Celler nach Gewalt gegen Ex-Freundin verurteilt

Noch wenige Minuten vor der Urteilsverkündung am Dienstagmittag präsentierte sich Hüseyin M. betont lässig, scherzte mit den Anwälten und winkte weiblichen Zuschauerinnen im Schwurgerichtssaal zu. Mit viel Pathos in der Stimme ließ der Vorsitzende Richter Michael Herrmann dann die Beweisaufnahme Revue passen. "Es war eine toxische Beziehung, die sich über fünf Jahre hinzog" sagte er. Urteil nach mehrwöchiger Beweisaufnahme: Schließlich fällte die 1. Große Strafkammer am Lüneburger Landgericht nach mehrwöchiger Beweisaufnahme das Urteil: dreieinhalb Jahre Gefängnis wegen gefährlicher Körperverletzung. Zu Prozessauftakt stand sogar eine Vergewaltigung im Raum. Die Befragung der Geschädigten entwickelte sich zu einem Kraftakt, der Tage dauerte. „Es herrschte Krieg", beschrieb Simone A. (Name geändert) das, was sich in ihrer Wohnung unweit des Celler Bahnhofs über mehrere Wochen hinweg zutrug. Um insgesamt fünf Straftaten ging es in der Hauptverhandlung. Mobiltelefon der Ex-Freundin auf Textnachrichten hin untersucht: Zunächst war der 25-Jährige am 7. Juli vergangenen Jahres kurz vor sechs morgens in die Wohnung seiner Ex-Freundin eingedrungen und prügelte wie wild auf sie ein. Am 29. Oktober 2019 drang er nachts durch ein beschädigtes Fenster ein und stellte Simone A. im Schlafzimmer. Aus Eifersucht begann der Angeklagte, das Mobiltelefon der jungen Frau auf Textnachrichten mit ihrem neuen Partner hin durchzusehen. Cocktail der Gewalt in Wohnung am Celler Bahnhof: In Lesepausen platze dem Tyrann der Kragen. Ein Cocktail der Gewalt auf die langjährige Freundin schloss sich an. Schläge gegen den Kopf und das Gesicht, dabei platzte das Trommelfell und ein Zahn brach zur Hälfte ab. Anschließend legte ihr Hüseyin M. beide Hände um den Hals und drückte mehrere Sekunden zu. Zweifel an Vergewaltigung: Nach der häuslichen Gewaltspirale ereignete sich dann die Vergewaltigung, so vermerkte es die Staatsanwaltschaft in der Anklage. Dem Martyrium sexueller Erniedrigung schenkte die Strafkammer keinen Glauben. "Die Angaben, die wir dazu hörten, waren sprunghaft und detailarm", erklärte Richter Herrmann. Am Ende des juristischen Tauziehens um die Wahrheit, blieb die Feststellung der sichtbaren körperlichen Attacken übrig. Diesen Weg ebnete die Arbeit der Spurensicherung der Celler Polizei. Fahnder fanden unzähligen Blutspuren: in der Küche, im Schlafzimmer auf dem Bett, auf einem Kopfkissen und an einem Schrank. "Das leuchtete noch feucht“, gab der Chef-Ermittler vor Gericht zu Protokoll. Angsteinflößende Momente im Zuschauerraum: Die wichtige Rolle einer Auskunftsperson, wenn auch nur vom Hören und Sagen, musste die beste Freundin von Simone A. erfüllen. Diese fühlte sich im Gerichtsviertel von Lüneburg unwohl. Nicht nur, dass Hüseyin M. sie mit den Blicken regelrecht in den Schwitzkasten nahm, auch das Schauspiel der Familienmitglieder im Zuschauerraum bot angsteinflößende Momente. Mehrere Frauen kommentierten hörbar viele Sätze der 23-Jährigen mit neckischem Unterton. "Wie ein Hitzkopf": Die Beziehung sei von Eifersucht geprägt gewesen, sagte die Zeugin. Hüseyin M. sei eine Art „Casher“ gewesen, der mehrere Beziehungen parallel führte und bei Frauen durch gezielte Manipulationen Erfolg hatte. Nach dem Oktober-Angriff tauchte der Angeklagte bei der Zeugin zu Hause auf und wollte den genauen Aufenthaltsort von Simone A. erfahren. „Er wirkte da sehr impulsiv, wie ein regelrechter Hitzkopf“, beschrieb die Zeugin. Trotz Einnahme von Drogen schuldfähig: Der psychiatrische Sachverständige Dr. Frank Wegener untersuchte den 25-jährigen Deutsch-Türken mehrfach in der Untersuchungshaft und zeichnete in der Hauptverhandlung ein Bild unterschiedlicher Drogen nach, die bei den Taten im vergangenen Jahr eine Rolle spielten. Der Experte nannte vorrangig Kokain und Marihuana. Dennoch sah der Arzt weder eine eingeschränkte Steuerungs- noch eine verminderte Schuldfähigkeit. Urteil noch nicht rechtskräftig: Pathos wählte der Vorsitzende auch am Ende des Vortrags. "Es ist keine Glaubensfrage, sondern wir haben uns mit den Regeln der Strafprozessordnung zu beschäftigen", sagte der Richter und machte deutlich, welche Herausforderungen in der Aufklärung von Sexualdelikten liegen, wenn Augenzeugen fehlen. Die Staatsanwaltschaft forderte vier Jahre Gefängnis wegen Körperverletzung und Vergewaltigung, die Verteidiger dagegen nur die Verurteilung wegen Körperverletzung und zwei Jahre Bewährung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Von Benjamin Reimers