Katharina Trittel deckt Neonazi-Vergangenheit eines Celler OLG-Richters auf

Die Historikerin Katharina Trittel hat den Nachlass des Neonazis Hans Michael Fiedler erforscht. Dabei stieß sie auf einen Schüler und engen Mitarbeiter, der heute Familienrichter am Oberlandesgericht Celle ist. Wie konnte es dazu kommen? Jutta Rinas befragte die Historikerin. Frau Trittel, Sie haben mit drei weiteren Wissenschaftlern eine Studie über das Leben des niedersächsischen Neonazis Hans-Michael Fiedler verfasst. Warum spielt ein heutiger Familienrichter am Oberlandesgericht Celle darin überhaupt eine Rolle? Man kann Fiedler als eine Art Mentor des Richters in seiner Zeit als Schüler und Student bezeichnen. Beide waren in denselben politischen Gruppen aktiv. Der heutige Richter gründete noch als Schüler am Max-Planck-Gymnasium in Göttingen mit Unterstützung von Fiedler den Unabhängigen Schüler-Bund (USB), war im Vorstand der Hochschulgruppe Pommern, der auch Fiedler führend angehörte, später im Studentenbund Schlesien (SBS), dem Kernstück von Fiedlers Netzwerk rechter Organisationen. Der junge Mann war für uns ein prototypischer Kader im Sinne der „nationalen Jugendbildungsarbeit“, die Fiedler zeitlebens betrieben hat. Es lässt sich an ihm exemplarisch veranschaulichen, wie Fiedlers bildungspolitische Arbeit funktioniert hat. Wie funktionierte sie in seinem Fall? Ein wesentlicher Bestandteil war die sogenannte „Göttinger Runde“, eine von Fiedler ins Leben gerufene Seminarreihe, die als eine der konstantesten Institutionen des rechtsradikalen Lagers in Niedersachsen bezeichnet werden kann. An dieser hat der heutige Richter in Jugendtagen regelmäßig teilgenommen, sie später mitorganisiert und eigene Vorträge gehalten. Fiedler hat zunächst in Göttingen an der Hochschule gewirkt, wo er gezielt Strukturen der Vertriebenenverbände unterwandert hat. Dann veränderte er den Adressatenkreis und dehnte ihn bereits Anfang der Siebzigerjahre auf Schüler aus. So kam er auch mit dem heutigen Richter in Kontakt. Wie lange war dieser als eine Art rechte Hand für ihn tätig? Der heutige Familienrichter war als junger Mann 15 Jahre sehr eng in das Fiedlersche Netzwerk eingebunden. Zwischen beiden bestand auch eine sehr enge persönliche Beziehung. Als der Richter 17 Jahre alt war, hat Fiedler ihn schon als „stärkste und profilierteste Kraft im Lager der jungen Rechten“ bezeichnet. Wie sind Sie auf seine Rolle im Netzwerk Fiedlers aufmerksam geworden? Über die Aktenrecherche. Die Grundlage unserer Studie ist der Teilnachlass von Hans-Michael Fiedler, der innerhalb des Projektes FoDEx (Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen) verwaltet wird. Dort taucht der Name des heutigen Richters immer wieder auf. War Ihnen sofort klar, dass der junge Helfer Fiedlers heute Richter am Oberlandesgericht Celle ist? Nein. Man kann über das heutige Leben des Richters sehr wenig recherchieren. Aber es gibt viele selbst verfasste Publikationen: von der Schülerzeitung „Information“ liegen uns einige Ausgaben vor. Er hat den „Deutschen Hochschulanzeiger“ mit Fiedler 1978 gegründet und dort veröffentlicht, genau wie in der rechtsradikalen Zeitschrift „Nation Europa“. Auch da liegen uns mehrere Texte vor, sodass wir den roten Faden immer weiter verfolgen konnten. Welche inhaltlichen Positionen vertrat der Richter damals? Die damalige Selbstbeschreibung seines „Unabhängigen Schülerbundes“ (USB) ist „reichsnationalistisch“, „anti-marxistisch“, „revisionistisch“. Die Gruppen, denen