Blanker Sand liegt dort, wo im Wald zwischen Altencelle und Lachtehausen eine erste Schneise für den Bau der B3-Ostungehung geschlagen wurde. Eine ökologische Katastrophe? Nein: Was von weitem wie eine hässliche Narbe im monotonen Kiefernforst wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als wertvolle Nische für Insekten und Pionierpflanzen. Die Wüste lebt.
Die Wüste lebt
Darum sind von Menschen gemachte Sandflächen nicht gleich eine ökologische Katastrophe: Sie bieten Chancen für vielfältiges Leben.

Im Sand der Schneise im Waldgebiet Finkenherd zwischen Altencelle und Lachtehausen regt sich schon nach kurzer Zeit vielfältiges Leben.
| Foto: Michael Ende
Otto Boecking auf Insekten-Suche.
| Foto: Michael EndeDer Wildbienen-Experte Otto Boecking vom Celler Institut für Bienenkunde erläutert bei einem Streifzug durch die Sandlandschaft, warum sogenannte Ruderalflächen wie diese ein Segen für bedrohte Arten sein können.
Schutt als Basis für Neues
„Ruderal“ leitet sich vom lateinischen Wort „ruderis“ ab, das „Schutt“ bedeutet. Doch dieser „Schutt“ sei die Basis für Neues, erläutert Boecking: „Eine Vielzahl natürlicher Lebensräume bleibt in ihrer Gestalt und Zusammensetzung ihrer Flora und Fauna solange relativ konstant, bis sich das Ökosystem durch einen externen, womöglich extrem zerstörerischen Faktor verändert.

Wo Sand ist, da ist meist die Kiefer nicht weit. Diese anspruchslose Pionierbaumart kommt mit widrigsten Boden- und Klimabedingungen zurecht und keimt selbst in nacktem Sandboden, was sie in der Heide zu einem der Brotbäume der Förster gemacht hat. Zusammen mit Birken, Weiden und Ebereschen besiedelt sie Ruderalflächen und wandelt sie im Laufe der Zeit in Wälder um, die Platz für weitere Arten bieten.
| Foto: Michael EndeDas ist beispielsweise der Fall, wenn ein Waldbrand ganze Wälder zerstört.“ Das sehe dann auf den ersten Blick für den Betrachter eher dramatisch aus. „Diese Prozesse sind aber im Laufe der Erdgeschichte schon immer prägend und letztlich schon immer gestalterisch gewesen und somit sogar sehr wertvoll.“

Dass auch solitär lebende Insekten wenn nicht staatenbildend so doch "stadtbildend" sein können, zeigt sich an Stellen wie diesen: Dicht an dicht liegen die Eingangslöcher zu unterirdischen Bienenbauten. Die kleinen Sandhügel mit dem Aushub zeugen vom Fleiß der Insekten.
| Foto: Michael EndeBrachiale Veränderungen
Natürliche Prozesse wie das Mäandern von Bächen und Flüssen mit Abbruchkanten und Sandbänken, aber extreme Veränderungen wie das Feuer, sorgten im Anschluss daran für eine Neubesiedelung, da es im Pflanzen- und Tierreich viele Arten gebe, die genau daran angepasst seien, so Boecking: „Das gilt übrigens auch für Lebensräume, die eher brachialen Veränderungen durch den Menschen unterliegen und ist beispielhaft für militärisch genutzte Gebiete. Dort wird stets Lebensraum zerstört, gleichzeitig aber neuer geschaffen.“ Nach solchen abrupten natürlichen sowie durch den Menschen verursachten Veränderungen „reiften“ die Ökosysteme neu heran.

Wer war hier denn unterwegs? Filigrane Spuren im Sand sind ein Beweis dafür, dass es in der vermeintlichen "Wüste" überall krabbelt und summt. Hinschauen lohnt sich.
| Foto: Michael EndeRaum für Pionierarten
Man sagt auch: Ökosysteme unterliegen der „Sukzession“. „Die Primärsukzession und Neubesiedlung folgt relativ zügig der Störung oder Zerstörung“, sagt Boecking während er auf der Sandfläche im Waldgebiet Finkenherd mit dem Kescher auf Insektenjagd geht. Hier wird er schnell fündig: „Unter den Pionierarten sind auch etliche Wildbienen und Grabwespen beteiligt, die dann ideale Nistmöglichkeiten vorfinden. Alsbald stellen sich an den neu geschaffenen Lebensräumen auch Pflanzen ein und mit den Jahren ändert sich stetig dort die Faunen- und Pflanzengesellschaft. Diese natürlichen Prozesse werden aber durch uns Menschen vielfach heute leider unterbunden.“

