30 Jahre Mauerfall : Stasi-Machenschaften in Niedersachsen

Mit Blick auf das Thema 30 Jahre Mauerfall werfen wir einen Blick auf die Stasi-Machenschaften in Niedersachsen. Als SPD-Landtagsabgeordneter gehörte Maximilian Schmidt seinerzeit der Enquetekommission „Verrat an der Freiheit – Machenschaften der Stasi in Niedersachsen“ an. Er äußert sich über Täter und Opfer und die Ergebnisse der Kommissionsarbeit. Wie kam es zu Ihrer Berufung in die Enquete-Kommission? Das hatte wahrscheinlich zwei Gründe – zum einen, da ich von Haus aus als Historiker – ich habe an der Leibniz Universität Hannover Geschichte studiert – für die zeitgeschichtlichen Fragen über einen wissenschaftlichen Zugang verfüge, zum anderen natürlich, weil ich aufgrund meiner ostdeutschen Familienbiografie ein besonderes Interesse mitgebracht habe. Das hat meine Fraktion wohl wesentlich dazu bewogen, mich in die Enquete-Kommission zu berufen. Letztlich war es mir ein Anliegen, dass die Erinnerung an das geschichtliche Erbe unserer deutsch-deutschen Geschichte auch drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall wach gehalten wird – ich hielt und halte das für unsere Gesellschaft und für die Vollendung der Einheit unseres Landes nach wie vor für wichtig. Haben Sie noch eine Erinnerung an Ihre Zeit in der DDR? Fühlte sich Ihre Familie bespitzelt? Ich muss die Frage der Erinnerung gleich schon altersmäßig einschränken: Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung bin ich Tage später sieben Jahre alt geworden – das heißt, die Erinnerung ist da naturgemäß eingeschränkt. Es bleiben Fragmente, einzelne Bilder im Kopf, insbesondere, als wir als Familie mit Mutter, Vater und meinem kleinen Bruder zwei Tage nach dem Mauerfall in Westberlin waren. Viel wichtiger waren aber später die Gespräche in der Familie – mit Eltern und vor allem Großeltern. Die Stasi-Akte meines Vaters habe ich gelesen und mit ihm auch viel darüber gesprochen. Ich weiß nicht, ob sich meine Familie konstant bespitzelt gefühlt hat – was ich aber weiß, ist, dass es ein sehr glasklares Bewusstsein dafür gab, dass man in der DDR eben nicht in einer Demokratie mit einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat lebt. Und auch deshalb war und bleibt der Mauerfall und die Wiedervereinigung in der Generation meiner Eltern eine auch biografisch tiefgreifende Wende. Sie haben im Rahmen der Kommissionsarbeit mit SED-Opfern gesprochen. Welchen Eindruck haben diese Anhörungen bei Ihnen hinterlassen? Man hätte ja denken können, dass Jahrzehnte später die Dinge nüchterner betrachtet werden – aber das Gegenteil war der Fall: Wir haben Berichte von Stasi-Opfern gehört, die großes Leid erfahren mussten. Ihre Berichte haben uns alle tief bewegt. Und diese Berichte waren letztlich auch der Anlass, dass wir darüber diskutiert haben, wie die Stasi-Opfer im Rahmen einer Härtefallregelung von der Bundesrepublik unterstützt bzw. entschädigt werden können. Hier gab und gibt es nach wie vor Lücken – letztlicht geht es dabei nicht um Almosen, sondern um eine Anerkennung der Opfer-Eigenschaft der Betroffenen. Wie war die Stasi in Niedersachsen aufgestellt? Was waren ihre Ziele und Methoden? Dazu muss man zunächst auf das klare „Freund-Feind-Schema“ der Stasi als Organisation hinweisen. Die Stasi war kein „gewöhnliches“ Sicherheitsorgan des DDR-Staatsapparats, sondern fasste sich in der Tradition der sowjetischen „Tschekisten“ als „Schild und Schwert der Partei“ auf. Dementsprechend galt in der Vorstellungswelt der Stasi alles, was sich real oder vermeintlich gegen die DDR richtete, als „feindlich“. Personen und Institutionen in der BRD waren grundsätzlich „feindliche Zielobjekte“. Besonders galt das übrigens für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die für die Kommunisten seit der Weimarer Zeit als „Feind“ gegolten hatte. Die Stasi hatte in Niedersachsen mehrere Ziele – zum einen die klassische Spionage in Politik, Verwaltung und Wirtschaft, zum anderen die Infiltration und Zersetzung des westdeutschen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems, zum dritten die Verfolgung von Regimegegnern im Gebiet Niedersachsens. Dazu hatte die Stasi auch in Niedersachsen ein Netz aus sogenannten „inoffiziellen Mitarbeitern“ aufgebaut, die wesentliche Informationen in die Zentrale berichteten. Heute wird geschätzt, dass rund 12.000 IMs zuletzt 1989 in der BRD eingesetzt waren, schwerpunktmäßig allerdings in NRW und Bayern und vor allem West-Berlin. Von einem flächendeckenden Netz kann in Niedersachsen nicht ausgegangen werden, allerdings gab es Schwerpunkte, so zum Beispiel mit der „Residentur Mitte“ in Garbsen. Zur Übermittlung der