Gendern: Stadt Celle macht keine Vorgaben

Jemand möchte eine Nachricht an seine Kollegen schreiben. Welche Anrede wird er benutzen? „Liebe Kolleginnen und Kollegen“, „Liebe Kolleg*innen“, „Liebe Mitarbeitende“ oder einfach „Hallo zusammen“? Es soll sich schließlich niemand ausgeschlossen fühlen. In den vergangenen Jahren sind immer wieder Diskussionen über geschlechtergerechtes Schreiben und Sprechen aufgekommen. Das sogenannte „Gendern“ ist nach wie vor ein Reizthema. Generisches Maskulinum bevorzugt: Vor Kurzem hat der Schriftstellerverband PEN-Zentrum Deutschland eine interne Umfrage durchgeführt. Es ging darum, welche Form der geschlechtergerechten Schreibung die Mitglieder bevorzugen. Eine Mehrzahl – sowohl unter den männlichen als auch den weiblichen Teilnehmern – plädierte für das Beibehalten des „generischen Maskulinums“, also der männlichen Standard-Form. Die gesamte grammatische Struktur des Deutschen basiere auf dem generischen Maskulinum, lautete die Argumentation. Deshalb sei eine Änderung oder Abschaffung des Bisherigen unnötig. Oskar Ansull: Gendern ist Generationsfrage: Der Schriftsteller Oskar Ansull ist in Celle aufgewachsen, lebt mittlerweile aber in Berlin. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. „Ich habe gar nicht abgestimmt“, sagt Ansull. „Zu einigen Fragen konnte ich keine klare Stellung beziehen. Nur so viel: Ich tendiere ebenso zum generischen Maskulinum wie die Mehrzahl meiner Kollegen. Ich glaube, hier klaffen vor allem die Ansichten der älteren und der jüngeren Generation auseinander.“ Beim Schreiben versuche er stets, die weibliche Form einzusetzen, wenn es denn eine gibt. Aufmerksam sein und niemanden verletzen: Dennoch hält Ansull es für wichtig, dass über dieses Thema weiterhin diskutiert wird, gerade Autoren trügen hier eine besondere Verantwortung: „Wir gehen mit der Sprache sehr viel sensibler um als der Durchschnitt der Leute.“ Er könne nachvollziehen, dass einige Menschen sich nicht in der binären Geschlechtervorgabe von Mann und Frau wiederfinden und dass eben diese Menschen von Veränderungen in der Sprache profitieren könnten. „Es kommt einfach darauf an, aufmerksam zu sein und niemanden zu verletzen“, meint Ansull. Hannover benutzt geschlechtergerechte Sprache: Die Stadt Hannover empfiehlt ihrer Verwaltung bereits, eine geschlechtergerechte Sprache zu benutzen. So soll beispielsweise „Studierende“ statt „Studentinnen und Studenten“ verwendet werden. Wo neutrale Formulierungen nicht möglich sind, wird das Gender-Sternchen eingesetzt. Dieses solle der Vielzahl geschlechtlicher Identitäten Rechnung tragen und entspreche der Gesetzgebung, nach der seit dem 1. Januar 2019 das dritte Geschlecht im Personenstandsregister geführt wird, heißt es von Seiten der Stadt. Stadt Celle verzichtet zurzeit auf Regeln zum Gendern: Celle hingegen verzichtet bisher auf solche Vorgaben: „Derzeit wird in der Stadtverwaltung nicht über ein Regelwerk zur gendergerechten Sprache diskutiert“, sagt Oberbürgermeister Jörg Nigge. „Wir setzen darauf, dass unsere Mitarbeiter ohnehin die nötige Umsicht walten lassen. Zumal viele von denen, die eine solche Sprachregelung im Grunde beträfe, selbst auf eine Differenzierung verzichten. Im Gegenteil, oftmals wird das ‚Gendern mit der Brechstange‘ geradezu als albern empfunden. Was das Gender-Sternchen anbetrifft, so hat aktuell auch der Rat für deutsche Rechtschreibung entschieden, dieses nicht in sein Regelwerk aufzunehmen. Dabei geht es um Lesbarkeit und Verständlichkeit, die durch ein Nebeneinander zu vieler unterschiedlicher Schreibweisen leiden könnten.“ Susanne McDowell, Stadträtin für Soziales und Kultur in Celle: Doppelnennung oder Schrägstrich: Die Celler gehen sehr unterschiedlich mit dem Thema um. „Das generische Maskulinum empfinde ich als stichhaltiges und nachvollziehbares Prinzip“, sagt Susanne McDowell, Stadträtin für Soziales und Kultur in Celle. „Ich verwende Doppelnennung oder Schrägstrich, kein Gender-Sternchen. Das Partizip zu verwenden (‚die Studierenden‘) ergibt Sinn, man riskiert aber grammatische Purzelbäume.