Altes Handwerk: Henrik Erler fertigt orthopädische Schuhe in Celle an

Die Füße tun weh bei jedem Schritt und kein Arzt konnte bisher die Ursache finden? Vielleicht liegt es an den schlecht sitzenden Schuhen von der Stange. Abhilfe schafft ein Orthopädieschuhmacher wie Henrik Erler. In seiner Fachwerkstatt an der Mauernstraße werden Schuhe und Einlagen nach Maß angefertigt, Funktionsänderungen an Konfektionsschuhen vorgenommen sowie Bandagen und Kompressionsstrümpfe angepasst. Zum Kundenstamm gehören vor allem Senioren und Menschen mit Behinderungen. Wem einfach einmal der Sinn nach handgemachten Schuhen steht, der wird hier auch bedient. Doch dies kommt selten vor, denn die Fußbekleidung hat ihren Preis. Kunden-Problem bestimmt Beschaffenheit der Schuhe: Erlers Kunden werden meist vom Arzt vorbeigeschickt und benötigen eine ausführliche Beratung. Zunächst wird das Krankheitsbild identifiziert. „Danach entscheidet sich, welche Schuhe es werden sollen“, erklärt der Orthopädieschuhmacher. Diabetiker zum Beispiel brauchen Schuhe, die sie vor Verletzungen schützen, denn aufgrund von Nerven- und Blutgefäßschädigungen haben sie oft besonders empfindliche Füße. Farbe und Maßband: Im nächsten Schritt folgt die gründliche Vermessung. Dazu stellt der Kunde den bestrumpften Fuß auf ein Papier, unter dem sich eine mit Farbe präparierte Fläche befindet. Erler zeichnet den Umriss des Fußes nach und markiert bestimmte Stellen. Durch den Abdruck wird deutlich, wo und wie stark der Kunde den Fuß belastet. Die gleiche Prozedur wird mit dem anderen Fuß durchgeführt. Das klassische Maßband kommt natürlich auch zum Einsatz. Neue Hilfsmittel: Der technische Fortschritt hat vor dem alten Handwerk nicht haltgemacht. „Alte Herangehensweise, aber trotzdem moderne Technik“, sagt Erler. „Bei schwierigen Fällen kommt unser 3D-Scanner zum Einsatz. Das 3D-Bild schicken wir an eine Firma, die für uns die Leisten fräst.“ Die Anschaffung einer eigenen Fräse wäre viel zu teuer. Traditionelles Werkzeug: Trotz der neuen Hilfsmittel sind wenige Handwerksberufe seit Jahrzehnten so unverändert geblieben wie das Schuhmacher-Handwerk, obwohl sich in den vergangenen Jahren in dem Bereich einiges getan hat. „Wenn ich heute eine neue Zwickzange bestelle, dann ist sie immer noch genauso aufgebaut wie vor 50 Jahren, da hat sich nichts dran geändert. Meine jetzige Zwickzange ist bereits 35 Jahre alt,“ berichtet Erler stolz. Jeder Mitarbeiter hat sein eigenes Werkzeug. Die moderne Technik hilft immer dann, wenn sehr genau gemessen werden muss, zum Beispiel bei der Druckverteilung im Schuh. Folienschuh zur ersten Anprobe: Sind die Leisten da und ist das Fußbett erstellt, wird ein Folienschuh aufgezogen. Der Kunde kommt dann zur Zwischenprobe. Die Folie wird mit unterschiedlichen Farben markiert, um kenntlich zu machen, welche Änderungen noch vorgenommen werden müssen. „Es gibt viel zu beachten“, sagt Erler. „Hat der Knöchel genug Raum? Passt der Schaftabschluss? Wo muss ich Material zufügen, wo wegnehmen?“ Auswahl des Designs: Mit dem Kunden zusammen sucht der Orthopädieschuhmacher dann nach dem passenden Design für die neuen Schuhe. Kataloge und Farbkarten bieten eine große Auswahl. „Bilder zur Unterstützung sind dabei sehr wichtig“, betont Erler. „Wenn man die Materialien, Farben und Details nur bespricht, entstehen in den Köpfen meist sehr unterschiedliche Vorstellungen.