Fiedler und er angehörten, forderten eine Wiedervereinigung des Gesamtdeutschen Reiches, eine Revision der Oder-Neiße-Linie, ein typischer Topos der damaligen Rechten, der allerdings auch im bürgerlichen Lager viele Anhänger hatte. Sie haben versucht, junge Menschen im nationalkonservativen Sinn zu mobilisieren, weil sie eine geistige Tendenzwende im rechten Sinne erreichen wollten. Man kann sie als Teil der rechten außerparlamentarischen Opposition der Siebzigerjahre bezeichnen. Was für eine Strategie verfolgten die beiden? Beide wollten schwerpunktmäßig nicht über Parteien oder Parlamente Einfluss zu nehmen, sondern im vorpolitischen Raum wirken. Die Gruppen, in denen sie führend aktiv waren, hatten enge Verbindungen zur NPD, zu den Jungen Nationaldemokraten (JN), also der Jugendorganisation der NPD, auch zur Freiheitlich-Deutschen Arbeiterpartei (FAP). Das sind alles rechtsradikale Gruppierungen. Teilweise gab es auch Kontakte zu gewaltbereiten Akteuren aus der rechten Szene. Bei den „Göttinger Runden“ traten nachweislich Holocaustleugner als Referenten auf. Können Sie ein Beispiel für einen eindeutig rechtsextremen Hintergrund des jungen Helfershelfers Fiedlers in Texten oder Vorträgen geben? Ich würde seine damaligen Positionen als deutsch-national und revisionistisch einordnen. In einem Text aus der Zeitschrift „Nation Europa“ fordert er beispielsweise, „die rechte Grundstimmung unter den Schülern weiter anzufachen“. Der Gegner war ganz klar die politische Linke und jeglicher Liberalismus; das Ziel, die ehemaligen deutschen Ostgebiete in ein „Großdeutsches Reich“ zurückzuführen. Das ist eine typische geschichtsrevisionistische Position. Der Unabhängige Schüler-Bund ist von antifaschistischen Beobachtern, teilweise aber auch in Stellungnahmen der Bundesregierung als rechtsextrem bezeichnet worden. Der Mitarbeiter Fiedlers und heutige Richter selber war nach unserem Kenntnisstand parteilos. Ein anderer damaliger Akteur, Christian Moderegger, spielt 2008 in einem Zeitungsartikel die Bedeutung der Gruppierungen, in denen auch der Richter in Jugendtagen maßgeblich unterwegs war, herunter. Er spricht beispielsweise im Zusammenhang mit der von Experten als rechtsradikal eingeschätzten Göttinger Schülerzeitung „Der Komet“ von einem „Haufen harmloser Idioten“, die lediglich einen Kontrapunkt zur linken Szene setzen wollten. Wie sehen Sie das? Zunächst einmal ist das eine typische Verteidigungsstrategie, frühere Aktivitäten später als eine Art Dumme-Jungen-Streich herunterzuspielen. Für Göttingen lässt sich sagen, dass der USB Mitte der Siebzigerjahre eine bundesweite Aktivität entfaltet hat. Für einige Jahre haben sie in Göttingen erfolgreich mobilisiert. Insgesamt ist die Schlagkraft solcher Schülerzeitungen schwer einzuschätzen. Die dazugehörigen Gruppierungen sind Orte der Vernetzung. Dort treffen sich Gleichgesinnte, hören Vorträge von einschlägigen Szenegrößen. Immer wieder machten Menschen aus diesen Gruppierungen in der rechtsradikalen Szene Karriere. Das beste Beispiel ist Holger Apfel, der später in der NPD groß herauskam. Er war auch Teil der „Göttinger Runden“ und des Studentenbundes Schlesien (SBS). Das Beschreiben der politischen Aktivitäten des Mitarbeiters Fiedlers in Ihrer Studie reißt irgendwann ab. Warum? Er taucht bei uns das letzte Mal 1988 in den Akten auf. Da bezeichnet ihn Fiedler als seinen Hausjuristen und lässt sich rechtlich von ihm beraten. Der heutige Richter war 1988 zudem Kassenprüfer im „Kreis