Cellerin Liesbeth Markowski 100 Jahre alt: Heimat Westpreußen im Herzen

Liesbeth Markowski empfängt ihren Besucher an der Tür ihrer Wohnung im ersten Stock eines Wohnblocks im Heesegebiet. Dort in Celle lebt sie, seitdem die Häuser einst gebaut worden sind. Das ist 63 Jahre her. Früher waren sie ausschließlich für Eisenbahner und ihre Familien gedacht. Heute ist sie neben einem ehemaligen Eisenbahner die einzige, die hier aus diesem Grund noch wohnt. Liesbeth Markowski trägt eine lange Perlenkette über ihrem hellblauen Pullover, dazu passend kleine Ohrstecker. Im Jahr 2020 zweimal gestürzt: Man mag es nicht glauben, dass diese elegante Frau am heutigen 13. Januar ihren 100. Geburtstag feiert. Spontan bestätigte sie tags zuvor am Telefon den Besuch an diesem grauen Januartag. Man sieht ihr auch nicht an, dass sie im vergangenen Jahr zweimal in ihrer Wohnung, in der sie seit 1958 lebt, gestürzt ist. Das hat sie monatelang aus dem Verkehr gezogen. Sie war sogar einmal für vier Wochen zur Kurzzeitpflege in einem Pflegeheim. Doch dorthin zurück möchte sie auf keinen Fall. Zu sehr liebt sie ihre Unabhängigkeit. Dass sie jetzt jeden Tag Hilfe vom Paritätischen bei der Morgentoilette in Anspruch nimmt, ist ihr eigentlich auch nicht recht, „aber die Damen sind alle sehr nett“, sagt sie und so lässt sie sich eben helfen. Hilfe im Haushalt: Am Vormittag hat ihre Haushaltshilfe die Wohnung gewienert. Auf Ordnung und Sauberkeit legt die gebürtige Westpreußin viel Wert. „Das ist eben so bei uns Westpreußen“, sagt sie. Ein zweites Mal in der Woche sieht sie ihre Hilfe, wenn diese für sie einkauft. „Sie liest mir wie meine Kinder jeden Wunsch von den Lippen ab. Ich bin sehr froh, dass ich sie habe.“ Gerade, weil ihre beiden Töchter weit weg wohnen, die eine im Rheinland, die andere in Hannover. Liebeserklärung an Liesbeth Markowski: Aus ihrer schönen Wohnung mit eingezogenem Balkon zur Straßenseite hin möchte sie nicht mehr ausziehen. Hier haben sich die jüngsten sechs Jahrzehnte ihres Lebens abgespielt, hier ist sie froh und zufrieden. In dem kleinen Zimmer, das hinten hinaus liegt und in dem das Interview stattfindet, hängt ein Gemälde, das Boote auf einem großen See zeigt. „Das ist der Geserichsee, an dem Deutsch-Eylau liegt“, sagt die 100-Jährige. Und als der Autor ihr sagt, dass sein Vater in eben dieser Stadt geboren worden ist (20 Jahre nach ihrer Geburt im nahen Steenkendorf), ist das Eis gebrochen und Liesbeth Markowski fängt an zu erzählen. Sie hat ein Fotoalbum aus der Nachkriegszeit bereitliegen und einen dicken Ordner, in dem die Werke abgeheftet sind, die ihre Familienmitglieder ihr zum 90. Geburtstag geschenkt haben, eine Liebeserklärung aus verschiedenen Perspektiven. Keine Geburtstagsgäste erlaubt: „Seit meinem 90. Geburtstag feiern wir jedes Jahr meinen Geburtstag im Hotel in Groß Hehlen.“ Wieder eine Parallele: So hat es dort im „Celler Tor“ die im Alter von 95 Jahren 2006 verstorbene Großmutter des Autors auch zu besonderen Geburtstagen gehandhabt. Doch dieses Jahr wird alles anders sein. Besuche kann sie wegen der Corona-Pandemie nicht empfangen. So wird sie viel Post erhalten und sicher auch viel telefonieren an ihrem Ehrentag. Die Jubilarin meint zwar, dass sie nicht mehr so gut sehen und hören kann, aber in dem angeregten Gespräch merkt man das kaum. Auch von den muskulären Problemen, von denen sie erzählt, ist nichts zu sehen, wenn sie aufsteht, um dem Gast eine 1,5-Liter-Wasserflasche nebst Glas zu holen. Mit 94 noch Rad gefahren: Sie besitzt zwar jeweils einen Rollator für drinnen und draußen, aber in der Wohnung benutzt sie an diesem Dienstagnachmittag weder Stock noch Rollator. „Bis ich 94 Jahre alt war, bin ich auch noch Rad gefahren. Aber weil es mir dann immer schwummerig wurde, habe ich das lieber nicht mehr gemacht. Wissen Sie, es ist schon komisch, wenn man sein Leben lang Rad gefahren ist und auf einmal kann man das nicht mehr. Mein Mann und ich besaßen kein Auto, deshalb bin ich immer Rad gefahren.