Vortrag Mediendemokratie : "Schauen auf Klicks schädlich für Demokratie"

Der Titel der Veranstaltung klang unheilvoll: „Die unkontrollierte Gewalt“. Über Fehlentwicklungen in der Mediendemokratie referierte die Journalistin und Buchautorin Susanne Gaschke (früher "Zeit", jetzt "Welt") im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wohin entwickelt sich unsere Demokratie?“ des Evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Celle in der Stadtkirche Celle. Austausch von Argumenten wichtig: Demokratie beruht auf einem fairen und sachlichen Austausch von Argumenten. Aber gerade solche Sachlichkeit und Fairness seien in der modernen Medienwelt bedroht, hatte der Kirchenkreis für seine Veranstaltung geworben. Lautstärke und populistische, von Hassgefuhlen geprägte Kampagnen haben in der Medienlandschaft eine große Bedeutung gewonnen. Eine Einschätzung, der Susanne Gaschke zustimmte: „Die Krise der westlichen Demokratien ist eine Krise des Journalismus.“ Als Ursache hat die Autorin das Internet ausgemacht: Es verstärke die bestehenden Probleme der Medienbranche, betonte Gaschke. Die Branche hat seit 20 Jahren mit Problemen zu kämpfen. Habe etwa die „Bild“-Zeitung 1998 noch eine Auflage von drei Millionen gehabt, so verkaufe die einst auflagenstärkste Tageszeitung Europas mittlerweile nur noch die Hälfte. Die Branche hat seit 20 Jahren mit Problemen zu kämpfen. „Immer neue Entlassungswellen machen mit den dort beschäftigten Menschen etwas. Das trägt zur Meinungsvielfalt nicht bei.“ „Papiernes Bündel“ bietet Themenvielfalt: Die gedruckte Zeitung – ein „papiernes Bündel“ – biete eine Vielfalt an Themen, während klick-optimierende Algorithmen die Leserschaft im Internet mehr und mehr nur mit Inhalten versorgen, die ihre jeweilige Weltsicht bestätigen. Es entstehen Filterblasen und schließlich die „erschreckende Beobachtung des politischen Radikalisierens“, schilderte Gaschke. Wenn es nur noch um die Optimierung von Klickzahlen gehe, dann – so Gaschke – „verändert dieser Prozess auch, was geschrieben wird: Es geht dann hauptsächlich um Sex & Crime sowie extreme Meinungen.“ Ihr Fazit: „In ,entbündelter‘ Form kann die Presse nicht mehr ihre Aufgabe als ,vierte Gewalt‘ in der Demokratie erfüllen.“ Gaschke nannte beunruhige Zahlen: Hätten bei einer Umfrage 2017 rund 18 Prozent der Befragten beklagt, die Medien hätten den Kontakt zur gesellschaftlichen Realität verloren, so waren es 2018 ganze 27 Prozent. Diese Entwicklung gehe einher mit einer immer tiefer werdenden Kluft zwischen Politikern und Nichtpolitikern. Kinder mit Lese-Schwächen: Hinzu kommen bildungspolitische Probleme: „Vertieftes Lesen, um komplexe Sachverhalte überhaupt verstehen zu können, werde schwieriger. Eltern echauffieren sich, wenn ihre Kinder in der Schule einen ganzen Roman lesen sollen.“ Eine zu beobachtende Folge: Das Interessenspektrum junger Menschen verenge sich. Wenn das Interesse nur den Themen Familie, Selbstoptimierung und digitaler Technik gelte, sei das schlecht für die demokratische Kultur. Gleichzeitig habe sich in den Medien eine Tendenz zur Überheblichkeit breit gemacht, bilanzierte die Journalistin Gaschke selbstkritisch: „In kaum einer anderen Branche ist die Fähigkeit zur Selbstkritik so wenig ausgebildet.“ Viermaliges Nachfragen von Fernsehjournalisten in einem Politikerinterview - „in der Hoffnung, dass der sich verhaspelt“ - sei kontraproduktiv: „So bringen wir die Politiker dazu, in floskelhafter Sprache zu sprechen.“ Aufgewühlte Gesellschaft: Beim Zustand der demokratischen Öffentlichkeit diagnostiziert Gaschke daher eine „unheimliche Entwicklung“. Auch der verbal gewalttätige Debattenton in den sozialen Medien zeuge von der „aufgewühlten Gesellschaft“. Das zunehmend vorherrschende Grundgefühl, man könne sowieso nichts ändern, sei „Gift für die Demokratie“. Nachdenklichkeit und Zeit für das Überdenken eigener Meinungen sind notwendig in einem auf dem Widerstreit konkurrierender Meinungen basierenden freiheitlich-demokratischen politischen System. Nach wie vor wichtig auch in Zeiten der schnellen digitalen Nachrichtenverbreitung. „Es gibt gute Gründe, um für Bücher und Papierzeitungen zu werben. Verleger sollten das auch tun“, brach Susanne Gaschke zum Ende ihres von Friedrich Hauschildt moderierten und von Kirchenkreiskantorin Katrin Hauschildt musikalisch umrahmten Vortrages eine Lanze für die Druckmedien. Von Klaus M. Frieling Der Ev.-luth Kirchenkreis Celle engagiert sich mit dem Veranstaltungsformat „Kirche trifft“ dafür, kirchliche Themen in die öffentliche Diskussion einzubringen und den Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen zu fördern. In diesem Herbst widmet sich die Reihe ganz der aktuellen Fragen, wohin die Demokratie in Deutschland steuert. Nach dem Vortrag von Susanne Gaschke sind drei weitere Veranstaltungen geplant: Am Dienstag, 29. Oktober, referiert Sylke Schwanhold, Geschäftsführerin des Jobcenters Celle, unter dem Titel „Niemand soll verloren gehen“ über die Zukunft der Arbeit. Am Dienstag, 5. November, ist die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle, Stefanie Otte, in der Stadtkirche zu Gast zum Thema „Recht und Gerechtigkeit: bestimmt sich das nach den gleichen Maßstäben?“ Und am Mittwoch, 13. November, geht es im Gespräch mit Felix Klein, dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, um den Kampf gegen Antisemitismus.

Vortrag Mediendemokratie - "Schauen auf Klicks schädlich für Demokratie"