Digitale Grundschule in Celle: Schulbuch oder Tablet?

Der Schul-Lockdown in der Coronakrise hat das Augenmerk auch auf den digitalen Unterricht in der Grundschule gerichtet. Doch an diesem Punkt scheiden sich die Geister. Während die Befürworter darauf verweisen, Schüler möglichst früh an Tablet & Co heranführen zu müssen, befürchten die Gegner unter anderem, dass dies zu Lasten der motorischen Fähigkeiten und der klassischen Lerninhalte gehen könnte. CZ-Redakteur Gunther Meinrenken sprach mit Christian Schlöndorf, Fachbereichsleiter Medienbildung am Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ), über Möglichkeiten und Grenzen beim Einsatz digitaler Medien an der Grundschule. Und in der Pause daddeln: Herr Schlöndorf, Fünfjährige spielen auf dem Handy der Eltern „Fortnite“, selbst Grundschüler kommen mit Smartphone zur Schule, damit sie ihre Eltern anrufen können, „falls etwas ist“, aber daddeln natürlich heimlich in den Pausen darauf rum. Müsste vor dem Hintergrund dieser Tendenzen bei Kindern nicht eher analoges Lernen an den Grundschulen mehr in den Fokus gerückt werden? Grundsätzlich hat jede Schule die Möglichkeit, die Nutzung von Smartphones im Rahmen der Schulordnung zu regeln. Wir führen hier aber die gleiche Diskussion, die wir schon hatten, als beklagt wurde, dass die Kinder zu viel Fernsehen konsumieren oder als die Computer die Kinderzimmer erobert haben. Wie auch bei diesen Medien kommt es bei Smartphones oder Tablets darauf an, wie man sie nutzt. Die Eltern sollten genau hinschauen, was ihr Kind macht, die Nutzung sollte unter Aufsicht erfolgen. Wenn man darauf die ganze Zeit nur spielt oder mit seinen Freunden Nachrichten hin- und herschickt, komme ich über ein reines Unterhaltungsmedium nicht hinaus. Die Schule bietet die Möglichkeit, aufzuzeigen, ein Tablet als Werkzeug zu begreifen. Also wenn Sie so wollen, wird genau anders herum ein Schuh draus: Gerade weil so viele Kinder schon im Grundschulalter Kontakt mit digitalen Medien haben, sollten sie eben auch in der Grundschule genutzt und in den Unterricht integriert werden. Was kann die Schule beim reflektierten Umgang mit Smartphone & Co leisten? Es geht um Medienbildung, auch schon in der Grundschule. Viele Kinder kommen schon früh mit dem Internet in Berührung. Aber wie funktioniert das eigentlich? Was macht das mit mir? Welche Spuren hinterlasse ich da? Wie schütze ich mich? Wie kommt die Webseite auf meinen Bildschirm? Diese Inhalte kann man schon in der dritten Klasse vermitteln – und dabei brauche ich noch nicht einmal einen Computer. Es gibt ein Spiel, „Der Internetversteher“, dafür reichen Pappe und Bindfäden. Die Wischbewegung sitzt: Fürchten Sie nicht, dass die motorischen und feinmotorischen Fähigkeiten, um die es bei immer mehr Kindern nicht mehr so gut bestellt ist, weiter leiden, wenn man etwa Rechen- und Schreibaufgaben über Antippen löst und nicht mehr selbst schreibt? Oder wie einige Lehrer festgestellt haben: Die Wischbewegung sitzt. Beides ist wichtig. Natürlich brauche ich auch die handwerkliche Tätigkeit, die haptische Erfahrung. Die Basiskompetenzen gehören auf jeden Fall dazu. Für mich gibt es hier kein „Entweder-oder“, sondern ein „Sowohl-als-auch“. In vielen Fällen können digitale Medien nur eine Ergänzung sein, sie dürfen natürlich nicht das einzige Lernangebot darstellen. In diesem Zusammenhang verweisen Pädagogen darauf, dass digitale Medien nur eingesetzt werden sollten, wenn ein inhaltlicher Mehrwert erzeugt wird. Diese Diskussion betrachte ich sehr kritisch. Es gibt zwei Lager. Die einen sagen, digitale Medien bergen einen Mehrwert schon in sich, etwa durch die Bedienung. Die anderen verweisen darauf, dass man von einem Mehrwert nur sprechen könne, wenn fachliche Kompetenzen erworben werben, die auf analogem Wege nicht zu erreichen wären. Letzteren Ansatz würde ich in Frage stellen. Digitale Medien sind meiner Meinung nach gleichwertig oder anders gesagt: Wo liegt denn der Mehrwert eines Füllers gegenüber einem Bleistift? Ich kann Inhalte auf dem Tablet lernen oder mit dem Schulbuch. Wo ist denn da der Unterschied? Mehrwert-Diskussion nicht zielführend: Worin bestehen denn in Ihren Augen zum Beispiel hilfreiche