Interview mit Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies zum Artensterben

Es gibt Zeiten, in denen scheinen alle „Sturm zu laufen“ – wie aktuell Umweltschützer gegen, wie sie meinen, schleppende Anstrengungen der Politik für mehr Natur- und Artenschutz und Landwirte, die gegen neue Auflagen für mehr Natur- und Artenschutz protestieren. Im Interview mit Michael Ende und Maren Schulze erläutert Niedersachsens Umweltminister und „Celle blüht auf“-Schirmherr Olaf Lies, wie er zwischen Treckerdemos und Umweltschützer-Protesten die politischen Weichen für mehr Artenschutz stellen will. Nabu, BUND und andere Verbände planen ein Volksbegehren Artenvielfalt in Niedersachsen. Die Erfolgsaussichten eines solchen Volksbegehrens dürften vielversprechend sein. Inwieweit haben Sie bereits an Gesprächen dazu teilgenommen? Gemeinsam mit dem Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium stehen wir mit den Umwelt- und Naturschutzverbänden, dem Landvolk sowie der Landwirtschaftskammer in regem Austausch, um einen gemeinsamen Weg zu finden. Wir arbeiten alle ganz intensiv an einem Maßnahmenpaket zum Arten-, Natur- und Gewässerschutz. So möchten wir den Schutz der Natur und der Biodiversität langfristig und verlässlich in den Fokus nehmen. Sie sind als gewählter Volksvertreter Teil des Gesetzgebungsprozesses. Begrüßen Sie ein solches Volksbegehren oder würden Sie die Gesetzgebung in diesem Bereich lieber der Politik überlassen? Das Ziel des Volksbegehrens ist natürlich absolut nachvollziehbar und ein Verfahren ist ein demokratisches Instrument. Aber ich sehe es in dieser Situation kritisch; es würde sich vermutlich über Jahre hinziehen und uns quasi zum politischen Nichtstun zwingen. Einen solchen Stillstand kann niemand beim Natur- und Artenschutz wirklich wollen. Darum arbeiten wir an einem Niedersächsischen Weg – gemeinsam mit den Beteiligten. Glauben Sie, wie es beispielsweise Landwirte kritisieren, dass ein solches erfolgreiches Volksbegehren unabsehbare Kosten mit sich bringen wird? Ich bin mir sicher, dass wir ein Volksbegehren gar nicht brauchen. Wir führen seit Monaten intensive Gespräche mit Umweltschützern, Landvolk, Landwirtschaftskammer und auch dem Landwirtschaftsministerium, viele konkrete Ergebnisse liegen schon auf dem Tisch. Unterm Strich sehe ich eine umfassende Vereinbarung zu Arten-, Natur- und Gewässerschutz in greifbarer Nähe. Ja, Naturschutz und der Erhalt der biologischen Vielfalt sind in der Vergangenheit oftmals zu kurz gekommen. Darum ist enorm wichtig, sie stärker zu schützen und zu erhalten. Dafür müssen wir dann auch konsequent und langfristig die entsprechenden finanziellen Mittel bereitstellen. Und natürlich ist auch klar: Unser großes Ziel erreichen wir nicht durch zwei oder drei Förderprogramme. So oder so sprechen wir von Investitionen in unsere Lebensgrundlage und die der kommenden Generationen. Wenn zum Beispiel Landwirte Aufgaben für Natur- und Artenschutz übernehmen, dann müssen sie auch dafür bezahlt werden. Das gilt für Bewirtschaftungsformen, nicht bewirtschaftete Randstreifen oder andere spezifische Maßnahmen wie für den Insektenschutz. Alles in allem reden wir über Maßnahmen, die mehr als 60 Millionen Euro pro Jahr an zusätzlichen Finanzmitteln erfordern. In den nächsten Monaten wollen Sie Ihr „Aktionsprogramm Insektenvielfalt Niedersachsen“ vorstellen. Würden die darin geplanten