der Freunde pommerscher Studierender“, einer Art Förderkreis, der die Gruppen um Fiedler finanziert hat. Dem Förderkreis gehörte zeitgleich mit ihm auch der Neonazi Karl Polacek an. Polacek war Landesvorsitzender der rechtsradikalen Freiheitlich-Deutschen Arbeiterpartei (FAP) in Niedersachsen. Polacek nahm überdies in seinem Schulungszentrum in Mackenrode Neonazis auf, die in der Silvesternacht 1990 in Göttingen den Jugendlichen Alexander Selchow umgebracht haben. Polacek war Österreicher und wurde daraufhin ausgewiesen. Über den Freundeskreis bestand also damals ein Kontakt des Richters zu einem neonazistischen Gewalttäter. Dass der heutige Richter nach 1988 nicht mehr auftaucht, könnte allerdings auch ein Hinweis sein, dass er sich ab dann von Fiedler distanziert hat – aber das ist spekulativ, wir wissen es schlicht nicht. Es finden sich kaum biografische Informationen über den Richter in der Studie. Warum? Wir haben aufgenommen, was die Akten hergaben. Wir wissen sein Geburtsjahr – Ende der 1950er Jahre – aus einer Autorenbeschreibung aus der Zeitschrift „Nation Europa“. Mit 15 traf er vermutlich Fiedler, mit 16, das ist wirklich früh, schrieb er zum ersten Mal in „Nation Europa“ und begann sich in Fiedlers Netzwerk zu engagieren. Ende der 1970er-Jahre hat er angefangen in Göttingen zu studieren. Mehr biografische Daten haben wir nicht. Haben Sie versucht, zu recherchieren, wo der Familienrichter sich heute engagiert? Unser Fokus ist Fiedler. Der Zeitraum der Studie endet in den Neunzigerjahren. Natürlich haben wir recherchiert, was die in den Akten genannten Personen machen oder ob sie noch mit den entsprechenden Kreisen verkehren. Für den Familienrichter haben wir nichts Entsprechendes gefunden. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie der Richter trotz seiner Vorgeschichte in den Staatsdienst übernommen werden konnte? Er war parteilos und möglicherweise auch nicht aktenkundig. Die Tatsache, dass der „Unabhängige Schülerbund“, in dem er führend aktiv war, im Verfassungsschutzbericht vorkommt, bedeutet nicht automatisch, dass die Protagonisten auch vom Verfassungsschutz beobachtet wurden. Fiedler wurde beobachtet, das wissen wir. Er taucht auch namentlich im Verfassungsschutzbericht auf. Es gibt Quellen, die behaupten, auch der Familienrichter sei damals im Verfassungsschutzbericht genannt worden. Aber wir konnten diese Behauptungen nicht verifizieren; in den Ausgaben, die wir eingesehen haben, ist er nicht zu finden. Dr. Katharina Trittel, geboren 1984, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Rechtsradikalismus in der Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen (FoDEx) am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Das wiederum hat schon in der Vergangenheit immer wieder für Aufsehen gesorgt. So arbeiteten Demokratieforscher um den Göttinger Parteienforscher Franz Walter die Rolle der Grünen, später auch der FDP, im Umgang mit Pädosexualität auf. Die Göttinger Historikerin Teresa Nentwig deckte die Nazi-Verbrechen des ersten Ministerpräsidenten Niedersachsens, Hinrich Wilhelm Kopf auf und trug maßgeblich zur Aufarbeitung der Aktivitäten des hannoverschen Sozialpädagogikprofessors Helmut Kentler bei, der Kinder und Jugendliche von Jugendämtern an Pädosexuelle vermitteln ließ. Katharina Trittels Forschungsschwerpunkte sind die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts und Rechtsradikalismus. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift Demokratie-Dialog.