Osterloher Wehr wird für Renaturierung der Aller in Celle weggebaggert

Es funktioniert wirklich: Menschen können Wunden, die sie der Natur geschlagen haben, wieder heilen. Fehler können berichtigt und rückgängig gemacht werden. Wie das geht, kann man jetzt am Osterloher Allerwehr sehen, wo Sünden der Vergangenheit weggebaggert werden. Für knapp zwei Millionen Euro wird hier die Staustufe, die seit den 60er Jahren den Fluss für Wasserlebewesen wie ein unüberwindbares Bollwerk blockiert, beseitigt und durch eine naturnahe Aufstiegshilfe ersetzt. Hier können Aal, Meerforelle und Co. künftig wieder so wandern, wie die Gesetze der Biologie es vorschreiben. Ein im wahrsten Sinne "steinstarkes" Projekt. Fluss mit Ausbau der Aller zerstört: Geradlinig, funktionell, ordentlich, pflegeleicht, praktisch – Attribute wie diese wurden in der Wirtschaftswunderzeit auch auf Wasserläufe gemünzt, und so ging es dem bis dahin mäandernden Fluss an den Kragen. Er wurde kanalisiert, zum technischen Bauwerk degradiert. "Mit dem Ausbau der Aller zwischen Celle und Müden in den 60er Jahren wurde durch Eindeichungen, Stauregulierungen, einen überdimensionierten Gewässerquerschnitt, Trapezprofil und Steinschüttungen an den Ufern der Flachlandfluss, wie er seit Jahrhunderten gewachsen war, zerstört", sagt Norbert Rode, Vorsitzender des Fischereivereins Früh Auf Celle: "Eine durchgehend mobile lebensfeindliche Sandsohle ließ eine natürliche Entwicklung nicht mehr zu." Flussschleife "Theewinkel" wird wieder angeschlossen: Die Artenvielfalt im Fluss nahm ab, triste Jahrzehnte gingen ins Land. Doch jetzt sind Bagger und Bulldozer – die Täter von damals – dabei, die einst abgeschnittene Flussschleife "Theewinkel" wieder mit der Fließaller zu verbinden. Hier kommt der Fluss zurück ins alte Bett. Eine Fischaufstiegsanlage in Form eines "Raugerinnes" mit Becken aus quer zum Flusslauf positionierten Steinen soll dafür sorgen, dass Wasserlebewesen wieder mobil sein können und dass gleichzeitig sowohl der Hochwasserschutz sowie die Versorgung der anliegenden landwirtschaftliche Flächen mit Wasser gewährleistet sind. Neue Brücke wird gebaut: Wie das geht, erläuterte jetzt Michael Gruttke vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) im Altenceller Ortsrat, der sich seit Jahren mit dem Thema der Staulegung beschäftigt. Während bisher der Fisch, der die Aller hinaufwolle, am Wehr nicht mehr weiterkomme, könne er in Zukunft "entspannt durch die Kurven hochschwimmen." Und es gehe nicht nur um Fische, so Gruttke. Es gehe ums Ganze: "Zweck der Renaturierung ist die Bewahrung des Naturerbes für künftige Generationen." Der Preis, den der Mensch dafür zahle, sei neben den 1,9 Millionen Euro Baukosten zu verschmerzen. So müssten Kanuten künftig ihre Boote an dieser Umsetzstelle doppelt so weit tragen wie bisher: 250 Meter über eine eigens dafür gebaut neue kleine Brücke. Sportlich ist auch der Zeitplan, den Gruttke und seine Kollegen einhalten wollen: "Die Erdarbeiten sollen bis Ende Mai und das Gesamtvorhaben spätestens bis August abgeschlossen sein." Zurück zum alten "Kies-Fluss": Wer heute über künstliche Steinschüttungen in die Aller steigt, dessen Füße frösteln schnell in einer feinen, schmoddrigen Mulm-Schicht aus feinen Sedimenten aus verrottenden Pflanzenresten. Das war nicht immer so, sagt der Biologe und Fließgewässer-Experte Reinhard Altmüller. Die Aller sei ursprünglich ein "Kies-Fluss" gewesen: "So wie das gesamte Norddeutsche Tiefland ist das Allertal in der vorletzten Eiszeit von Moränenmaterial gebildet worden. Daher enthalten die Böden erhebliche Mengen an Kiesen und Steinen, der Fluss hat sich als Erosionsrinne in den Untergrund eingegraben und sich dabei eine kiesig-steinige Gewässersohle herausgewaschen." Altmüller hofft, dass unter dem Schlamm nun wieder der für Wasserlebewesen so wichtige Kiesboden zum Vorschein kommt, wenn die Aller durch den "Theewinklel" fließt und alten Modder fortspült. Pilotvorhaben für weitere Projekte: Die Staulegung des Wehres in Osterloh sei endlich ein anschauliches Pilotvorhaben für die nächsten Maßnahmen in Oppershausen, Langlingen, Oldau oder auch Hademstorf, sagt Rode: "Das Projekt wird in der Praxis zeigen, dass ökologische Maßnahmen funktionieren und niemand davon einen Nachteil haben wird. Die Staulegungen stellen langfristig einen guten ökologischen Zustand wieder her und haben Potenzial, Lebensräume zu vernetzen." Erinnerungen an Kindertage werden wach: Norbert Rode findet, dass dieser Schritt in die richtige Richtung nicht der letzte bleiben dürfe. Im Gegenteil: "Weitere Anschlüsse von Altarmen, wie in Oppershausen oder Langlingen, sollten bald folgen, um über die dann ehemaligen kiesigen Altarme neue und intakte Lebensräume für Fische, Muscheln und Wirbellose zu erreichen." Rode freut sich auf das, was jetzt kommt: "Viele jüngere Menschen kennen die eigentliche Aller ja gar nicht mehr – im neuen Allerstück können sie die urtümliche Aller erleben mit kiesigem Untergrund, scharfen Kurven mit flachen Innen- und tiefen Außenrändern sowie mit Uferbewuchs aus Erlen, Weiden und Eschen." Kieslaicher wie Neunauge, Barbe, Gründling, Rapfen, Aalquappe und Döbel würden den ehemaligen Altarm verstärkt besiedeln und von hier aus ihren Bestand erhalten. Artenschutz sei Lebensqualität. Rode: "Ich freue mich darauf, dass in diesem Teilstück von 1500 Metern die Aller meiner Kindheit wieder entsteht: mit Sträuchern bewachsen, fischreich, natürlich."