Grundsätzlich fehlt mir der persönliche kollegiale Austausch. Derzeit mache ich auch noch ein Postgraduierten-Studium an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Auch hier können Lehrveranstaltungen nur sehr eingeschränkt stattfinden. Das Alleinsein und auch das Gefühl von Einsamkeit hat jedoch in meinen Arbeiten auch schon vor Corona eine Rolle gespielt. Meine Arbeiten sind in ihrem Entstehungsprozess mehr ein Dialog mit den Dingen oder dem Raum, als ein Dialog mit anderen Menschen. Ich bin es daher gewohnt, viel alleine zu arbeiten – auch unter den einschränkenden Bedingungen der Pandemie – soweit es meine psychische Verfassung in diesen Zeiten zulässt. Seit über zwei Jahren arbeite ich – parallel zu anderen kurzfristigeren Projekten – an einer autobiografischen Videoarbeit, in der es im weitesten Sinne auch um ein Gefühl der Isolation geht: Um die (Nach-)Wirkungen von sexualisierter Gewalt und Trauma. Eine erzählerische Tonspur aus versprachlichten Erinnerungsfetzen vermischt sich dabei mit literarischen Zitaten und dem Bericht über den Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Um auf der visuellen Ebene die unwillkürlich immer wieder auftauchenden Erinnerungen, die man gemeinhin auch als Flashbacks bezeichnet, sichtbar zu machen, benutze ich Projektionen. Die aufnehmende Kamera steht in einem abgedunkelten Raum. Dieser heutige reale Raum wird im Bild sichtbar durch das Licht der projizierten Bilder, die immer wieder über die heutigen Raumgegebenheiten hinwegziehen.
In der knappen „Begründung“ der Wahl für die Ehrung hat die Foundation explizit auf ihre „Fädenfilme“ hingewiesen. Es wäre schön, wenn sie selbst ihre Arbeitsweise – den Ansatz und Schwerpunkt ihrer Arbeiten beschreiben könnten.
Unter dem Namen „Fädenfilme“ habe ich meine Videoarbeiten aus den Jahren 2006 – 2014 zusammengefasst. Ich agiere da als eine unsichtbare Marionettenspielerin. Meine Marionetten sind die präparierten typischen Gegenstände aus dem Wohnraum: Geschirr, Matratzen, ein Teppich oder ein speziell zersägter Schrank. Sie bewegen sich durch die angebrachten Fäden und scheinen dabei einen eigenen Material-Willen zu entfalten.
Am Anfang habe in der Wohnung meiner Großmutter gearbeitet, in der sie selbst wegen ihrer fortgeschrittenen Demenz nicht mehr hat leben können. Bei aller Komik, die manchmal in den Bewegungen der sich verselbstständigenden Gegenstände liegt, geht es in diesen „Auflösungen“ auch um den Tod. Es ist ein schleichender Tod: ein langsames Verschwinden von sicher geglaubten Gewissheiten und verlässlichen Bezügen. In späteren Videoarbeiten wurden es auch ein ganzer – modellhaft nachgebauter – Raum, der sich in seinen Einzelteilen bewegt.
Nach meinem Studium in Hamburg sind die meisten meiner Arbeiten durch die Architektur der Orte angestoßen worden, an denen ich Residencies machen durfte und mein Atelier hatte. In der „Teil und das Ganze“ ist es eine gemusterte Fliesenfläche, die ins Schwanken gerät. Einzelne Fliesen wackeln. Die ganze Fläche beginnt zu schlingern, schwingt und pendelt, bis sie bricht. Das Muster gerät in Unordnung. Die Fuge zeigt sich als Lücke. Auch hier sind die Bewegungen analog entstanden. Die einzelnen Miniatur-Fliesen hingen einzeln kopfüber in einer Kastenkonstruktion. Die Kamera befand sich unter der Fliesenfläche.
Was ist ihr Ziel und gibt es eine „Botschaft“ darin?
Vielleicht verliert man mit der Gewissheit über die Dinge, auch den Halt und die Sicherheit. Die Betrachtenden bekommen – wortwörtlich – den Boden unter den Füßen weggezogen. Manche Menschen haben nie (eine innere) Sicherheit verspürt. Das Haus stürzt ein. Von mir aus kann man das gerne auch als Metapher lesen.
Ich möchte meine Arbeiten nicht mit einer erklärenden Sprache ganz auserzählen oder damit „vorschreiben“ was der einzelne erfährt. Für mich ist die Kunst keine Schachtel, die man aufmacht, um dann in ihr eine darin liegende kondensierte versprachlichte Botschaft zu finden. Wenn es so einfach wäre, würde ich einfach „nur“ schreiben.
Von Doris Hennies