“ Immer mit der Bahn gefahren: Und wenn es mal auf Reisen ging oder Besuche abgestattet wurden, dann wurde Bahn gefahren, schließlich war ihr 1912 geborener Mann Paul Fahrdienstleiter auf dem Celler Stellwerk und man konnte frei oder stark vergünstigt mit der Bahn reisen. Paul Markowski war mit seinen Kollegen Helmut Schröder und Heinz Stöckmann „auf dem Zentralstellwerk des Bahnhofs Celle beschäftigt“ und sie leiteten „unter eigener Verantwortung jeweils im Wechseldienst den gesamten Zug- und Rangierbetrieb im Bahnhof und auf der Strecke von Eschede bis Großburgwedel, von Celle bis Ehlershausen und die von Celle abzweigenden Nebenstrecken“, wie es anlässlich der Beförderung der drei Beamten zu Bundesbahn-Betriebsinspektoren im Jahr 1971 in der CZ hieß. Rezept für hohes Alter: Wie wird man so alt? Diese Frage beantwortet Liesbeth Markowski zweigeteilt. Zum einen habe es sicher etwas mit ihrer gesunden Ernährung zu tun und mit dem Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Sie esse jeden Tag Gemüse und viel Obst. Das hat sie übrigens einige Jahrzehnte lang im Eisenbahner-Schrebergarten direkt an der Bahnlinie („An der Hasenbahn“) angepflanzt und geerntet. Weil sie in den entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegsjahren so gut wie kein Obst zu essen hatte, war ihr das besonders wichtig. Den Garten hat sie schweren Herzens längst abgeben müssen, heute sind alle Obstbäume gefällt und der Garten nicht wiederzuerkennen. Sie hatte den Garten 39 Jahre lang, will ihn aber nicht mehr sehen, denn dann überkäme sie Wehmut. Früher habe sie auch Fleisch gegessen, heute nicht mehr, dafür aber viel Fisch und Eier. „Statt Wurst esse ich heute Käse. Ich koche auch noch selbst.“ Woher sie weiß, was ihrem Körper guttut, hat sie schon in jungen Jahren gelernt, aber dazu später mehr. Zur Ruhe kommen ist wichtig: Der zweite Grund hat ihrer Ansicht nach mit dem gesunden Klima in ihrer alten Heimat Westpreußen zu tun. „Wir waren viel an der frischen Luft, in den weiten Wäldern und bei all den vielen Blumen. Deshalb werden wir Westpreußen so alt“, meint sie. Eine ihrer Schwestern starb erst vor fünf Jahren. Sie wurde 99 Jahre alt. Auch sie hätte ansonsten nichts Besonderes beachtet. Wichtig sei, dass man in der Lage sei, „zur Ruhe zu kommen“. Arbeitsreiche Phasen müssten sich mit Erholungsphasen abwechseln. „Aufregung haben wir genug gehabt in jungen Jahren.“ Deutsch-Eylau war wunderbare Stadt: Liesbeth Markowski erzählt von ihrem langen Leben in chronologischer Reihenfolge, hat die meisten Daten noch im Kopf, kommt beim Erzählen nicht durcheinander, sondern schildert manche Vorkommnisse so, dass man sich gut in ihre jeweilige einstige Lage hineinversetzen kann. Ihr Vater war Bahnbeamter. „Ich komme aus Westpreußen, Regierungsbezirk Marienwerder, Kreis Rosenberg.“ Ihr Vater wurde öfter versetzt und so kam sie in Steenkendorf, drei oder vier Kilometer von der damaligen 18.000-Einwohner Stadt Deutsch Eylau zur Welt. Diese Stadt wurde später in den 1930er Jahren für sie zum Hauptanziehungspunkt. „Das war eine wunderbare Stadt, sie ist aber zu 85 Prozent im Krieg zerstört worden.“ Großelternhaus steht noch: Später zog sie mit ihren Eltern nach Klein Schönforst, etwa sieben Kilometer nordöstlich von Deutsch-Eylau. Hier hatten die Vorfahren des Vaters etwa 20 Morgen Land. „Im Krieg brauchten wir nicht zu hungern.