Maßnahmen ein Volksbegehren überflüssig machen? Wo soll in dem Aktionsprogramm der Hebel angesetzt werden, um mehr Naturschutz zu erreichen? Zwischen den Forderungen des Volksbegehrens und den geplanten Maßnahmen im niedersächsischen Aktionsprogramm Insektenvielfalt gibt es tatsächlich eine größere Schnittmenge. Für das Aktionsprogramm loten wir derzeit mit allen Landesministerien aus, welche Maßnahmen sinnvoll und machbar sind, um mehr Insektenschutz in Niedersachsen zu erreichen. Dabei haben wir vor allem die landeseigenen Institutionen und die Kommunen im Blick. Wir wollen uns selbst mit einer gemeinsamen Anstrengung zu mehr Insektenschutz verpflichten und zugleich dafür werben, dass andere es uns gleichtun. Wir haben als Land nicht nur vielfältige Möglichkeiten, sondern möchten unbedingt auch Vorbild sein für andere. Und beim Vorbild haben wir gerade auf der kommunalen Seite ein wunderbares Beispiel: Das Projekt „Celle blüht auf“ ist inzwischen an vielen Stellen des Landes zum Vorbild geworden und wird vergleichbar angegangen. Gibt es bereits einen konkreten Termin? Und geht das im regulären Planungs- und Gesetzgebungsverfahren schnell genug? Aktuell wird der Entwurf mit den beteiligten Ressorts abgestimmt. Ziel ist es, das Programm auf jeden Fall noch im Herbst fertigzustellen. Stichwort Schottergärten: Im Mai vergangenen Jahres haben Sie zusammen mit anderen Umweltministern eine Kampagne für insektenfreundliche Gärten gefordert. Was hat sich da getan? Ja, das war Thema bei der letztjährigen Umweltministerkonferenz. In dem Beschluss wurde auch festgehalten, dass der Bund beim nächsten geplanten Treffen im Mai über den Stand der Dinge berichtet. In seinem Aktionsprogramm Insektenschutz, das der Bund im September vergangenen Jahres veröffentlicht hat, ist das Thema zumindest insofern eingeflossen, als dass alle gesellschaftlichen Gruppen – auch einzelne Bürgerinnen und Bürger – dazu angeregt werden sollen, sich für mehr Insektenschutz zu engagieren. Schottergärten sind bereits jetzt nicht erlaubt, scheinen sich aber dennoch immer mehr auszubreiten. In Celle wurden jetzt noch weitere Auflagen zu diesem Thema im Rahmen eines Baugebietes gemacht und bereits verbotener sinnloser Schotter nochmals verboten. Wie sinnvoll ist diese doppelte Verbotsstrategie? Was würden Sie den Kommunen raten, um geltendes Recht auch ohne Extra-Regeln durchzusetzen? Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Anwohnerinnen und Anwohner oftmals gar nicht wissen, dass Schottergärten verboten sind. Daher setzen wir nach wie vor und ganz besonders auf Information und Aufklärung. Im Zuge der vielfältigen Aktivitäten zum Insektenschutz sind wildere Gärten schon wieder häufiger zu sehen. Ich hoffe sehr, dass Bürgerinnen und Bürger ihren Garten in diesem Jahr insektenfreundlicher gestalten. Ich werde oft gefragt, ob man es nicht verbieten müsste. Da bin ich sehr skeptisch. Es muss doch möglich sein, die Menschen im Land von der Notwendigkeit zu überzeugen. Und wer hinsieht dem fällt auch auf: Die naturnahen Gärten sind viel schöner als der Schotter. Was glauben Sie, muss sich im Bereich der Agrarsubventionen ändern? Die Europäische Union muss ihre Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) überdenken und neue Anreize für eine veränderte Wirtschaftsweise schaffen. Viele bäuerliche Betriebe widmen sich gezielt dem Tierschutz, dem Wasser- und