Anwendungen, mit denen auch schon Grundschulkinder ein Tablet als Werkzeug kennenlernen können? Wenn wir gerade schon von Mehrwert gesprochen haben, so ist zum Beispiel ein Vorteil eines Tablets, dass ich die Lerninhalte in digitalen Mappen speichern kann. Wenn der Schüler dann bestimmte Themen nacharbeiten möchte, etwa für eine Klassenarbeit, kann man die mit einer Stichwortsuche herausfiltern. Als praktische Anwendungen könnte man zum Beispiel nennen, gerade gelernte Themenbereiche auch filmisch umzusetzen. Etwa wie das Licht in die Lampe kommt. Man muss Lernanlässe schaffen, die Aufgaben so formulieren, dass man sie ohne Einsatz der digitalen Geräte nicht lösen kann. Dann kann ich die digitalen Kompetenzen der Schüler stärken durch Lehrkräfte, die natürlich auch die Kompetenzen haben müssen. Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: die Lehrkräfte. Auch nach einem Jahr Corona hat man leider oft den Eindruck, als habe sich der digitale Unterricht damit erschöpft, die Aufgaben auf einer Plattform abzulegen, wo die Schüler sie sich dann anschauen können, und vielleicht noch einen Film dazuzustellen. Das hätte ich mir etwas spektakulärer vorgestellt. Die Coronakrise hat deutlich vor Augen geführt, dass die Lehrer in ihrem Studium überhaupt nicht auf digitalen Unterricht vorbereitet werden. Der ganze Ausbildungsplan an den Universitäten und in den Studienseminaren ist auf Präsenzunterricht ausgerichtet. Hier muss eine Umstellung erfolgen. Das ist sicherlich eine Konsequenz, die wir aus den Folgen der Pandemie ziehen müssen. Hohe Nachfrage bei Fortbildungen unter Lehrern: Wie steht es denn um den Willen der Lehrer, auch etwas dazuzulernen. Sind es immer die Gleichen, die sich am NLQ weiterbilden? Die Fortbildungsbereitschaft ist nach meiner Einschätzung sehr hoch. Wir haben am NLQ auch auf Online-Seminare mit Videokonferenz umgestellt. Aktuell bieten wir bis zu den Sommerferien 117 Formate an. Das geht vom „Digitalen Stammtisch“ bis zu „Datenschutz für Einsteiger“ oder auch „Literaturunterricht mit Tablet“ oder Tipps für den Hybrid-Unterricht. Die Nachfrage ist sehr groß, die Veranstaltungen sind sehr gut besucht. Allerdings haben wir keine Auswertung darüber, wer nur sporadisch unsere Seminare besucht und wer sozusagen zu unseren Stammgästen zählt. Es gibt ja auch viele Lehrer, die sich das notwendige Rüstzeug selbst beibringen. Knackpunkt Infrastruktur: In Celle gibt es gerade eine hitzige Diskussion über den Stand der Infrastruktur an den Grundschulen. Warum kommt der Ausbau der Netze und Anschlüsse, der vom Bund über den Digitalpakt gefördert wird, nicht zügiger voran? Über Celle kann ich nichts sagen. Generell haben wir allerdings den Eindruck, dass es bei vielen Schulträgern beim Thema Digitalpakt eine große Verunsicherung gibt, die dann auch in die Schulen getragen wird. Es gibt Schulträger, die Mittel erst beantragen möchten, wenn die Schulen auch die Medienkonzepte vorgelegt haben. Und dann besteht noch die Sorge, dass diese zu 100 Prozent perfekt sein müssen, damit man nicht Gefahr läuft, die Fördergelder zurückzahlen zu müssen. Doch diese Befürchtung ist meiner Meinung nach unbegründet. Das Risiko, auf den Kosten sitzen zu bleiben, ist verschwindend gering. Die Medienkonzepte müssen erst sechs Monate nach Abschluss des Infrastrukturausbaus vorliegen. Die Erstellung der pädagogischen Konzepte für digitalen Unterricht können aber schon mit der ersten Planung beginnen. So hätten die Schulen gut und gerne eineinhalb Jahre Zeit dafür, und das dürfte ausreichen. Die Medienberatung steht hier unterstützend zur Seite. Kommt der digitale Hausmeister? Ein entscheidender Punkt ist die Wartung der Netze und der Geräte. Die Schulen fühlen sich mit einer solchen Aufgabe alleine überfordert. Auch hier sollte ein Umdenken erfolgen. Meine Traumvorstellung ist, dass es an jeder Schule so etwas wie einen digitalen Hausmeister gibt, der sich um diese Dinge kümmert. Es gibt aber auch die Möglichkeit, die Wartung und den Support an Fremdfirmen zu vergeben. Entscheidend ist, dass der Schulträger diese Aufgabe als Teil des kommunalen Medienentwicklungsplans versteht und die Schulen eben nicht damit alleine lässt.