Post aus JVA : Gefangener aus Celle kritisiert Personalmangel

Säuberlich auf Schreibmaschine getippt, liegen sie auf dem Tisch in der Redaktionskonferenz – zwei Briefe des verurteilten Serienmörders Thomas Rung, der in der JVA Celle einsitzt. Er schreibt von Vorfällen und Umständen im Haftalltag. Doch kann man so einem Mann trauen? Rung berichtet von einem Tuberkulose-Verdacht, zwei Übergriffen von einem Mitgefangenen auf einen anderen und zu wenig Mitgefühl für einen Strafgefangenen in einer Extremsituation, aber auch von Personalnot bei den JVA-Bediensteten und einem extrem hohen Krankenstand. Wer ist Thomas Rung?: Als sechstes von sieben Kindern wurde er 1961 in Berlin geboren, seine Kindheit kann bestenfalls als lieblos betrachtet werden. Schon während seiner Schulzeit wird er kriminell, später wird er als gefährlichster Serienmörder Berlins nach dem Krieg eingestuft. Zwischen 1983 und 1995 brachte Rung sechs Frauen um, sein siebtes Opfer war sein Stiefbruder. Nachdem er in der Justizvollzugsanstalt Tegel zweimal Mithäftlinge misshandelte, wurde er schließlich nach Celle verlegt. Hier sitzt er seine Strafe ab: zweimal lebenslänglich mit anschließender Sicherungsverwahrung. Vorwürfe eines Mörders: Der ehemalige Grünen-Bundestagspolitiker Julius H. Krizsan aus Winsen kennt Rung bereits viele Jahre aus der Winser Gesprächsgruppe für Gefangene. Die Gruppe setzt sich dafür ein, Gefangenen neue Perspektiven zu eröffnen und kommt zu Gesprächsrunden – häufig mit Gästen – in die JVA. Krizsan legt für Rung seine Hand ins Feuer: „Thomas Rung hat sich verändert. Mehrere Jahre hat er sich schon in der Gefangenen-Interessenvertretung engagiert. Er hat in der JVA Celle seinen Hauptschulabschluss und eine Lehre zum Polsterer nachgeholt. Wenn er das schreibt, wird an der Kritik schon etwas dran sein.“ Rung schreibt: „Mit dem Wechsel der Führung haben wir Gefangene den Eindruck, dass die Leitung mit der Aufgabe der JVA Celle völlig überfordert ist.“ Aufgrund der Personalnot sei „nicht einmal mehr der geregelte Tagesablauf gegeben“ und im Wechsel würden Abteilungen im Aufschluss beschnitten. „Es ist ein unerträglicher Zustand und wird immer schlimmer“, heißt es. Bediensteten würden immer mehr Aufgaben übertragen und der Unmut steige stetig. Thomas Papies ist seit Anfang 2016 Leiter der JVA Celle. Eine E-Mail der CZ erreichte ihn nicht, da Papies derzeit im Urlaub ist. Sein Stellvertreter Winfried Geppert verweist Nachfragen an das Justizministerium. Ein Sprecher des Justizministeriums in Hannover widerspricht Rungs Darstellung: „Natürlich gibt es in der JVA Celle einen geregelten Tagesablauf.“ Wegen akuter Erkrankungen seien in den vergangenen Wochen teilweise Freizeitmaßnahmen entfallen. Einzelne Stationen hätten deshalb früher unter Verschluss genommen werden müssen. „Dies ist aber kein besonderes Problem der JVA Celle, sondern kann so auch in anderen Anstalten vorkommen.“ Derzeit belaste eine hohe Fluktuation an Gefangenen und den damit verbundenen administrativen Aufgaben das Personal. Hinzu komme, dass Bedienstete auch erkrankte Gefangenen im Krankenhaus beaufsichtigen müssten. „In Celle war Ende September/Anfang Oktober die personelle Situation durch kurzfristige Krankheitsfälle an zwei Wochenenden angespannt“, so der stellvertretende Pressesprecher des niedersächsischen Justizministeriums, Hans-Christian Rümke, weiter. Deshalb sei der Nachmittagsgottesdienst am Sonntag so wie der Nachteinschluss vorgezogen worden. „Hinweise auf eine Überforderung der Anstaltsleitung ergeben sich nicht. Die Aufgaben werden mit hohem Sachverstand und großem Engagement wahrgenommen.