Winser Museumshof: Nachgelebter Wiener Klassik fehlt gewisses Etwas

Die Musik einer bislang vollkommen unbekannten Komponistin namens Emilie Mayer wieder zum Erklingen zu erbringen, dieses Ziel strebt die aus Hambühren stammende Pianistin Katharina Sellheim an. Sie hat eine Menge Kammermusik von Mayer gesichtet, eine Auswahl davon mit ihrem Trio einstudiert und auf CD aufgenommen. In Winsen, als Ort in dem sie schon seit ungefähr zwei Jahrzehnten mindestens einmal im Jahr spielt, wurde das Publikum nun Zeuge diverser Erstaufführungen in neuerer Zeit von Musik dieser vergessenen Komponistin. Vor einem beachtlich gut gefüllten Auditorium spielte Sellheim zusammen mit Lucja Madziar (Geige) und Johannes Krebs (Cello) drei Trios und eine Sonate für Violine und Klavier. Die Eindrücke waren sehr unterschiedlich. Ansteckende Spielfreude des Klaviertrios: Besonders erfreulich: Das Trio agiert mit geradezu ansteckender Spielfreude und mit großem innerem Engagement für diese Musik. Weniger erfreulich: Ob diese Komponistin entdeckenswert ist, das lässt sich nach dieser ersten Begegnung mit ihrer Musik nicht bejahen. Nach den Eindrücken dieses Abends ist nur klar: Mayers Musik hat immer wieder gefällige Momente, aber sie ist, bezogen auf die musikalische Entwicklung ihrer Zeit, eher rückständig als in eine Zukunft weisend. Wer das zuerst gespielte Trio erlebt hat, der kommt schnell zur Einstufung dieser Musik als nachgelebte Wiener Klassik. Mal klingt eine Passage nach etwas eindimensionalem Mozart, dann mal nach Haydn, aber auch der mittlere Beethoven klingt durch. So sehr man immer wieder an diese Komponisten beim Hören der Musik Mayers denken muss, so deutlich wird erkennbar, dass diese Komponistin sich schwertut mit klaren künstlerischen Entscheidungen. Es gibt zwar immer reizvolle musikalische Ideen im Stil eines XY, aber aus diesen Ideen wird dann wenig gemacht. Ähnlich ging es einem auch beim Hören der anderen Stücke des Abends nur dass nun die klanglichen Verwandtschaften zu Romantikern wie Schubert, Mendelssohn oder sogar zum frühen Brahms führten. Eine eigene Charakteristik Mayers blieb bei der Stückauswahl dieses Abends versteckt. Oder es gibt keine. Konzertbesucher wünscht sich Mozart-Stück: Natürlich: Es gibt immer wieder einzelne Passagen, die so gelungen sind, dass sie beeindrucken. Aber diese Stellen werden nicht dafür genutzt, daraus etwas Größeres zu machen. Sie verpuffen im Nichts oder in banalen Begleitfloskeln oder gebrochenen Akkordfolgen oder Arabesken, die über weite Strecken wie überflüssige Klangfüllsel wirkten und zudem die Stücke in die Länge zogen. Auf den Punkt gebracht ist da kaum etwas. Ein Konzertbesucher meinte beim Herausgehen, dass er doch als Zugabe noch gerne ein Mozart-Stück gehört hätte. Dem ist voll und ganz zuzustimmen: Wenn sich herausstellen sollte, dass Mayer doch das eine oder andere Bemerkenswertere geschrieben haben sollte als an diesem Abend zu hören war, dann könnte diese Musik auch bestehen in einem gemischten Programm. Die Werke dieses Abends waren dafür fast sicher zu schwach. Für September kündigte Sellheim ein kleines Winsener Festival mit Kompositionen von Frauen an. Von Reinald Hanke