Andrena vaga – ihr deutscher Name Weiden-Sandbiene verrät schon ihre besondere Vorliebe für Weidengebüsche, denn dort sammelt sie ihren Pollen. Sie ist eine der Frühjahrsarten, die man an der Aller und überall dort antrifft, wo Weidenbüsche blühen. Sie ist eine sehr spezialisierte Art, denn ihren Pollen zur Versorgung ihrer Nachkommen sammelt sie ausschließlich an Weiden. Entsprechend kurz ist auch ihre Flugzeit, die mit dem Abblühen der Weiden im Frühjahr schon wieder endet.
| Foto: Otto BoeckingParadebeispiel Heideflächen
Darüber hinaus gebe es Lebensräume, die ganz wesentlich nur durch den Menschen entstanden sind, so der Experte: „Ein schönes Beispiel dafür sind die Heideflächen der Lüneburger Heide. Das sind Kulturbiotope, die durch die spezifische Nutzung und teilweise Übernutzung entstanden sind. Ihre größte Bedrohung besteht nun darin, dass sie heute eben nicht mehr so genutzt werden, wie es eigentlich sein müsste.“

Zur Anlage ihrer Nester brauchen die Sandbienen das, was ihnen den Namen gab: Sand, in dem sie graben können. Otto Boecking: "Von daher sind auch von Menschen gemachte Sandflächen oft keine Katastrophe, sondern im Gegenteil eine Chance für bedrohte Wildbienenarten."
| Foto: Otto BoeckingExtremstandorte werden benötigt
Sandige Böden seien ganz besondere Extremstandorte, weiß Boecking. Dort entwickelten sich mit der Zeit Sandrasengesellschaften, und Pionierarten wie Grabwespen und Wildbienen nutzen sie schnell als Nistplätze. Meist seien Gräser und Kräuter die Erstbesiedler: „Diese Extremstandorte weisen aufgrund ihrer extremen Temperaturschwankungen und hohen Verdunstungsraten während der Sommermonate, sowie ihrer Nährstoffarmut dennoch nach einigen Jahren ein reiches Arteninventar auf.“

DieHosenbiene(Dasypoda hirtipes) macht ihrem Namen alle Ehre, denn sie besitzt auffällig lange, Hosen-förmige Haarbürsten an den Hinterbeinen. Diese werden zum Pollensammeln benötigt. Sie ist eine typische Sommerart, die erst Mitte Juli aktiv wird und sich zuvor in vom Muttertier selbstgegrabenen bis zu 60 Zentimetern tiefe Hohlräumen im Sand des Vorjahres entwickelt hat. Sie sammelt ihren Pollen an Korbblütlern wie dem Habichtskraut.
| Foto: Otto BoeckingEs handele sich meist um wärme- und trockenliebende Pflanzen- und Tierarten: „Charakterpflanzen sind beispielsweise das Silbergras, die Blaugraue Kammschmiele und auf sauren Standorten die Besenheide.“ So erfolgreich die Pflanzen auf diesen Extremstandorte gediehen, so wenige Chancen hätten sie auf normalen Böden: „Dort würden sie nämlich der Konkurrenz schnellwüchsiger anderer Arten unterliegen.“

Furchenbienen suchen sich zur Anlage ihres Erdnests offene oder wenig bewachsene, sandige oder lehmige Bodenstelle aus. In Bezug auf dieBodenart sind sie nicht wählerisch. Zur Nestgründung graben die Weibchen einen senkrechten Hauptschacht in den Boden. Von ihm aus waagrechter Gang vorangetrieben, an dessen Ende ein Hohlraum für die Eiablage erweitert wird.
| Foto: Otto BoeckingFinkenherd im Wandel
Zu den zahlreichen Tieren, die sich auf sandige Pionierstandorte spezialisiert haben, gehören Grabwespen wie der Bienenwolf, Wildbienen wie verschiedene Sand-, Seidenbienen und die Hosenbiene, aber auch Käfer wie die Sandlaufkäfer. Wer sich Zeit nimmt und genau hinschaut, kann diesen Arten auch in der jüngsten Mini-Wüste im Finkenherd auf die Spur kommen – zumindest bis die neue Schnellstraße gebaut wird, die Teile von ihr unter Asphalt begraben wird. Doch auch danach wird man im Finkenherd immer noch Ruderal- und Heideflächen finden, auf denen sich mit menschlicher Hilfe vielfältiges Leben entwickelt.
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Wo Sand ist, da ist meist die Kiefer nicht weit. Diese anspruchslose Pionierbaumart kommt mit widrigsten Boden- und Klimabedingungen zurecht und keimt selbst in nacktem Sandboden, was sie in der Heide zu einem der Brotbäume der Förster gemacht hat. Zusammen mit Birken, Weiden und Ebereschen besiedelt sie Ruderalflächen und wandelt sie im Laufe der Zeit in Wälder um, die Platz für weitere Arten bieten.
| Foto: Michael Ende