„Totentanz“-Veranstaltungsreihe in der Celler Stadtkirche hat begonnen

Dieser Abend war eine einzige große Begegnung mit unbekannter Musik. Celles Kirchenmusikdirektor Michael Voigt hat neben seiner Liebe zu Bach ein besonders inniges Verhältnis zur Improvisation und zu einer klassischen Moderne, die es in dieser Form nur in der Orgelmusik und der Kirchenmusik gibt, nämlich einer Musik, die zwar neue Harmonien und neue formale Abläufe sucht, dabei aber nicht den kompletten Kanon der Musikgeschichte über Bord wirft, wie das in den verschiedensten Avantgardeschulen der letzten hundert Jahre gerne praktiziert wurde. Diese Art der formalisierten Moderne ist zwar leichter verdaulich als die sogenannte Avantgarde, wird aber auch wenig gespielt. Wenn Voigt in seinen sehr interessanten Erläuterungen im Rahmen dieses Konzertes als Auftakt der „Totentanz“-Reihe in der Celler Stadtkirche Johann Nepomuk Davids „Schnitter“-Partita als eines der meistgespielten Stücke der Nachkriegsorgelmusik bezeichnet, dann sagt das schon viel, denn in Celle ist das Stück wohl mindestens 40 Jahre nicht zu hören gewesen. Klingendes Plädoyer für diese Musik: Voigt spielte das in jeder Hinsicht anspruchsvolle Stück mit großem Gespür für die weiten Spannungsbögen und die richtigen Tempi, aber auch mit großem Sinn für Klangfarben. Bestens gelang ihm dieses Stück, das in jedem der sieben Sätze andere Reize für den Hörer bereithält. Voigt breitete diese vor den Ohren der Zuhörer so aus, als ob er ein klingendes Plädoyer für diese Musik halten wollte. Nicht zuletzt setzte er in der Auswahl der Klangfarben der Orgel auf eine kontrastreiche Mischung verschieden strukturierter Pleno-Registrierungen und dezenter Einzelregisterkombinationen, die er teilweise noch mit Tremulant einsetzte. Gerade die raffinierten Kombinationen weniger Flötenstimmen mit Zungenstimmen wurden von Voigt zu großer Wirkung gebracht. Und die mit vollem Orgelsound zu spielenden Teile hat Voigt geradezu lustvoll gespielt, wenngleich dem überwältigenden sechsten Satz mit der sich immer wieder wiederholenden Bassfigur ein wenig mehr Transparenz gutgetan hätte. Wie David in diesem Stück seine Kreativität mit herausragender kompositorischer Handwerkskunst verbindet, das konnte man dank des Spiels von Voigt hörend nachvollziehen. Da Voigt wie kein zweiter die klanglichen Raffinessen aus der Stadtkirchenorgel zaubern kann, war diese Aufführung auch ein Hörabenteuer der beeindruckendsten Art. Tonsprache vor allem von spezieller Harmonik geprägt: Etwas anders ist es beim Komponisten Hans Ludwig Schilling, dessen „Totentanz“-Toccata Voigt vorab musizierte. Schilling ist heute komplett vergessens. Seine Tonsprache ist vor allem geprägt von einer speziellen Harmonik, die aber keineswegs originär ihm zuzuordnen wäre. Letztlich wiederholen sich die ähnlichen Wendungen und Skalen ohne griffige melodische Einfälle mit immer wieder neuen technischen Aufgabenstellungen für den Organisten. Die versteckten Tanzrhythmen im Stück wirkten allerdings genauso verkopft wie die harmonisch verzerrten Choräle. Weitere Veranstaltungen: Heute und morgen geht es beim „Totentanz“-Finale in der Celler Stadtkirche mit Musik von Günter Berger als sakralem Tanztheater und mit Hugo Distlers einzigartiger „Totentanz“-Fassung weiter. Das dürften faszinierende Abende werden. Von Reinald Hanke