Streit um Naturschutz mitten in der Stadt Celle

Wie viel Naturschutz muss sein? Angesichts zwingend anstehender Unterschutzstellungen von Flora-Fauna-Habitat-Gebieten (FFH), auf die die EU drängt, ist im Celler Stadtrat ein Streit entbrannt. Der dreht sich um die Frage: Wie viel Naturschutz soll und kann man den Menschen zumuten? Zugespitzt könnte man auch fragen: Wer ist wichtiger – der Mensch oder die Natur? Eine einfache Antwort gibt es nicht. Denn das, was wir Natur nennen, ist meistens Menschenwerk. NSG oder LSG? Ginge es nach der EU, dem Bund und dem Land, dann müsste die Stadt Celle jetzt bei der Unterschutzstellung ihrer FFH-Gebiete Gas geben, denn eigentlich hätte das schon bis 2013 erfolgen sollen. Jetzt droht die EU Deutschland mit Strafgeldern, falls in Frage kommende Gebiete nicht bis Mitte Oktober unter Schutz gestellt werden. Die Umweltexperten der Stadtverwaltung möchten diese Frist eingehalten und haben so längst neue Naturschutzgebiete (NSG) auf den Weg gebracht. Doch die Politik bremst. Denn dabei werden auch menschliche Interessen betroffen. Die, so heißt es im Rat, dürften nicht außer Acht gelassen werden. So favorisieren viele im Rat eine "mildere" Form der Unterschutzstellung: als Landschaftsschutzgebiet (LSG). Der Unterschied zwischen NSG und LSG: In einem LSG ist alles erlaubt, was nicht verboten ist, und in einem NSG ist alles verboten, was nicht erlaubt ist. "Natur" ist oft Kulturlandschaft: Seit 2015 gibt es das NSG "Untere Allerniederung bei Boye" von der Stadtgrenze im Westen bis zum Wilhelm-Heinichen-Ring. 2018 kam das NSG Henneckenmoor bei Scheuen dazu. Bis Mitte Oktober beschlossen werden soll das NSG "Entenfang Boye und Grobebach". Hier zeichnet sich ab, dass der Entenfang NSG werden soll und der Grobebach LSG. Außerdem fordert die Celler Politik vom Land eine verbindliche Finanzierungszusage des Entenfang-Naturschutzes ein. Ob das bis zum Stichtag Mitte Oktober klappt, ist fraglich. Heiko Gevers (CDU): "Eine Kulturlandschaft wie der Entenfang muss aktiv erhalten werden, und das kostet Geld." Experten favorisieren höchsten Schutz: Boye liegt am äußersten Rand des Stadtgebiets, doch die Verwaltung plant auch ein NSG, das sich mitten durchs Herz der Stadt ziehen soll: das NSG "Allerniederung bei Klein Hehlen und Celle" zwischen Wilhelm-Heinichen-Ring und Allerwehr an der Ratshmühle. Hier, so die Umweltexperten der Verwaltung, müsse Raum für Fischotter, Biber und Co. gesichert werden – und zwar in einem NSG. "Wir können naturschutzfachlich gar nicht anders als den höchsten Schutz zu verordnen", so Stadtbaurat Ulrich Kinder. Nachts wäre dann Schluss mit Partys am Allerstrand. "Kommt nicht in Frage": Der FDP-Fraktionsvorsitzende Joachim Falkenhagen will kein NSG: "Unser Ziel war immer, dass der von der EU zum FFH-Gebiet erklärte Bereich entlang der Aller und sich quer durch das Stadtgebiet ziehende Bereich als LSG ausgewiesen wird, damit die Menschen sich in diesem jahrhundertelang von Menschen geprägten Landschaftsbestandteil erfreuen können und sich die Landschaft stabilisiert und qualitativ verbessert." Es komme nicht in Frage, entlang der Justizvollzugsanstalt, unter vielbefahrenen Brücken und in einem gerade von Baggern neu gestalteten Hochwasserschutzbereich ein Naturschutzgebiet einzurichten. Kompromisse gesucht: Im Stadtrat hielt Grünen-Fraktionsspitze Bernd Zobel dagegen: "Wir haben nur eine Welt." Es gelte die Natur zu schützen. Nicht alles dürfe aus Sicht des Menschen definiert werden. CDU.Fraktionsvorsitzender Alexander Wille schüttelte den Kopf: Er habe in Altencelle eine Landwirtsfamilie als Nachbarn, deren Existenz bedroht sei, wenn auch noch die dortige Alleraue zum NSG erklärt werden sollte: "Bei der Ausweisung von Schutzgebieten geht es um Details. Ich freue ich auf die Debatten der nächsten Monate." Deren Ziel gab Iris Fiss (Unabhängige) vor: "Natur- und Umweltschutz muss kompatibel mit den Menschen sein."