So feiert eine der ältesten Frauen aus Celle ihren 105. Geburtstag

Dass Adelheid Rabe ihren Lieblingssender laut gestellt hat, hört man schon vor der Tür zu ihrem Zimmer. Seit 2014 lebt sie im Johanniterhaus. Da war sie schon 98 Jahre alt, als sie sich entschloss, von ihrer Wohnung am Lauensteinplatz ins Pflegeheim im Heesegebiet umzuziehen. Ja, natürlich weiß die alte Dame, dass sie nun 105 Jahre alt wird, nur an welchem Wochentag das stattfindet, das war ihr entfallen. Altersgebrechen nimmt sie gelassen hin: Als der Gast eintritt, stellt sie das Radio aus, denn ansonsten hätte man sein eigenes Wort fast nicht verstanden. Sie bedauert es, dass sie so gut wie nichts mehr sieht und dass nun auch noch die Schwerhörigkeit hinzugekommen ist. Aber sie trägt es mit Gelassenheit: „Das kennt man ja, dass so etwas mit dem Alter kommt.“ Sie ist keine, die den Kopf in den Sand steckt oder klagt. Bis zu einem Sturz in ihrem Zimmer nahm sie noch an allen Gemeinschaftsaktivitäten im Heim teil, doch nun sitzt sie im Rollstuhl, hat alles griffbereit in ihrer Nähe, was sie benötigt. Und sie hat Hoffnung, „dass das vielleicht noch mal was wird“ – dass sie wieder etwas mobiler werden kann. Behütete Kindheit In Niederschlesien: „Behütet“ sei sie in Liegnitz aufgewachsen, einer Stadt von damals etwa 90.000 Einwohnern in der Nähe von Breslau in Niederschlesien. Der Vater war Postbeamter, starb aber früh. Adelheid war die Älteste von vier Geschwistern. Ein Bruder starb als Flieger im Krieg, der andere (Heinz Bürger) erst vor 14 Jahren. Und ihre Schwester Luise Bunzel wurde 91 Jahre alt, die Mutter Emilie Bürger immerhin fast 88. Wieso ausgerechnet sie so uralt geworden ist, weiß sie nicht. „Ich bin nicht immer auf Rosen gebettet gewesen“, sagt sie. Ihren Mann sah sie nur wenig: Adelheid Rabe hat während des Krieges ihre große Liebe Kurt geheiratet. Die beiden hatten nur zwei Jahre zusammen, wobei ihr Ehemann als Soldat mehr im Feld als zu Hause war. „Erst zwölf Jahre nach dem Krieg erhielt ich die Mitteilung, dass mein Mann schon in seinem 38. Lebensjahr 1946 in einem russischen Internierungslager gestorben war“, sagt sie. Und sie ergänzt: „Der lausige Krieg, der hat nicht sein brauchen!“ Dann blieb sie Kriegerwitwe, aus Solidarität zu ihrer Schwiegermutter, so erläutert sie es, die außer ihrem Sohn auch ihren Mann verloren hatte. Alte Heimat nie wiedergesehen: Sie blieb zunächst in ihrer niederschlesischen Heimat. „Dann haben uns die Polen rausgeschmissen. Ich habe meine Heimat nie wiedergesehen, im Gegensatz zu denen, die sie verlassen hatten, bevor die Russen einmarschiert sind.“ Sie hat schreckliche Dinge erlebt, von denen sie nicht berichten möchte. Der Zufall führte Regie in ihrem Leben: 1950 landete sie bei ihrer Schwester Luise im Waldkater in Hustedt. Als sie in Celle einkaufen war, sah sie in einem Schaufenster ein Schild, mit dem eine Haushälterin gesucht wurde. Sie bewarb sich, wurde genommen und zog in die Stadt, die ihre neue Heimat wurde. Doch sie bekam Scharlach und musste ins Allgemeine Krankenhaus. Dort beobachteten sie der Chefarzt und die Stationsschwester, wie sie sich um Kinder kümmerte, und machten der gelernten Zahnarzthelferin das Angebot, im AKH anzufangen. „Mir hat immer der Zufall geholfen“, sagt sie. Und so arbeitete sie die nächsten acht Jahre als Krankenpflegerin. Sie hat sie sich immer gerne um Kinder gekümmert, eigene waren ihr aber verwehrt geblieben. Als ihre Schwester Hilfe in ihrer Familie benötigte, kündigte sie beim AKH und kümmerte sich um ihre Nichten. Nichten kümmern sich um Adelheid Rabe: Diese wiederum kümmern