“ Im niedersächsischen Vergleich verfügt die JVA Celle über eine überdurchschnittliche Personalausstattung, jedoch sind die Celler Mitarbeiter im allgemeinen Vollzugsdienst pro Jahr im Schnitt zehn Tage länger krank. TBC-Verdacht bei Untersuchungsgefangenen?: In den Briefen aus der JVA Celle werden vier aktuelle Vorfälle erwähnt: Rung erläutert, dass sich erstens seit kurzer Zeit auf der Abteilung für Untersuchungsgefangene ein Gefangener auf Verdacht mit Tuberkulose befinde, der sich in der Einzelfreistunde nur mit Mundschutz bewegen dürfe. Die Bediensteten der Abteilung begegneten ihm nur im Schutzanzug und Mundschutz. Der Inhaftierte schreibt: „Es befindet sich nicht einmal ein Arzt in der Anstalt, die Visite wurde von dieser Woche (1. Oktober) auf kommende Woche Donnerstag verlegt.“ Der Ministeriumssprecher betont: „In der JVA Celle befindet sich kein Gefangener mit Tuberkulose-Verdacht.“ Gemeint sein könnte ein Neuzugang vom 26. September, bei dem sich ein Hinweis auf eine mögliche TBC-Erkrankung ergeben hätte. Der Gefangene sei noch am gleichen Tag vom Anstaltsarzt untersucht, geröntgt und an den Lungenfacharzt übersandt worden. „Als präventive Vorbeugemaßnahme ordnete der Anstaltsarzt für den Gefangenen bis zur Abklärung der Befunde das Tragen eines Mundschutzes und den Verbleib im Haftraum an“, erläutert Rümke: „Das Tragen von Mundschutz oder Schutzanzug durch Bedienstete war nicht angeordnet und ist auch nicht erfolgt.“ Am 1. Oktober habe der Lungenfacharzt Entwarnung gegeben. Die wöchentliche Arztvisite sei aufgrund des Feiertags entfallen. Arztsprechstunden fänden in der JVA Celle täglich statt, etwa bei laufenden Behandlungen. Werktäglich sei ein Anstaltsarzt anwesend und es bestehe Rufbereitschaft. Mit Weinkrampf in Arrestraum?: Es treffe zu, dass am 30. September ein Gefangener erfahren habe, dass seine Ehefrau verstorben sei, so Rümke zum zweiten Fall. „Noch am gleichen Tag hat der zuständige Psychologe ein Gespräch mit dem Gefangenen geführt, ebenso wurde noch am gleichen Abend der Seelsorger informiert. Auch dieser suchte den Gefangenen zu einem Gespräch auf.“ Weitere Maßnahmen hätten nicht stattgefunden. Allerdings sei am gleichen Tage ein anderer Gefangener in einen besonders gesicherten „Haftraum ohne gefährdende Gegenstände“ verlegt worden. Anlass dafür war, „dass sich der Gefangene Schnittverletzungen am rechten Unterarm zugefügt hatte, deshalb zunächst durch den medizinischen Dienst eine Wundversorgung stattfand und der Gefangene anschließend zum Eigenschutz in den besonders gesicherten Haftraum verbracht worden sei. „Es gibt jedoch keinen Zusammenhang mit dem zuvor genannten Gefangenen, dessen Ehefrau verstorben ist“, so Rümke. Der Gefangene Rung berichtet von einem Weinkrampf des Ehemanns, der einen Bediensteten veranlasst habe, den Betroffenen „in einen der übelsten Arresträume zu schaffen“. Zwei Übergriffe auf Mitgefangenen: Drittens schreibt der Inhaftierte, dass vor Kurzem ein Mitgefangener von einem anderen Mitgefangenen auf seiner Abteilung angegriffen und am Kopf verletzt worden sei: „Und nichts passiert.“ Ministeriums-Mitarbeiter Rümke spricht von einer „Platzwunde, die durch den medizinischen Dienst versorgt wurde“. Zuvor sei es am 27. September während des Freizeitaufschlusses zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Gefangenen gekommen. „Die Gefangenen wurden getrennt, der mutmaßliche Angreifer bis zur Klärung unter Verschluss genommen, ein Disziplinarverfahren eingeleitet sowie in der Folge Strafanzeige erstattet“, so Rümke. Bevor dieser Vorfall geklärt gewesen sei, hätten sich die Beteiligten am 1. Oktober während der Abendkostausgabe erneut attackiert. Rümke weiter: „Nach dem körperlichen Angriff ist gegen den Angreifer die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände angeordnet worden. Bei der Verlegung musste unmittelbarer Zwang angewendet werden.