Bodenschutz, dem Naturschutz, der Biologischen Vielfalt und dem Klimaschutz und würden noch deutlich mehr tun, wenn ihr Engagement belohnt würde. Wir möchten diese Betriebe stärken. Dazu müssen wir weg von der flächenbezogenen Subventionierung. Das käme dem Erhalt bäuerlicher Strukturen und dem Ressourcenschutz gleichermaßen zugute und würde eine echte Europäische Agrarwende einläuten. Die Verhandlungen über eine Neuausrichtung der EU-Förderprogramme laufen derzeit auf Hochtouren. Klar muss sein; wenn wir öffentliche Leistungen von den Landwirten erwarten, dann müssen sie auch mit öffentlichem Geld dafür bezahlt werden. Im „Klimareport Niedersachsen“ wird ein prekäres Bild der Zukunft gezeichnet: Steigende Temperaturen, mehr Extremwetterlagen und höherer Beregnungsbedarf. Die Zukunftsszenarien unterscheiden bei ihren Vorhersagen zwischen einem „Klimaschutz-Szenario“ und einem „Weiter-wie-bisher-Szenario“. Wie weit ist das Landesklimagesetz? Was soll damit erreicht werden? Wir haben den Klimareport Niedersachsen vor zwei Jahren in Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD) herausgegeben. Die Zukunftsprojektionen des DWD, die dafür verwendet wurden, könnten Sie eher als konservativ bezeichnen. Sollte hier ein „prekäres Bild“ entstehen, liegt das an der in der Tat „prekären Situation“, in die wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten durch den Klimawandel geraten werden. Die globalen Daten werden in Zukunft im Klimakompetenzzentrum so runtergebrochen, dass lokalere Auswirkungen dargestellt werden und auch die entsprechenden Maßnahmen gezielt entwickelt werden können. Die beiden Szenarien „Klimaschutz“ und „Weiter-wie-bisher“ sind Treibhausgasszenarien, die sich aus den globalen Treibhausgas-Emissionen ableiten lassen. Ein Landesklimagesetz kann hier zwar nur einen kleinen Teil zur Reduzierung dieser globalen Emissionen leisten, er ist aber trotzdem unentbehrlich. Daher werden im Niedersächsischen Landtag derzeit mehrere Gesetzentwürfe im Kontext eines Landesklimagesetzes beraten. Der weitere Gang der Dinge liegt insofern in der Hand des Parlamentes. Klar ist aber: Wir alle wissen sehr genau um die erkennbare, zunehmende Erderwärmung und die Folgen und müssen jetzt Verantwortung übernehmen – vor allem für unsere Kinder und Kindeskinder. Wie geht es 2020 weiter mit "Celle blüht auf"? Die Sonne scheint, die Bienen summen – und die Gartenarbeit steht an. Klar, dass die Cellesche Zeitung in diesen Tagen Anfragen erreichen, wie es weitergeht mit dem Projekt „Celle blüht auf“. Auch hier ist das Feld, sprich die Saat, bestellt, doch wie und wann wir diese an die Gärtner und Naturschützer in Stadt und Kreis Celle bringen können, wissen wir unter den besonderen Umständen derzeit noch nicht. Klar ist: Wir geben nicht auf – und informieren, sobald wir die Lage besser einschätzen können. Neues Magazin erscheint am 2. Mai: Das „Celle blüht auf“-Jahr 2019 war zwar trocken, dennoch aber toll. Etliche, die mitgemacht haben und sich für unsere Natur und unsere Zukunft einsetzen, viele Menschen, die einen Obstbaum gepflanzt und die Saat in die Erde gebracht haben. Passend dazu erscheint am 2. Mai das neue Magazin zu „Celle blüht auf“. Auf 146 Seiten sind beeindruckende Naturfotos zu sehen, denn ein Schwerpunkt im neuen Heft ist die heimische Natur im Jahreslauf. Aber auch Natur und Gesundheit spielen eine wichtige Rolle.