“ Liliane Steinke von der VHS Celle: Gendern bedeutet achtsam sein: Die Mitarbeiter der Volkshochschule Celle sprechen Adressaten, wo es geht, mit Vor- und Zunamen an. Wenn möglich, wird das Gender-Sternchen benutzt. „Mehrzahlbildungen sind nicht automatisch im Maskulinum“, betont VHS-Geschäftsführerin Liliane Steinke. „Die deutsche Sprache bietet Möglichkeiten, das, was jemand meint, auch so auszudrücken. Das Nutzen des Gender-Sternchens ist eine Frage der Achtsamkeit. Es sind immer Subjekte hinter den Worten.“ Bei der Kommunikation seien ein bewusster Sprachgebrauch und ein leichter Lese-Schreib-Verlauf die Ziele der VHS Celle. Andreas Döring vom Schlosstheater Celle: Sprache ist gesellschaftspolitisch: Andreas Döring, Intendant des Schlosstheaters, verwendet die klassische Anrede „Damen und Herren“, wenn er eine Gruppe von Leuten anschreibt, die er nicht oder kaum kennt. Dennoch sagt er: „Ich persönlich finde es wichtig, jede Form von Ausgrenzung zu erkennen, zu vermeiden, zu verhindern und sich mit durch Ausgrenzung betroffenen Menschen zu solidarisieren. Deshalb ist Sprache auch immer ein gesellschaftspolitisches Thema. Hier eine Sensibilisierung zu erreichen, finde ich richtig.“ CZ-Umfrage: Was denken Sie über das "Gendern"? Carl Hapke aus Celle: „Wenn es Leuten hilft, warum nicht? Dann soll man es einfach machen. Mich persönlich betrifft es aber nicht und ich finde das ganze Gerede darüber sehr anstrengend. Wir haben wirklich wichtigere Probleme.“ Savannah Stibral aus Celle: „Die Diskussionen zeigen, dass die Gesellschaft sich entwickelt. Menschen in meinem Bekanntenkreis profitieren von einer gerechteren Sprache. Ich wäre bereit, weitere Pronomen außer ‚er‘ und ‚sie‘ zu verwenden.“ Ralf Labacher aus Celle: „Dieses ganze Thema treibt schon sehr seltsame Blüten: Wenn es in manchen Fernsehsendungen plötzlich ‚Zuschauer‘ – Pause – ‚innen‘ heißt, wirkt es immer so, als hätte der Sprecher kurz vergessen, was er sagen wollte.“ Hilke Langhammer aus Winsen: "Es wird zunehmend selbstverständlicher werden. Ich selbst benutze immer häufiger den Doppelpunkt, also 'Besucher:innen'. Dieser ist in der Leichten Sprache einfacher zu erkennen als zum Beispiel das Binnen-I." Peter Wertheimer aus Celle: "Ich halte davon gar nichts. Die Sprache wird dadurch unnötig kompliziert und lenkt vom Inhalt ab. Solange wir uns darüber einig sind, dass die männliche Form auch die weibliche mit einschließt, ist doch alles in Ordnung." Martina Hirata aus Celle: "Wie wäre es, wenn wir den Spieß einfach mal umdrehen und die weibliche Form als Standard festlegen? Die Männer dürfen sich dann bei 'Lehrerinnen' mit gemeint fühlen, so wie sie es immer von uns Frauen verlangt haben." Es gibt Männer und es gibt Frauen – davon zumindest gehen die meisten Menschen aus. Diese Haltung findet sich in unseren westlichen Sprachen wieder. Der Einfachheit halber wird meistens nur die männliche Form benutzt. Kein Problem, denken wir und kümmern uns lieber um andere Dinge. Von "Ingenieurinnen" spricht kaum einer: Doch welche Wirkung hat es auf ein kleines Mädchen, wenn es immer nur von "Ingenieuren" oder "IT-Experten" hört? Will "Mann" sie am Ende in diesen Berufen nicht haben? Und wie sollen sich Menschen angesprochen fühlen, die nicht in unserer klassisches Geschlechtersystem passen? Auch wenn das vermutlich nicht auf viele zutrifft. Poltische Korrektheit ist Dogma der Zeit: Hinter den ganzen Diskussionen steht die Angst, sich politisch unkorrekt zu äußern. Der Trend zum "Gendern" lenkt dabei vom eigentlichen Problem ab: Die Menschen wissen nicht, wie sie sich jemandem gegenüber verhalten sollen, der anders ist als sie selbst. Probleme liegen viel tiefer: Der Weg zur Gleichberechtigung ist lang. Frauen sind immer noch sexistischen Verhaltensmustern ausgesetzt, Transfrauen und -männer werden immer noch angefeindet, intersexuelle Menschen werden kaum wahrgenommen. Wir sollten nicht vergessen, dass sich Machtverhältnisse auch in scheinbar kleinen Dingen zeigen. Und ja, es ist anstrengend, immer wieder darüber zu sprechen. Aber es darf nicht sein, dass die Aufklärung über Geschlechtsidentitäten bei der Bezeichnung endet.