Spitzelberichte legte die Stasi auch „tote Briefkästen“ z.B. in der Lüneburger Heide an, um die Informationen in den Osten zu übermitteln. Für ihre Tätigkeit nutzte die Stasi alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel und Methoden – IM-Berichte, Abhörmaßnahmen, Postkontrolle, Abschöpfen von Dritten, öffentliche Quellen und Medienberichte. Ein wesentliches Ziel war auch, zu verhindern, dass irgendwie „feindlich“ geartetes Gedankengut in die DDR einsickerte, deshalb wurden private und berufliche Reisen insbesondere von Amtsträgern und Bildungsreisen von Gruppen in die DDR streng überwacht. Es gab auch Stasi-Täter in Niedersachsen. Wie sind diese „Zuträger“, die es nach dem Findbuch auch in Celle gab, vorgegangen? Wichtig ist vor allem, zu wissen, dass der übergroße Teil der Stasi-Täter in Niedersachsen, rund 98 Prozent, aus der DDR in den Westen eingeschleust worden sind. Diese infiltrierten dann Behörden und Betriebe, um von dort Informationen weiterzutragen. Viele Erkenntnisse dazu konnten vor allem aus den Gerichtsprozessen gewonnen werden, die vielfach am Oberlandesgericht in Celle stattfanden. Aus den Akten wissen wir zum Beispiel von einer Stenotypistin, die in den 50er Jahren das Gebiet rund um Celle ausgekundschaftet hatte und von einem Kriminalhauptkommissar aus Celle, der nach 1990 wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit angeklagt wurde. Was bedeutet Ihnen die Arbeit in der Kommission? Worin sehen Sie den wesentlichen Wert? Der Wert der Arbeit der Enquete-Kommission bestand und besteht meiner Auffassung nach aus zwei wesentlichen Punkten: Zum einen wurde das individuelle Leid und Schicksal der Opfer für die Gesellschaft sichtbar gemacht, das ist und bleibt eine Frage der Anerkennung. Zum anderen bleibt die Aufarbeitung der Machenschaften des Stasi-Regimes auch und gerade nach drei Jahrzehnten staatspolitischer Einheit in Deutschland ein wesentlicher Beitrag, um künftige Generationen zu bilden und letztlich die Einheit unseres Landes auch tatsächlich zu vollenden – und das bedeutet mir viel. Wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft auch künftig zusammenhält, müssen wir zurückschauen und erkennen, was sie in vier Jahrzehnten deutscher Teilung auseinandergetrieben hat. Eine solche Enquete-Kommission eines Landesparlaments einzurichten – das war 2015 ein bundesweit singulärer Schritt – war deshalb richtig und wichtig. Hatte die Aufarbeitung der Stasi-Machenschaften zu weiteren Beschlüssen des Landtages geführt, beispielsweise in Bezug auf die Opfer? Der Abschlussbericht der Kommission hat zu einer Reihe von Empfehlungen geführt und auch zu einem wesentlichen Beschluss. Die Empfehlungen gingen in mehrere Richtungen: So soll die Opferberatungsstelle im Niedersächsischen Innenministerium so lange fortgeführt werden, wie auch Bedarf besteht. Und das Entschädigungsrecht soll vom Bund im Sinne der Opfer verbessert werden, insbesondere bei der Anerkennung von haftbedingten Gesundheitsschäden. Im Bereich der Bildung sollen die Lehrpläne überprüft werden, damit die Funktionsweise diktatorisch geprägter Unrechtssystem stärker vermittelt wird, auch am Beispiel der Stasi; auch Lehrerfortbildungen sollen entsprechend gestaltet werden. Und letztlich: Die Stasi-Akten sollen dauerhaft als nationales Kulturgut gesichert und zugänglich gemacht werden – nur so können Betroffene und ihre Familien und künftige Generationen daraus weiterhin lernen. Im Februar 2015 beschloss der niedersächsische Landtag die Einsetzung einer 17-köpfigen Enquetekommission. Sie war die erste dieser Art in den alten Bundesländern und trug den Namen „Verrat an der Freiheit – Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“. Die Arbeit des Gremiums diente der Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte und war bis zum Frühjahr begrenzt. Der Kommission gehörten elf Mitglieder des Landtags, darunter der SPD-Politiker Maximilian Schmidt, und sechs Sachverständige an. Vorsitzende war Silke Lesemann (SPD), Heidemarie Mundlos (CDU) wurde zur Stellvertreterin bestimmt. In den Anhörungen berichteten SED-Opfer über persönlich schwierige und teilweise traumatisierende Erlebnisse im Zusammenhang mit politischer Überwachung. In Niedersachsen gab es aber auch Täter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Mit der Aufarbeitung des Stasi-Unrechts sollten Mechanismen, Methoden und Ausmaß staatlicher Unterdrückung deutlich gemacht werden. Die Enquetekommission betrachtete dies als Beitrag, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Zukunft zu stärken. Die Arbeit der Kommission wurde in drei Bänden dokumentiert.

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