gäste aus dem Mahdheidering anwesend. "Denen war das nicht bewusst, dass bei uns eine Frau Schützenkönig werden kann", sagt Zerbe. Und auch im Verein gab es einige Fragen. Wird das Portraitbild an die Wand der Damenbesten gehängt oder zu den Schützenkönigen? Und pflanzt Doris Kunze eine Eiche oder einen Rhododendron? Schließlich wurde alles genauso gemacht, wie bei allen anderen (männlichen) Schützenkönigen in den Jahrzehnten davor.
Und Königin Doris? Die wurde im Bekanntenkreis auf ihre neue Würde immer wieder angesprochen. "Auch bei der Wassergymnastik in Hermannsburg wurde ich als 'unsere Schützenkönigin' begrüßt", erzählt Doris Kunze.
Die 66-Jährige ist nicht die einzige Schützenkönigin im Landkreis Celle. In Nienhagen regiert seit dem vergangenen Jahr Maria Kullmann. Da das nächste Schützenfest dort erst im Mai gefeiert wird, dauert ihre Regentschaft sogar eineinhalb Jahre. Auch zuvor gab es in Nienhagen schon Schützenköniginnen – seit 2015 dürfen beide Geschlechter die Würde erringen.
Und doch fällt es immer noch auf, wenn irgendwo – wie jetzt in Faßberg – eine Frau regiert. Vielleicht ändert sich das irgendwann – und möglicherweise ist dann auch das Schützencorps Bergen kein "Verein alter konservativerMänner" mehr.