Niedersächsischer Weg: Aufbruch in die Artenschutz-Zukunft

Die Umweltverbände in Niedersachsen wollen das laufende Volksbegehren für mehr Artenschutz stoppen. Nicht etwa, weil es aussichtslos erscheint, sondern weil sich abzeichnet, dass die Politik lieber handelt, bevor ihr durch das Plebiszit das Heft aus der Hand genommen wird. Im Ringen um mehr Naturschutz und eine zukunftsfähige Landwirtschaft haben Umweltschützer und Landesregierung einen Durchbruch erzielt. Zur Umsetzung des sogenannten Niedersächsischen Wegs, der Landwirte zu mehr Umweltschutz verpflichtet, sollten geänderte Umweltgesetze noch im November vom Landtag beschlossen werden, hat Umweltminister Olaf Lies (SPD) angekündigt: „Der Niedersächsische Weg ist ein Aufbruchssignal. Eine politische Zeitenwende und Zäsur zugleich.“ Ziel ist es, dem dramatische Artensterben in der Kulturlandschaft zu begegnen. Einer der Gründe für das Insektensterben ist der Verlust von Nahrung und Lebensräumen. Mit dem Niedersächsischen Weg soll gegengesteuert werden. Das wird getan: Dazu gehören unter anderem: Breitere Gewässerrandstreifen: Uferbereiche von Gräben und Flüssen nicht düngen oder mit Chemie spritzen. Die Macher des Volksbegehrens wollten eine fünf Meter breite Tabuzone, als Kompromiss einigte man sich auf drei Meter. Reduktion chemischer Pflanzenschutz: Neue Spritztechnik einsetzen. Biotopverbund auf 15 Prozent der Landesfläche: ein grünes Netz für wildes Leben. Vielfalt: Mehr Landschaftselemente wie Hecken, Baumreihen, Alleen. Vertragsnaturschutz: Raum für Wiesenvögel, Insektenschutz, Lerchenfenster. Mehr ökologische Beratung für Landwirte. Aktionsprogramm Insektenvielfalt bis Ende 2020. Biodiversität in den Wäldern der Landesforsten: Mehr Bäume, die über 100 Jahre alt werden; bei der Holzentnahme auf Säugetieren und Vögel achten. Neuer „Urwald“: Im Solling entsteht ist 2028 ein 1000 Hektar großes Wildnisgebiet. Mehr Bio auf dem Acker: Bis 2025 soll der Anteil des Ökolandbaus auf zehn Prozent wachsen, auf 15 Prozent bis 2030. Geld für Bauern: Naturschutz-Leistungen von Landwirten sollen honoriert werden. Im Haushaltsplanentwurf 2021 sind 120 Millionen Euro für die Umsetzung des Niedersächsischen Wegs eingeplant. "Regierung auf die Finger schauen": Der Müdener Imkermeister Klaus Ahrens, der zugleich Vizevorsitzender des Deutschen Berufsimkerbundes ist, kann als einer der Mitinitiatoren des Bürgerbegehrens mit der Einigung leben: „Es wird mehr Ökolandbau geben, mehr Biotopverbünde und mehr Schutz unserer Gewässer vor Einträgen aus der Landwirtschaft. Auch bei der dringend erforderlichen Reduzierung der Pestizide wurden Fortschritte erzielt – auch wenn ich mir aus Imkersicht mehr erhofft hatte. Wichtig ist: Wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen. Das Insekten- und Artensterben ist nach wie vor dramatisch und nicht mit dem heutigen Tag beendet.“ Dennoch sei – auf Druck des Volksbegehrens – ein erster Schritt in die richtige Richtung getan, so Ahrens: „Jetzt kommt es darauf an, dass auch die Förderprogramme und Verordnungen im Sinne des Naturschutzes umgesetzt werden. Wir werden der Regierung sehr genau auf die Finger schauen, damit die finanziellen Zusagen eingehalten und wirksame Programme zum Beispiel für den Wiesenvogel- und Insektenschutz tatsächlich umgesetzt werden.“ Jetzt Gesetz beschließen: Olaf Lies, der zugleich auch Schirmherr der CZ-Artenschutzaktion „Celle blüht auf“ ist, sagt, dass zwar alle Partner Zugeständnisse gemacht hätten – „aber es hat sich gelohnt: Diese Einigung ist historisch einmalig und alle finden sich darin wieder. Natur- und Artenschutz hat in Niedersachsen einen in seiner bisherigen Geschichte nie gekannten Stellenwert.“ Jetzt müsse der Landtag das Niedersächsische Weg-Gesetz beschließen. Ahrens hofft indes, dass sich dort nach der Landtagswahl die Kräfteverhältnisse verschieben: „Sollten die Grünen an der nächsten Landesregierung beteiligt sein, könnte man so manches nachsteuern, was sich jetzt noch nicht umsetzen ließ.“ Dieser Name sollte Programm sein: Der "Niedersächsische Weg" darf nicht als endlich erreichter Finalzustand missverstanden und abgehakt werden. Er ist vielmehr ein erster großer Schritt in Sachen Artenschutz, dem noch viele weitere folgen müssen. Jetzt geht es erst los. Gut daran ist, dass viele das bisher Erreichte als Erfolg verbuchen können und sich deshalb mit positiv behaftetem Gepäck auf die Reise machen: Die Initiatoren des Artenschutz-Volksbegehrens haben mit der Bevölkerung so viel Druck aufgebaut, dass sie mit dem Resultat das bayerische Vorbild noch übertreffen: Respekt. Die Politik hat die Zeichen der Zeit erkannt und die Kurve gekriegt: So wird's gemacht. Die Landwirtschaft ist vielleicht nicht glücklich, aber doch mit im Boot: Anders geht es nicht. Und die Natur dürfte davon profitieren: Mehr davon. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass Akteure mit ganz unterschiedlichen Ausgangspositionen nicht nur zusammenkommen, sondern gemeinsame Kompromisse erarbeiten und sich auf den Weg Richtung Zukunft machen können. Ein fixes Ziel gibt es dabei nicht. In Niedersachsen ist der Weg das Ziel. Michael Ende