“ Der Großvater hatte im 19. Jahrhundert als Maurerpolier das eigene Haus hochgezogen, das noch heute steht. Davon hat sie sich bei einem ihrer vier Besuche in der Heimat selbst überzeugt. Noch heute spricht die alte Dame von ihrem „Zuhause“, wenn sie über Westpreußen redet. Eltern und Großeltern hätten in diesem Haus bis zur Flucht gelebt. In ihrer Familie habe es viele Landwirte und Kaufleute gegeben. Die westpreußischen Ortschaften seien alle sehr miteinander verbunden gewesen. Viel Nützliches gelernt: In Deutsch-Eylau hat sie die Haushaltungsschule besucht, auf der sie nützliche Dinge wie Kochen, Nähen und andere Handarbeiten lernte und ihre vorherigen Kenntnisse und Fertigkeiten verfeinerte. Das hat ihr im späteren Leben immer weitergeholfen. Hinter Wien die Welt zu Ende? 1939 musste sie zum Arbeitsdienst. Im Spätsommer 1939 wurden Soldaten in ihrem Elternhaus einquartiert. Die jungen Männer waren später bei dem Überfall auf Polen dabei. „Ich habe da so nette Leute kennengelernt – wo die alle herkamen.“ 1940 hat sie zunächst „ein bisschen zu Hause geholfen, aber es zog mich immer in die Stadt“. Sie wollte Krankenschwester werden. Und am 3. Juli 1941, mit 20 Jahren, erhielt sie den Befehl, in Bromberg, einer 100.000-Einwohner Stadt, ihren Dienst im Krankenhaus eines Reservelazaretts anzutreten. Nun begann für sie der Ernst des Lebens. Aber sie kam auch rum. So begleitete sie viele entlassene Patienten auf der Reise in deren Heimat. Als sie in Wien war, dachte sie angesichts der Alpen hier sei das Ende die Welt. Ansonsten war es „eine sehr harte Arbeit“. Ihr geliebtes Zuhause sah sie in dieser Zeit allerdings selten. Den jungen Frauen blieb während des Krieges der Erwerb des Examens verwehrt, aber als Schwestern-Helferin musste „Lissy“, wie sie damals wegen einer zweiten Liesbeth auf der Station genannt wurde, genau dieselben Dinge erledigen wie die Vollschwestern. Auf der Flucht: Am 20. Januar 1945 begann für sie die Flucht. Das gesamte Krankenhaus wurde aufgelöst und konnte mitsamt der Patienten und „dem ganzen OP“ per Güterzug Bromberg gen Westen verlassen. Lange dauerte es, bis der Zug endlich abfuhr. Es war wohl der letzte Zug, der aus Bromberg herauskam. Bei 20 Grad minus dauerten die ungewissen Stunden bestimmt dreimal so lange, wie sie sonst vergingen. Zunächst hatte man damit zu tun, die Güterwagen mit Stroh auszulegen, damit man die Patienten ein wenig weicher betten konnte. Dann fuhr der Zug endlich los. „Wir sind dann in Mecklenburg gelandet, in Friedland, einem kleinen Städtchen. Dort haben wir ein richtiges kleines Lazarett aufgebaut. Bis April waren wir alle zusammen und glücklich.“ Ein überraschender Ausdruck, wenn man bedenkt, welche Schrecken um sie herum waren und wie ungewiss die eigene Zukunft und die der Liebsten war, der Eltern und der beiden Schwestern und des Bruders Heinz, der an der Front war. Flüchtlingstrecks beschossen: Dann wurde sie nach Neubrandenburg versetzt und dort war sie so leichtfertig und hat ihr gesamtes Gepäck auf einem Fuhrwerk abgestellt, das auf einmal weg war. Sie hatte nur noch das, was sie am eigenen Leibe trug. Schmuck und eine wertvolle goldene Uhr waren verschwunden. Die junge Frau wollte weiter westwärts. „Wir hatten gehört, was der Russe mit uns jungen Frauen macht.“ Damit spielt sie auf die Vergewaltigungen von Frauen im Kriege an, die es damals massenhaft gab. Überall fielen Bomben. Die 24-Jährige musste mit anschauen, wie sie auch in die Flüchtlingstrecks fielen, Menschen und Pferde trafen. Sie floh zu Fuß weiter. Es gelang ihr, irgendwo mitzufahren. „Es war April, die Sonne schien, der Himmel war klar. Um 12 Uhr kam ich in Schwerin an und meldete mich gleich im Krankenhaus.“ Dort bekam sie schnell etwas zu essen und schon ging es weiter. Oberstabsarzt nimmt sie mit: Sie konnte auf einem offenen, mit Getreide beladenen Wehrmachtswagen mitfahren. „Wir fuhren einen Kilometer durch einen Wald, dann war Schluss.