sich heute liebevoll um ihre Tante, richteten alle ihre Geburtstage im Heim aus und werden auch heute wieder zu Ehren einer der ältesten Cellerinnen tun, was eben im Rahmen der Corona-Hygienevorschriften möglich ist. „Wenn ich meine Nichten nicht hätte“, schwärmt die 105-Jährige von ihren Angehörigen. Viele Fotos an der Wand zeugen von der Vergangenheit im Osten, aber auch von zahlreichen Ausflügen mit den Geschwistern und ihren Partnern im Rentenalter. Ja, Adelheid Rabe hat nie viel rumgesessen, sondern war lieber aktiv. Sie vermisst Gerichte aus der alten Heimat: Oft denkt sie noch an die niederschlesische Heimat zurück. Doch an was besonders? „Das kann man sich gar nicht vorstellen. Schlesien gibt es nicht mehr.“ Dann fallen ihr aber die Gerichte ein, die man dort auf den Tisch brachte, „die man hier aber gar nicht kennt“. Da gibt es zum Beispiel das Backobst, das man am Tag vorher zubereitet und dann am nächsten Tag mit Bauchfleisch zusammen kocht. Und überhaupt: Sonntags gab es in der alten Heimat immer Klöße! Und viele Soßen vermisst sie hier in der Heide auch. Doch manchmal bringen ihre Nichten solche Leibspeisen vorbei. „Ich bin so froh, dass ich sie noch habe“, sagt sie. Alle möglichen Krankheiten überstanden: Heute fühlt sich älteste Bewohnerin des Johanniterhauses fit und gesund. Das war nicht immer so. Nach der Scharlacherkrankung in den 50er Jahren „hatte ich noch einmal Scharlach im Alter“. Nach den üblichen Kinderkrankheiten machte sie eine „mittelschwere“ Gelbsucht-Erkrankung durch, wie sie sagt. Und dann waren da noch eine Operation an den Mandeln und eine schwere Blinddarmentzündung. Doch sie hat sich immer wieder berappelt und positiv auf das weitere Leben eingelassen. Mit Handarbeiten viel beschäftigt: Beschäftigung fand sie vor allem bei verschiedenen Handarbeiten. „Ich habe viel gehandarbeitet, alles selber gestickt. Ich habe auch Pullover gehäkelt und gestrickt. Und für die kleinen Kinder habe ich Mützchen, Schals und Fausthandschuhe gestrickt.“ Wie man das damals eben so machte, in den Zeiten, in denen es noch nicht alles im Überfluss gab. Bekannte von einst und heute im Heim: Im Johanniterhaus hat Adelheid Rabe viele Menschen kennen gelernt, die wie sie aus Schlesien stammten. „Das hätte ich auch nicht gedacht, dass ich hier so viele aus der alten Heimat wiedertreffe“, sagt sie und lächelt dabei. Doch die Greisin (das darf man wohl zu einer Dame jenseits der 100 sagen) ist keineswegs rückwärtsgewandt. Vielmehr ist sie auch darüber orientiert, wer aus ihrer einstigen Nachbarschaft vom Lauensteinplatz vor Kurzem hier eingezogen ist. „Aber wir kommen ja leider derzeit nicht aus dem Zimmer“, bedauert sie die Reglementierungen, die durch die Covid-19-Pandemie notwendig geworden sind. Das Radio hält sie auf dem Laufenden: Zum Abschied reicht sie ihrem Gast die Hand, schließlich hat sich der vor dem Besuch einem Corona-Schnelltest (im Friseursalon des Heims) unterzogen. Ihre Hand ist kühl. Der Mann vom Sozialdienst streicht ihr liebevoll über die Schulter. Adelheid Rabe bedankt sich mehrfach für den Besuch. Wenig später stellt sie wieder ihr Radio an. Sie hört nicht nur die Musik von NDR 1, „Radio Niedersachsen“, wie sie sagt, sondern auch die Nachrichten: „Dann ist man immer über alles unterrichtet.“ 24. Februar 1916 Geburt in der Kleinstadt Striegau (Niederschlesien) 1943 Heirat mit Kurt Rabe 1950 Sie kommt in Celle an. 1957 Sie erfährt vom Tod des Mannes. 2007 Bruder Heinz stirbt. 2010 Schwester Luise stirbt. 2014 Sie zieht von ihrer Wohnung am Lauensteinplatz innerhalb des Heesegebiets um in das Johanniterhaus.