Müden (Aller)

Berufeserie: Bei Wind und Wetter in Müden hoch hinauf

Der Beruf des Dachdeckers ist vielfältig und abwechslungsreich, doch Höhenangst ist fehl am Platz.

  • Von Cellesche Zeitung
  • 18. Apr. 2017 | 15:58 Uhr
  • 09. Juni 2022
  • Von Cellesche Zeitung
  • 18. Apr. 2017 | 15:58 Uhr
  • 09. Juni 2022
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Müden (Aller).

Trittsicher balanciert Dachdeckergeselle Dominik Gerloff über das Steildach. „Komm mal hier rüber“, hallt es durch die verstaubte Morgenluft zu seinem Kollegen hinüber. Und schon nimmt dieser alte Dachziegel entgegen.

Das Team des Dachdeckerbetriebs Gerd Schäfer aus Langlingen erneuert das Steildach eines Hauses aus dem Jahr 1911. Ein großer Prozentsatz ihrer Arbeitsaufträge besteht aus dem Sanieren von Altbauten, erklärt Dachdeckermeister Gerd Schäfer. An der jetzigen Baustelle, an der so um die zweieinhalb Wochen gearbeitet werden muss, werden alle Register der Dachdeckerarbeit gezogen. Das Dach muss bis auf den Dachstuhl abgerissen werden. Danach muss neu gelattet, gedämmt und eingedeckt werden. Auf Wunsch baut das Unternehmen auch Fenster ein. „Da zeigt sich, entgegen der weitläufigen Meinung, wie vielfältig unser Beruf wirklich ist“, sagt Schäfer.

Mit schwerem Gepäckauf das Dach

Währenddessen schultert Geselle Florian Seidler einen knapp drei Meter langen Holzbalken und erklimmt mit diesem schweren Gepäck die Leiter. Auf dem Gerüst angekommen, geht er sicheren Trittes weiter. Seine Kollegen decken unterdessen das renovierungsbedürftige Dach ab. Auf den Dachlatten kniend, löst Michel Schäfer geschickt die obersten Ziegel am Dachfirst und reicht sie über Marc Deneke weiter an Dominik Gerloff. Dieser wirft die Ziegel in einem hohen Bogen über das Gerüst. Es rumst. Zielsicher landet der Bauschutt in einem großen Anhänger.

Ein echter Knochenjob: Wie am Fließband werden nach und nach der Dachstuhl und altes Dämmmaterial freigelegt. Bis zu fünfzehn Tonnen Baumaterial werden abgetragen. Die gleiche Menge wird dann noch einmal für die Erneuerung des Daches benötigt. Bei acht Stunden täglicher Arbeit wird da ein einzelner Dachziegel gefühlt immer schwerer. Und das ganze bei jedem erdenklichen Wetter. Egal ob Wind und Regen oder bei 30 Grad in der prallen Mittagshitze. Jetzt im Frühling sind die besten Bedingungen. „Nicht zu warm oder zu kalt und dazu trocken. Was will man mehr?“, freut sich Tim Schäfer.

Kein Schutz gegengleißende Mittagshitze

Im Sommer fangen die Arbeiten möglichst früh morgens an. Auf dem Dach gibt es gegen die gleißende Mittagshitze keinen Schutz. Da helfen nur Sonnencreme, Kopfbedeckung und viele kleine Erholungspausen. An solchen Tagen werden dann schon mal bis zu sechs Liter Wasser während der Arbeit getrunken. Andernfalls wäre das nicht durchzuhalten.

Und im Winter geht es auch aufs Dach. Nur bei Schnee und Eis wird pausiert. Die Gefahr, auf dem spiegelglatten Dach abzurutschen, ist in solchen Fällen einfach zu hoch.

Aufgrund dieser schweren körperlichen Arbeit bleibt der Beruf vorrangig eine Männerdomäne, auch wenn sich dennoch vereinzelt Frauen an die Ausbildung wagen. Auszubildende sollten eine gute körperliche Fitness, Beweglichkeit und Teamfähigkeit mitbringen, weiß Florian Seidler. „Das A und O ist aber absolute Schwindelfreiheit“, erklärt Dachdeckermeister Gerd Schäfer und deutet hinauf auf das Dach.

Diese klassische Höhe von zehn Metern sei noch human. Da reichen ein Gerüst und ein Dachdeckerfangnetz zur Sicherung aus, falls doch einmal ein Arbeiter fallen sollte. Bei deutlich höheren Gebäuden wird das natürlich anders gehandhabt, beruhigt Schäfer. Das höchste Dach, das er in seiner 42-jährigen Berufserfahrung eindecken musste, war das Raiffeisen-Gebäude in Braunschweig. Bei 32 Metern Höhe benötigt man dann schon eine zusätzliche Absicherung in Form von Sicherungsseilen.

In Anbetracht der Umstände klingt das nach einem sehr gefährlichen Beruf. In Deutschland komme es jährlich leider auch zu tödlichen Unfällen in dieser Branche. Das klingt doch beunruhigend, oder?

Schäfer schüttelt den Kopf. Laut seiner Faustregel fällt ein Dachdecker nur alle zehn Jahre mal vom Dach. „Für solche Fälle haben wir das Gerüst. Das erleichtert nicht nur die Arbeit, sondern dient auch der Sicherung. Die seitlich daran befestigten Netze fangen einen Fallenden zur Not auf und bewahren ihn vor einem Sturz in die Tiefe.“ Viele Stürze ließen sich aber durch gewisse Verhaltensregeln vermeiden. „Besonnenheit und Ruhe werden bei uns großgeschrieben. Hektik oder Waghalsigkeiten haben auf dem Dach nichts zu suchen,“ ermahnt der 58-Jährige.

Größere Unfälle hat es noch nicht gegeben

In manchen Fällen hat man aber trotz aller Vorsicht einfach Pech. Ein Tritt auf einen morschen Balken und schon knackt es laut. Und wenn es einmal knackt, ist man meist schon durch das Holz gebrochen. Dann kann man nur hoffen, dass man sich noch vernünftig abrollen kann. Größere Unfälle dieser Art gab es in seinem Betrieb allerdings bisher noch nicht, berichtet der Dachdeckermeister stolz.

Neben diesen Risiken bietet der Beruf aber zahlreiche schöne Seiten. Das Schönste an dem Job, da sind sich alle Gesellen der Firma einig, ist die Arbeit an der frischen Luft und die Abwechslung im Job. Jede Baustelle birgt neue Aufgaben, Herausforderungen und Erfolge.

Die Arbeit will gelernt sein. Wer sich an die Ausbildung zum Gesellen wagen möchte, sollte sich neben der praktischen Lernphase im Betrieb auch auf umfangreichen Theorieunterricht einstellen. Diese Blockbeschulung findet an der Berufsschule II Lüneburg und im Niedersächsischen Ausbildungszentrum in Sankt Andreasberg statt.

Hier endet die Karriere-Laufbahn aber nicht zwingend. Eine neunmonatige Meisterschulung eröffnet die Türen zur Selbstständigkeit, der Gründung eines eigenen Betriebes oder zur Ausbildung neuer Gesellen.

Die Entscheidung für den Beruf des Dachdeckers bietet somit nicht nur einen guten Ausblick vom Dach, sondern verspricht auch Perspektive. „Es ist ein sehr schöner Beruf“, versichert Schäfer und blickt lächelnd zu seinem Team hinauf. „Ich würde mich jeder Zeit wieder für diesen Beruf entscheiden.“

Von Katharina Hollo

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