“ Auf einem großen Platz am Waldesrand hatten sich russische und amerikanische Streitkräfte getroffen. Die Stimme von Liesbeth Markowski beginnt, erstmals im Gespräch zu brechen: „Da kamen aus dem Wald ganz viele Soldaten heraus. Da wusste ich erst, was Krieg bedeutet. Da kam ein Schwarzer und hat uns eine Decke gegeben. Ich habe in der Menge sogar zwei Krankenschwestern aus Bromberg entdeckt. Da sprach mich eine Oberstabsarzt an und nahm mich, einen weiteren Arzt, zwei Schwestern und einen verwundeten Soldaten mit in seinem offenen Wagen. Ich wollte nach Lübeck. Ich weiß nicht, was mit den anderen auf diesem Riesenplatz passiert ist, die meisten werden in Gefangenschaft gekommen sein. Wir standen dort bis 22 Uhr.“ Sie landet in Holstein: So kam sie nach Borstel westlich von Bad Oldesloe. „Die hatten dort ein kleines Krankenhaus. Die haben uns dort aufgenommen. Am nächsten Tag hieß es, dass Hitler für Großdeutschland gefallen ist.“ Sie muss also am 29. April 1945 in Borstel angekommen sein. Über Adolf Hitler sagt sie: „Der Mann war furchtbar. Das hat bloß keiner so schnell erkannt. Aber keiner aus meiner Familie war in der Partei.“ Die Zeit in Borstel bis Mitte August war „eine schöne, erholsame Zeit in Gefangenschaft“ für Liesbeth Markowski: „Ich war unter mehreren und hatte etwas zu essen. Die Patienten waren uns so dankbar, dass wir später noch viele Jahre miteinander geschrieben haben. Da waren Drogisten, Ingenieure und Ärzte als Patienten.“ Aus dem Herrenhaus Borstel, um das sich heute eine moderne Klinik herumgruppiert, durfte sie sich dort gelagerte Kleidung für Arbeitsmaiden aussuchen, denn sie hatte ja ansonsten keine eigenen Sachen. Sie traf dort auch eine Schneiderin, die ihr aus „einer muscheligen Decke, die mir ein Patient geschenkt hatte“, einen Mantel schneiderte. „Hinterher sah ich nachgerade elegant aus.“ Als Krankenschwester in Bergen-Belsen: Nun stockt sie ein zweites Mal. Tränen schießen ihr in die Augen. Es sind dieses Mal Tränen der Freude. Sie wusste nämlich noch die Adresse ihrer Tante in Celle: Marie Fuhse, Kronestraße 13. Und dorthin schrieb sie. Und wie überglücklich war sie, als ihre Mutter ihr zurückschrieb. Sie war nämlich mit einer ihrer Töchter zu Marie Fuhse nach Celle geflohen. Die dritte Schwester blieb in Thüringen, wo sie geheiratet hatte. In Celle ist sie vorher nie gewesen, die Verwandtschaft aus der einstigen Residenzstadt hat aber die Familie Bannasch, wie Lisbeth mit Mädchennamen hieß, öfter in Westpreußen besucht. Auch der Vater, der zunächst per Fahrrad bis zur Küste, dann per Schiff über die Ostsee nach Dänemark geflohen war, kam in Celle unter. Über Hamburg-Rahlstedt kam Lisbeth im September 1945 zunächst nach Bergen-Belsen, wo sie als Krankenschwester helfen musste. Bruder an Blutkrebs erkrankt: Dann war die Familie in Celle fast wieder komplett. In einem möblierten Zimmer an der Bahnhofstraße 5a, in dem Anfang des 20. Jahrhunderts erbauten Eckhaus am Bahnhofsplatz, kamen sie unter. Der Bruder Heinz kam Anfang November 1945 aus der Gefangenschaft nach Celle. Der damals 20-Jährige war wohl vorzeitig aus der Gefangenschaft entlassen worden. „Ich habe ihn fast nicht erkannt, weil sein Haar geschoren war und er elendig aussah.“ Aber die beiden Geschwister hatten noch ein schönes Jahr miteinander. Dann wurde er allerdings immer schlapper. Liesbeth erkundigte sich sogar in einer Göttinger Klinik nach seiner Krankheit. „Er hatte wohl Blutkrebs. Die weißen Blutkörperchen frassen die roten immer auf. Er hat achtmal Blut von Verwandten übertragen bekommen, zweimal von mir.