Celles märchenhafter Altstadt-Umbau sorgt für Zoff im Rathaus

Es war einmal ein Stadtbaurat, der erzählte eine schöne Geschichte – eine faszinierende Mär von einem lebens- und liebenswerten Städtchen im Schatten des Schlosses, von glücklichen Einwohnern, die in ihrer "guten Stube" Besucher von nah und fern empfingen, deren Plätze voller Leben und ohne stinkende Autos erblühten und die ein Vorbild waren für das ganze Land. Ganz wunderbar. Doch dann kam der Chef des Stadtbaurats, nahm ihm das Buch mit den schönen Visionen ab und schloss es weg. Maulkorb für den Stadtbaurat: So unmärchenhaft geht es derzeit in Sachen Celler Altstadt-Entwicklung zu. Nachdem Stadtbaurat Ulrich Kinder in einer öffentlichen Ausschusssitzung Ideen für die City der Zukunft präsentiert hatte, hat Oberbürgermeister Jörg Nigge (CDU) ihm Redeverbot erteilt und die Präsentation bis auf weiteres zur Verschlusssache erklärt. Was ist da los im Rathaus? Eine Celler Geschichte nimmt ihren Lauf. Altstadt ganz neu gedacht: Sichtlich gut gelaunt und unternehmungslustig hatte Kinder im Ausschuss für Stadtentwicklung das vorgetragen, was er "Lebendige Altstadt Celle – mehr Attraktivität und Aufenthaltsqualität im historischen Zentrum" nannte. Da ging es um nichts weniger als die Neuerfindung der Innenstadt, um den durchgreifenden Wandel, den längst zuvor schon Altstadt-Bürgermeister Tim Übermuth (CDU) gefordert hatte. Kinder kündigte einen "gravierenden Veränderungsprozess" an: "Der Einzelhandel, wie wir ihn bislang kennen, wird in den Zentren seine herausragende Rolle verlieren. Stattdessen wird verstärkt eine Mischung aus Handel, Wohnen, Dienstleistungen, sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrichtungen, Veranstaltungen und neuen Gastronomiekonzepten die Innenstädte prägen und für Frequenz sorgen." Mehr Lebensqualität für die City: Mehr Aufenthalts- und Gestaltungsqualität durch Aufwertung der Stadtplätze, Stärkung der Altstadt als Wohnstandort, Verbesserungen und Vorrang für den Fußgänger- und Radverkehr sowie für den ÖPNV, mehr Klimaschutz durch Grün in der Altstadt und Reduzierung des Verkehrs, Verbesserung der Umwelt- und Lebensqualität für Bürger und Gäste in der Altstadt durch Reduzierung der verkehrsbedingten Luftschadstoffe sowie Reduzierung des Verkehrslärms – das waren einige Eckpunkte, die Kinder vorstellte. Neue Jobs für alte Plätze: Die fünf Altstadtplätze sollten für Aufenthalt und Begegnung, zum Sitzen und Flanieren und insgesamt für Fußgänger und Radfahrer besser nutzbar und neu gestaltet werden, so Kinder: Der Brandplatz als "Familienplatz", der Markt am Alten Rathaus nicht mehr halb zugeparkt, sondern als gemütlicher Altstadteingang, der Große Plan als Festplatz und gute Stube, der Kleine Plan als "grüner Quartiersplatz" und die Stechbahn als Veranstaltungs- und Marktplatz mit einer Rückkehr der vor etlichen Jahrzehnten abgebauten "Steckeltürme". Die zukunftsträchtigen Visionen, die Kinder präsentierte, fesselten die Zuhörer. Axel Fuchs (CDU) regte an, darüber in einer Sondersitzung zu diskutieren. Machtwort vom OB: Doch dass es in absehbarer Zukunft dazu kommt, ist unwahrscheinlich. Denn Nigge, der im Januar Kinders am 31. März 2022 endende achtjährige Amtszeit nicht verlängert hatte, sprach ein Machtwort. Am Tag nach der Präsentation sagte Kinder auf Nachfrage, dass ihm der OB untersagt habe, darüber zu reden. Der Vortrag dürfe das Rathaus nicht verlassen. Nigge will nur auf solider Basis diskutieren: Kinder habe lediglich "Gedankenspiele der Verwaltung" präsentiert, so Rathaus-Sprecherin Myriam Meißner: "Diese befinden sich allerdings noch im Prozess und wurden unabgestimmt vorab veröffentlicht. Eine Verwaltung kann nur verlässlich und vertrauensvoll agieren, wenn die Bürger sich auf qualitätsgesicherte Endergebnisse verlassen können." Es sei Nigges Credo, auf ungesicherte Zwischenergebnisse zu verzichten und nur dann mit Themen an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn diese valide seien. "Persönliche Meinungsäußerungen" wie Kinders Vortrag verböten sich daher. In Vergangenheit "viel Vertrauen verspielt": "Ideen und Gedankenspiele zur Innenstadt gibt es in der Verwaltung viele, ein mit allen abgestimmtes Konzept, das in die Diskussion gegeben werden könnte, jedoch noch nicht", so Meißner. In der Vergangenheit sei unter Nigges Vorgänger, dem jetzigen SPD-Bundestagskandidaten Dirk-Ulrich Mende, "viel Vertrauen verspielt worden, weil unzählige einzelne Gedankengänge zu voreilig in die Öffentlichkeit gegeben" worden seien, ohne in größeren Zusammenhängen zu planen: "Geliefert wurde anschließend häufig nicht. Beispiele sind unter anderem die Allerinsel, der Nordwall oder das ominöse Zerspanungswerk mit bis zu 1800 Jobs im Gewerbegebiet Wietzenbruch." Dies werde unter Nigge anders gehandhabt. Wie geht es weiter? Und das Ende der Geschichte? Das kann nicht erzählt werden, denn dieses Kapitel ist noch nicht geschrieben. Zunächst bleibt der Traum vom Altstadt-Märchen, das wahr wird – eines schönen Tages.