“ Der Anstaltsleiter sei zu diesem Zeitpunkt vor Ort gewesen. Es gebe keine Hinweise darauf, dass der Vorfall von Bediensteten oder dem Anstaltsleiter „belächelt“ worden sei. Der angegriffene Gefangene sei durch den medizinischen Dienst versorgt und zur Abklärung ins Krankenhaus gefahren worden. Es sei eine Prellung im Gesicht diagnostiziert worden und der Gefangene sei in die JVA Celle zurückgekehrt. 2018 zehn Krankentage über dem Durchschnitt: Ministeriumssprecher Rümke räumt ein: „Es trifft zu, dass die JVA Celle im ersten Halbjahr 2019 bei der Anzahl der Krankentage im allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) über dem Landesdurchschnitt liegt. Dieser beträgt 11,5 Krankheitstage. In den Personalbedarfsberechnungen sind 20 Krankentage pro Bedienstetem mit einberechnet, die JVA Celle weist beim AVD für das erste Halbjahr 2019 16,4 Krankentage auf.“ In der Leitung und Verwaltung liegen die Krankentage von Januar bis August ebenfalls bei 16,4 Tagen pro Bediensteten. Der landesweite Durchschnitt beträgt 15,1 Tage. Im Jahr 2018 kamen die Mitarbeiter im allgemeinen Vollzugsdienst landesweit im Durchschnitt auf 22,1 Krankentage im Jahr. Die Bediensteten in der JVA Celle lagen durchschnittlich mit 31,6 Tagen, gut zehn Tage darüber. „Ein wesentlicher Teil der Krankentage entfällt auf langzeiterkrankte Bedienstete“, sagt Rümke. Zu den Ursachen dieser Abweichung der JVA Celle erklärt Rümke: „In der JVA Celle sind zunehmend lebensältere Bedienstete tätig, die in der Regel mehr Krankentage als jüngere Bedienstete haben.“ Der Grund dafür: Nach der Schließung der Abteilung Salinenmoor wurde Personal von dort übernommen. „Deshalb sind für einige Zeit keine jungen und Anwärter eingestellt worden, dies hat das Durchschnittsalter der Bediensteten erhöht. Daraus erklärt sich auch der Anstieg der Krankentage ab dem Jahr 2015.“ Rümke sagt, dass die Anstalt mittlerweile wieder Nachwuchs ausbilde. Beim Deckungsgrad über Landesschnitt: Landesweit kann der Personalbedarf der Anstalten aktuell nicht gänzlich gedeckt werden“, gibt der Ministeriumssprecher zu. „Die JVA Celle verfügt jedoch über eine überdurchschnittliche Personalausstattung.“ Das heißt im Klartext: Aktuell liegt der landesweite Deckungsgrad bei 95 Prozent, bei der JVA Celle beträgt er 99 Prozent. 2015 betrug dieser in Celle nach der Schließung der JVA Salinenmoor noch rund 120 Prozent (landesweit 97 Prozent). Also ist die Personalausstattung der JVA Celle innerhalb von vier Jahren um 20 Prozentpunkte zurückgegangen. Vor dem Aus der JVA Salinenmoor im Jahr 2014 lag der Deckungsgrad der JVA Celle bei 96 Prozent. Aus dem Justizministerium heißt es: „In der JVA Celle ist der anerkannte Personalbedarf zu nahezu 100 Prozent und damit überdurchschnittlich gedeckt. Gegensteuerungsmaßnahmen sind daher derzeit nicht beabsichtigt.“ Anfang Januar 2020 würden sechs Nachwuchskräfte nach Beendigung der Ausbildung sowie zwei weitere Versetzungen aus anderen Anstalten die JVA Celle personell verstärken. „Landesweit zu wenig Beachtung“: Die Personalratsvorsitzende Dorina Vasel gibt sich zurückhaltend. Sie antwortet nur, dass Mitarbeiter der JVA Celle „mit einer hohen Professionalität ihren Beruf ausüben“. Oliver Mageney ist Landesvorsitzender des Verbandes Niedersächsischer Strafvollzugsbediensteter. Er sagt: „Akuter Personalmangel ist nicht nur ein Celler Problem. In ganz Niedersachsen fehlt es an Haftplätzen, Mitarbeitern und Bewerbern im Strafvollzug.“ Der Verband weise immer wieder auf die Personalnot hin. Doch auf die angespannte Lage werde die Öffentlichkeit häufig erst aufmerksam, wenn wieder ein Gefangener einen Brief an die Zeitung schreibe. Von Dagny Siebke und Maren Schulze