“ Am Sterbebett des Bruders den Zukünftigen kennengelernt: Aber es hat alles nichts genützt. Am 12. Mai 1947 hörte das geliebte Bruderherz auf zu schlagen. Sie saß alleine an seinem Sterbebett im Celler Krankenhaus. „Ich hatte selbst als Krankenschwester noch keinen Patienten sterben sehen. Mein Bruder war der erste.“ In dem Trakt, in dem ihr Bruder lag, waren offenbar die Menschen untergebracht, denen man nicht mehr helfen konnte, so auch der Schwager von Paul Markowski. Nach einem Besuch des Schwagers beziehungsweise des Bruders begleitete Paul Markowski Liesbeth Bannasch nach draußen. Sie kamen über die beiden totkranken Verwandten ins Gespräch. Sie gefielen sich und verliebten sich schließlich ineinander. Schon 1948 wurde geheiratet. Eigentlich wollte Liesbeth Markowski als Krankenschwester weiterarbeiten, aber im Celler Krankenhaus war keine Stelle frei. Sie erhielt die Nottaufe: Durch die Blutspenden war sie blutarm geworden. Sie war ohnehin nicht besonders kräftig. Das war schon als Baby so: „Ich habe sogar die Nottaufe erhalten.“ Und sie ist sich sicher: Wäre sie damals nicht verlobt gewesen, sie hätte den schweren Verlust nicht verkraftet. So gab ihr aber die junge Liebe Halt, obwohl: „Ich hatte mir eigentlich immer gesagt, dass ich nie einen Ostpreußen heirate." Sie schmunzelt dabei. Aber Paul Markowski stammte ausgerechnet aus Ostpreußen, aus dem kleinen Lück. Die Schwester ihrer Oma war nach Amerika ausgewandert und so kamen von dort viele Pakete nach Celle mit schönster Kleidung und allerlei Nützlichem. „Care-Pakete haben wir allerdings nie gesehen. Es waren meine schwersten Jahre“, sagt sie heute. Die heutigen Generationen, die Kriege nicht erlebt haben, wüssten gar nicht, in welch einer glücklichen Zeit sie lebten. Dafür müsse man sehr dankbar sein. Familiengrab gepflegt: Ihr Mann brachte eine Tochter mit in die Ehe und als die zweite Tochter geboren wurde, blieb Liesbeth Markowski zu Hause. Sie hatte mit dem Haushalt und dem Schrebergarten auch genug zu tun. Nebenbei stellte sie Kissenbezüge, Kleidung und Decken für ihre Familie her und pflegte die Gräber der Familie. Wenige Jahre nach ihrem Bruder war auch ihre Mutter verstorben. Sie hatte den Verlust des Sohnes nicht verwunden. „Ich hing so an meinem Bruder. So ein junges Leben.“ Wieder schießen ihr Tränen in die Augen. Es schmerzt die 100-Jährige noch fast so wie damals. Die Zeit heilt eben doch nicht alle Wunden. Bis vor wenigen Jahren hat sie die Gräber noch alleine gepflegt. 1973 kam das ihres Vaters hinzu, 1992 das ihres Mannes Paul, der 79-jährig starb. CZ-Leserin seit 1949: Liesbeth Markowski liest die Cellesche Zeitung seit ihrem Wiedererscheinen nach dem Zweiten Weltkrieg, ist also von den damals Vertriebenen sicher eine der ältesten Leserinnen. Wie viele Zusteller ihr schon die CZ in den Briefkasten gesteckt haben mögen? An Celle liebt sie das Schlosstheater und die vielen musikalischen Angebote, die sie gerne genutzt hat. Schon in ihrer Konfirmationskirche in Raudnitz hat sie zehn Jahre lang im Kirchenchor gesungen. In Celle hat sie sich der Pauluskirchengemeinde zugehörig gefühlt. 17 Jahre lang ist sie jeden Montag zum Treffen der Frauen gegangen. „Da waren wir manchmal 50 Frauen.“ Sie hätten wunderbare Ausflüge unternommen und schöne Weihnachtsfeiern begangen. Sie war auf nahezu jedem Marienwerder-Treffen, denn: „Mein schönes Deutsch-Eylau, da kommt so schnell nichts mit!“ Kontakte ins Show-Business: Und dann hat sie noch gewisse Kontakte ins Show-Business, wie Autogrammkarten von Fernsehkoch Tim Mälzer, von NDR-Moderator Michael Thürnau und Fernseh-Legende Günther Jauch beweisen. Mit Letzterem gibt es sogar ein gemeinsames Foto, das sie in Ehren hält. Dazu wollte die Jubilarin aber nichts weiter verraten. Vielleicht lüftet sie den Schleier hinter dieser Geschichte ja in einem Jahr, bei ihrem nächsten Geburtstag, wer weiß?