“ Externe Firma produziert Schuhschaft: Als Nächstes muss der Schuhschaft aus einzelnen Teilstücken zusammengesetzt werden. Das übernimmt eine Spezialfirma, die über die notwendigen Maschinen verfügt, um spezielle Arbeiten auszuführen, wie beispielsweise Zweifachnähte setzen. Aus einem Stück Leder – im traditionellen Eichenloh-Grubengerbungsverfahren hergestellt – wird die Hinterkappe gefertigt. Diese wird zwischen Futter und Oberleder eingearbeitet und sorgt für den Halt im Schuh. Weitere Arbeitsschritte: Der Schaft wird nun auf die Brandsohle, sozusagen das Fundament des Schuhs, aufgebracht. „Früher hat man auch hier Leder benutzt, aus Gewichtsgründen setzt man heutzutage Kunststoffe ein“, erklärt Erler. Mit der Zwickzange zieht er den Schaft in die richtige Position und klebt ihn fest. Zum Trocknen wird der Schaft an die Brandsohle genagelt, die Nägel werden später wieder entfernt. Danach klebt der Orthopädieschuhmacher einen Lederrahmen auf. Schließlich befestigt er noch unten die Laufsohle und den Absatz. „Da wird im wahrsten Sinn des Wortes ein Schuh draus“, bemerkt Erler und lacht. Hirschkleber ist das klassische Klebemittel: Das Standard-Klebemittel in Erlers Branche ist Hirschkleber. „Ist auch noch wie damals“, bemerkt der Orthopädieschuhmacher. „Da gibt es bis heute keine gute Alternative.“ In der Coronakrise könnte dies bei anderen Schuhmachern zu Problemen führen, denn Nachlieferungen sind zurzeit nicht möglich. „Zum Glück habe ich vor dem Ausbruch der Pandemie noch genug Dosen bestellt. Und das Zeug hält ewig“, so Erler. Krankenkassen bezahlen die orthopädischen Schuhe: Handgefertigte Schuhe sind teuer und ihre Herstellung braucht Zeit. Rund 40 Arbeitsstunden muss ein neuer Kunde abwarten, bis er sein neues Schuhwerk ausprobieren kann. Auch Stammkunden brauchen Geduld: Die Leisten sind zwar schon da, aber es kommt immer wieder zu kleinen Veränderungen der Füße. Deshalb müssen sie neu ausgemessen werden. Nicht nur die Zeit, auch die Preisspanne spiegelt die Qualität wider: Sie beginnt bei über 1000 Euro. Da die meisten von Erlers Kunden eine ärztliche Verordnung vorweisen können, werden die Kosten von den Krankenkassen übernommen. Einige wenige, die einfach Gefallen an Erlers Kunst finden, zahlen aus eigener Tasche. Doch die Investition lohne sich, sagt der Orthopädieschuhmacher. Ein Schuh nach Maß kann durchaus fünfzehn Jahre halten – gute Pflege vorausgesetzt. Bei Erler gibt es zwei Jahre Gewährleistung auf die Schuhe, jedoch nicht auf die Sohlen. Zeit für Experimente in der Ausbildung: In Deutschland ist Schuhmacher ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf. „Orthopädieschuhmacher ist eine Spezialisierung“, erklärt Erler. „Wir beschäftigen uns vor allem mit kranken Füßen.“ Die Ausbildung dauert dreieinhalb Jahre. Die Lehrlinge dürfen während dieser Zeit ab und zu auch experimentieren und ihrer Fantasie freien Lauf lassen. So hat eine Auszubildende bei Erler einen Stiefel zum Thema Comic-Held Batman entworfen. Henrik Erler selbst hat seine Lehre 1993 in Hannover begonnen. 2002 hat er seinen Meister gemacht. Seitdem ist er auch aktiv an dem Geschäft beteiligt, das sein Vater Wolfgang Erler einst begründete. Gebäude mit Schuhmacher-Geschichte: Henrik Erler und sein Vater sind sich der besonderen Atmosphäre in dem historischen Gebäude an der Mauernstraße durchaus bewusst. Der Seniorchef weiß über die Geschichte an jener Stelle gut Bescheid. 1989 übernahmen er und seine Frau Jutta den Laden von Wilhelm und Lisa Beckmann. Schon lange zuvor haben sich in dem Haus Leute niedergelassen, die ihr Geld mit Schuhen verdienten. Bereits in den 1920er Jahren gab es dort eine Schnellbesohlanstalt. Weitere Schuhmacher ließen sich an und in der Nähe der Mauernstraße nieder. Heute gibt es nur noch zwei andere Geschäfte für Orthopädie-Schuhtechnik in Celle. Henrik Erler meint: „Unser altes Handwerk harmoniert sehr schön mit der Fachwerkstadt. Das merken wir immer wieder.“